Efeu wuchert die Landgrafenburg nicht zu: Premiere von Calitxo Bieitos Tannhäuser-Inszenierung in Leipzig




Info
Künstler: Richard Wagner: Tannhäuser und der Sängerkrieg auf Wartburg

Zeit: 17.03.2018

Ort: Leipzig, Oper

Fotograf: Tom Schulze

Internet:
http://www.oper-leipzig.de

Rückblende: Wir schreiben den 20. Dezember 2009, den Tag der Tannhäuser-Premiere an der Chemnitzer Oper. Am Vortag hatte eine Grippe Dirigent Frank Beermann niedergestreckt, und am Morgen des Premierentages büßte auch noch Titelheld Jon Ketilsson seine Stimme ein. Wie die Chemnitzer diesen gordischen Knoten durchhieben, kann der interessierte Leser in der zugehörigen Rezension auf www.crossover-netzwerk.de nachlesen. Reichlich acht Jahre später hat diese Wagner-Oper nun auch Premiere in Leipzig, und zwar nicht wie ursprünglich geplant in einer neuen Inszenierung von Katharina Wagner, sondern als Übernahme einer Produktion von Calitxo Bieito an der Vlaamse Oper Gent/Antwerpen. Selbige Änderung wird zweieinhalb Monate vor der Premiere bekanntgegeben – nicht eben langfristig im Opernmaßstab mit seinen üblicherweise langen Vorlauf- und Planungszeiten, aber doch noch so, dass keine Torschlußpanik aufkommt. Auch hier aber rollt die grassierende Grippewelle in der Nacht vor der Premiere abermals an: Kathrin Göring als Venus ist angeschlagen, singt aber trotzdem – Titelheld Burkhard Fritz allerdings liegt komplett flach. Ergo ergeht ein Notruf an den in Wiesbaden befindlichen Stefan Vinke, der in Leipzig als Wagner-Tenor ja bereits einige Erfolge gefeiert hatte, und der sagt zu und setzt sich in den Zug in die Messestadt. Da ein Unglück bekanntlich selten allein kommt, schlägt auch der Winter an diesem Wochenende noch einmal zu, der Leipziger Hauptbahnhof wird komplett gesperrt, und auch auf den Straßen herrschen schwierige Bedingungen. Vinke muß die Bahn bereits in Eisenach verlassen, da der Zug nicht weiterfahren kann (dass er damit zwischen den Hörselbergen aka Venusberg und der Wartburg, also den beiden Handlungsschauplätzen der Oper, strandet, setzt der kuriosen Konstellation die Krone auf), und per Taxi erreicht er Leipzig schließlich eine Stunde vor Vorstellungsbeginn. Im Gegensatz zur 2009er Situation in Chemnitz aber wird er auch in die szenische Handlung komplett eingebunden, und das, soviel sei vorweggenommen, klappt erstaunlich homogen – offenbar hat man die Möglichkeiten der heutigen Kommunikationstechnik genutzt und schon während der Anreise diverse Dinge mit ihm durchgesprochen; möglicherweise kannte er die Inszenierung auch bereits von einem der anderen Spielorte. Als die Situation vor Beginn der Aufführung bekanntgegeben wird, bekommt Vinke spontanen Applaus aus dem Publikum.
Kathrin Göring inmitten des Chores


Hatten die Chemnitzer die 1861er Paris-Version gespielt, so steht in Leipzig die sogenannte Dresdner Fassung an, die freilich nicht mit der Uraufführungsfassung identisch ist, sondern auch Wagners erste Umarbeitungen umfaßt. An der Grundkonstellation hat sich indes natürlich nichts geändert. Der Rezensent hat die flandrische Inszenierung Bieitos ebensowenig gesehen wie die zwischenzeitlichen Aufführungen jener in Venedig und Bern, betritt diesbezüglich an diesem Abend also Neuland. Der Spanier, bekannt für relativ blutige und auch sonst eher explizite Inszenierungen, hält sich in solcherartigen Faktoren im Tannhäuser etwas zurück und setzt statt dessen auf eine interessant verquickte Grundkonstellation: Der efeuüberwucherte Venusberg im ersten Akt kontrastiert wirkungsvoll mit der extrem karg ausstaffierten Landgrafenburg im zweiten Akt, die im Prinzip lediglich aus einem kahlen Säulengerippe besteht – passend zur jetztzeitigen neutralen Kleidung der Protagonisten handelt es sich auch nicht um historische Säulenformen, sondern um einen völlig aussagelosen neuzeitlichen Betonskelettbau. Im dritten Akt aber vermengen sich diese beiden Gestaltungselemente so gekonnt, dass nicht etwa der Trugschluß aufkommt, die Burg sei im Verfall und werde jetzt vom Efeu überwuchert, sondern besagte Verschränkung, die zugleich im Geist des Titelhelden stattfindet, zum Ausdruck kommt. Dazu treten einige auf den ersten Blick unscheinbare, aber wirkungsvolle Einfälle des Regisseurs und seines Teams, etwa wenn im dritten Akt der Brunnen akustisch zunächst relativ vorlaut tröpfelt, aber im Verlaufe dieses Aktes das Geräusch immer weiter zurückgenommen wird, damit den schwindenden Lebenswillen diverser Protagonisten (und hier verlieren am Ende mal wieder alle) symbolisierend. Inwieweit sich hier zugleich bittere Ironie offenbart, muß der Besucher individuell betrachten, wenn etwa Elisabeth im zweiten Akt die „teure Halle“ der Burg akustisch zu lobpreisen hat, während sie wie erwähnt in einem völlig kahlen Skelettbau steht. Auch die Umgebung Eisenachs, wo Tannhäuser am Ende des ersten Aktes nach seiner Flucht aus dem Venusberg von seinen alten Spießgesellen gefunden wird, ist bis auf die schwarze, in Falten liegende Folie des Fußbodens völlig leer. Ob Bieito gerade deswegen als Kontrastprogramm ins Ende dieses Aktes in die Wiederaufnahmeszene Tannhäusers in seine alte Gemeinschaft eine seiner typischen Kunstblutsauereien eingebaut hat? Und wie erklären sich eigentlich Elisabeths Suizidversuche im dritten Akt, die völlig im Widerspruch zu Wolframs zu singendem Text stehen?

