Kupfer verlegt den Poros von Händel in die Zeit des Komponisten
Nach 17 Jahren ist Harry Kupfer (83), der ehemalige Chefdirigent der Komischen Oper, an seine frühere Wirkungsstätte zurückgekommen, um die Oper zu inszenieren, die ihn zu Beginn seiner Karriere für die Barock-Oper Händels begeistert hat. Und so steht das selten gespielte Poros im Jahre 2019 auf dem Programm der Komischen Oper. Am 16. März hatte es Premiere. Norbert von Fransecky beobachtete vom 2. Rang aus. Sir Alexander heißt der Gegenspieler von Poros in Kupfers Inszenierung, ein britischer Offizier, der im Auftrag der East India Company die Kolonialisierung Indiens vorbereiten soll. Im Original-Libretto von Pietro Metastasio war es noch Alexander der Große, aber Kupfer hat die Handlung der Oper, so die Presseinformation der Komischen Oper, aus der Antike in die Zeit verlegt, in der die Oper entstanden ist, auch wenn die von Yan Tax gewählte Kostümierung der Briten aus dem 19. oder sogar 20. Jahrhundert stammt. Das lässt sich als aktualisierende Zeitlosigkeit der Verhältnisse interpretieren. (Die Uraufführung fand am 2. Februar 1731 im Londoner King's Theatre am Haymarket statt.) Große Auswirkungen hat die zeitliche Verlegung der Handlung nicht, wenn man einmal davon absieht, das Sir Alexander, sein Mitarbeiter Timagenes (Joao Fernandes), ein Grieche in britischen Diensten, und die Komparsen in den britischen Kolonialuniformen auf der Bühne stehen. Aber Kupfer hält sowieso nicht viel von zu modernistischen Inszenierungen. „Eine `Entführung´ mit Mähdrescher auf der Bühne oder dass Sänger nur noch durch Löcher einer Dekoration gucken“, dafür habe er kein Verständnis, lässt er in einem Interview wissen, das in der Berliner Morgenpost am Tage der Premiere veröffentlicht wurde. So lässt sich Kupfer auch bei dem von Hans Schavernoch gestalteten Bühnenaufbau auf keinerlei Experimente ein. Ein Videoscreen lässt im Hintergrund einen tropischen Urwald erscheinen. Auf dem grün marmorierten Bühnenboden steht eine flache Drehbühne, eine Art Felsplateau, das in Orange und Ocker gehalten wohl den indischen Subkontinent andeuten soll. Auf ihr ist am Rande eine überlebensgroße Buddha-Statue aufgestellt. Abgesehen von ein paar Stühlen und Teetischen, die von Zeit zu Zeit aufgestellt werden, hat es sich damit mit Requisiten weitgehend. So richtig Schwung bekommt die Aufführung lange nicht. „Hauptsache erst mal die Drehbühne einschalten, damit sich überhaupt was bewegt,“ kommentierte in der Pause ein junger Mann in der Schlange vor dem Getränkestand. Das liegt letztlich auch an der etwas sehr dünnen Handlung. Es gibt nicht einmal die amourösen Verwicklungen und Kreuz- und Quer-Verstrickungen, die andere Händel-Opern zu schillernden Burlesquen machen. Es gibt lediglich einen krankhaft eifersüchtigen Poros, der die diplomatischen Versuche seiner Geliebten Mahamaya (Ruzan Mantashyan), der Königin eines anderen indischen Reiches, das Verhältnis zu Sir Alexander zu kitten permanent unterläuft, da er in ihnen bereits wieder Untreue und Verrat an seiner Person wittert.
Möglicherweise ist das der Grund, dass die Protagonisten nicht wirklich ins Spiel kommen. Die Oper wird gesungen und nicht gespielt. Ausnahmen davon sind vor allem Dominik Köninger, dem die Figur des Poros die Möglichkeit bietet sich in die wahnhafte Eifersucht hineinzusteigern und die Wut auf den vermeintlichen Nebenbuhler auszuleben, und seine Schwester Nimbavati (Idunnu Münch), die eine Szene, in der sie von Sir Alexander mit Alkohol abgefüllt wird, ohne zu übertreiben wunderbar dazu nutzt, die Betrunkene zu mimen, die mit mittlerweile unsicheren Bewegungen immer noch einmal nach der Flasche greifen möchte. Vielleicht die schönste Szene vor der Pause. Sir Alexander (Eric Jurenas) gibt daneben den in sich ruhenden Philanthropen, der nur das Beste für und mit Indien vorhat und souverän über die Ausfälle des rasenden Poros hinwegsieht. Selbst als Mahamaya sich ihm in der Überzeugung, dass Poros gefallen ist, als Gemahlin anbietet, nimmt er das ohne in Triumph zu verfallen, als eine diplomatisch sinnvolle Option an. Die Besetzung mit einem Counter-Tenor will zu dieser distinguierten Erscheinung nicht ganz passen. Lange fragt man sich, ob Kupfer den britischen Kolonialismus so unkritisch stehen lassen will. Das kippt erst im letzten Bild; eindeutig erst in der letzten Szene. Mit dem letzten Bild ändert sich alles! Erst einmal die Dekoration. Der Urwald ist verschwunden. Stattdessen stellt ein Tempel die Kulisse dar. Sir Alexander trägt bereits seit einer Weile weiße Freizeitkleidung. Nun gesellen sich die Komparsen in entsprechender Kleidung dazu. Sie stellen die Hochzeitsgesellschaft dar und sind gekleidet, wie man sich Personen auf einer britischen Pferderennbahn oder bei einem Gartenfest in der britischen Botschaft vorstellt.
Die Handlung wird dramatisch. Mahamaya macht deutlich, dass sie gar nicht daran denkt Sir Alexander zu ehelichen, sondern beabsichtigt sich lieber opfern zu lassen. Ein entsprechend grimmig geschminkter Priester steht schon bereit. Da aber taucht plötzlich Poros auf, der – wie das Publikum weiß – gar nicht tot ist. Sir Alexander macht weiter gute Miene zum bösen Spiel. Die sechs Hauptpersonen stehen jetzt nicht mehr alleine als Sänger da, sondern werden von Chören in barocker Pracht unterstützt. Endlich kommt die Opulenz, die man an Händel liebt, voll zum Tragen. Und dann kippt es auch inhaltlich. Die Hochzeitsgesellschaft wendet sich vom Geschehen ab und beginnt in touristischer Manier durch den Tempel zu laufen und sich gegenseitig auf Details der Architektur aufmerksam zu machen. Dann präsentiert Sir Alexander dem liebenden Paar Poros und Mahamaya ein Geschenk, das die Fratze hinter der britischen Distinguiertheit erkennen lässt. Sir Alexanders Soldaten rollen zwei Kisten mit der Aufschrift East India Company auf die Bühne. Ihr Inhalt: Moderne Gewehre. (Ich musste sofort an die Szene mit dem Amritsar-Massaker in Richard Attenboroughs Gandhi-Film denken.) Dann fiel der Vorhang und der Union Jack bedeckte den indischen Urwald. Kupfers Poros weiß am Ende zu begeistern. Mit den phantasievollen Details, mit denen die Händel-Inszenierungen an den Berliner Opernhäuser den Händel-Fan in den letzten Jahren verwöhnt haben (Agrippina (2010), Orlando (2010) und Xerxes (2012)) kann er allerdings nicht konkurrieren. Poros steht noch am 29. März, am 13. und 20. April, sowie am 4. Mai und 25. Juni 2019 zu Preisen zwischen 12 und 96€ auf dem Programm der Komischen Oper. Norbert von Fransecky |
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