Musikalisch ist die Sache klarer. Am Dirigentenpult steht GMD Ulf Schirmer, und der hat in der Vergangenheit schon mehrfach bewiesen, dass er in der Lage ist, auch dichter gewobene Orchestergeflechte von Wagner-Opern mit Transparenz auszustatten – da Tannhäuser und der Sängerkrieg auf Wartburg indes nicht zu den verdichtetesten Werken des Leipziger Komponisten zählt, ist die Aufgabe sogar noch etwas leichter als in anderen von dessen Opern, und Schirmer und das im Graben sitzende Gewandhausorchester entledigen sich ihr in der üblichen kongenialen Weise, einigen kleinen instrumentalen Unfällen zum Trotz: Offenbar mußte auch das Orchester krankheitsbedingt umbesetzt werden – jedenfalls üben die Flöten in der zweiten Pause nochmal diverse Passagen bei Elisabeths Tod, und die klappen dann im dritten Akt auch prima, aber einige der nicht extra geübten Stellen sitzen dafür noch nicht ganz sattelfest. Aber schon die breite, trotzdem durchsichtige Ouvertüre (mit wonnigem Holz) macht klar, dass wir orchesterbezüglich mal wieder eine Spitzenleistung erwarten dürfen, und über weite Strecken gelingt die dann auch – die Düsterspannung in Elisabeths Tod etwa läßt sich förmlich mit Händen greifen. Überwiegend Exzellentes leistet auch der Chor, der nur ganz am Ende arg wackelt, sich aber noch rechtzeitig fängt – und dafür, dass er als Zuschauer im Sängerwettstreit ungefähr so nervös agieren muß wie ein Teeniepublikum beim Auftritt von Star XY, was ziemlich bemüht wirkt, kann er ja nichts.
Elisabet Strid


Von den Solisten ruhen alle Augen und Ohren natürlich auf Göring und Vinke. Erstere kappt diverse Auslaute etwas und hat Mühe beim Gleiten nach oben, liefert für ihren angeschlagenen Zustand aber trotzdem eine starke Leistung ab. Vinke dagegen ist den Leipzigern von früher her im Wesentlichen für seine Sattelschlepperpower bekannt, was ihm natürlich auch im Tannhäuser hilft, sich an den richtigen Stellen gegen das Orchester durchzusetzen. Am anderen Ende der Dynamikskala aber hapert es bei ihm: Leise Töne sind nicht seine Stärke, auch an diesem Abend nicht, während seine Einpassung ins Gesamtgeschehen der Inszenierung wie bereits geschildert allerhöchsten Respekt verdient. Zum gesanglichen Gewinner des Abends wird aber trotzdem Elisabet Strid als Elisabeth, die anfangs in den Höhen angestrengt klingt, sich aber bald freisingt und zudem einige berückende Pianissimi an den Tag legt. Solide besetzt sind die weiteren Rollen, wobei Danae Kontora als Hirt unbedingt an ihrem Deutsch arbeiten sollte, während Rúni Brattaberg seinen Landgraf Hermann mit einer Portion Brüchigkeit in den Tiefen ausstattet, was vielleicht als Absicht gewertet werden darf und zum Hin-und-Hergerissensein der Rolle auch prima paßt.

Spannend bleibt die Reaktion der Leipziger auf diese Aufführung. Bieito eilt ja ein gewisser Ruf voraus, während das Leipziger Publikum blutige Orgien gar nicht mag, wie man spätestens seit Michael von zur Mühlens legendärem Horrorkomödien-Versuch in Der fliegende Holländer anno 2008 weiß. So überrascht es nicht, dass sich schon nach dem ersten Akt, der mit dem erwähnten blutigen Wiederaufnahmeritual abgeschlossen wird, ein Buh-Bravo-Wettstreit entspinnt, der sich am Ende der Oper, wenngleich in abgeschwächter Form, noch einmal wiederholt, während die musikalische Fraktion einhelligen Applaus erhält – allerdings lange nicht in der Intensität, wie man das von vergleichbaren Premieren an gleicher Stelle gewohnt ist. Dass der Applaus von selber abebbt, noch ehe der Vorhang zugezogen wird, hat der Rezensent lange nicht erlebt. So bleibt offen, wie die Reaktionen ausfallen, wenn bei den Folgeaufführungen dann die „richtige“ Besetzung am Start ist. www.oper-leipzig.de verrät die Termine.


Roland Ludwig



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