Bruckner, A. (Herreweghe)
Sinfonie Nr. 5
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Info |
Musikrichtung:
Romantik Sinfonie
VÖ: 13.03.2009
(Harmonia Mundi / Harmonia Mundi / CD / DDD / 2008 / Best. Nr. HMC 902011)
Gesamtspielzeit: 73:14
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EIS-BRECHER
Von allen Sinfonien Anton Bruckners ist die Nr. 5 wohl die kühlste, sperrigste, fordernste. Die Uraufführung kurz vor dem Tod des Komponisten erfolgte denn auch in einer arg verstümmelten, angewagnerten Fassung. Nur so, bereinigt von den handwerklichen und stilistischen „Fehlern“ des Komponisten, glaubte man, sie dem Publikum zumuten zu können.
Gegner der Komponisten dürften sich angesichts der Originalversion in ihrer Ablehnung bestätigt sehen: Disparatestes, streng geformtes thematisches Material wird bereits im 1. Satz einfach nebeneinandergesetzt, ohne dass sich der größere architektonische Zusammenhang sofort erschließt. Meist ungemischt, brucknerisch hart, ja derb erscheinen die Orchesterfarben. Zwischen den einzelnen Blöcken gibt es keine Übergänge, weder motivische noch farbliche, die die Setzungen logisch oder organisch erscheinen ließe. Wie kaum in einem anderen Werk des Komponisten muss der Hörer konzentriert die sich über große Zeiträume erstreckende thematische Arbeit verfolgen. Bewegungsimpulse, die das Werk voranbringen, gar zum „Durchbruch“ führen könnten, werden von Bruckner oft gar nicht aufgenommen; dagegen bricht er Prozesse, die in Gang gekommen scheinen und das Hören stabilisieren könnten, schnell wieder ab.
Dieser konsequente „stop-and-go“-Stil verleiht dem Werk einen sowohl modernen wie auch widerspenstigen Charakter. In Vielem scheinen embryonalhaft die folgenden Werke, vor allem die 7., 8. und 9. Sinfonie mit ihrem vergleichsweise größeren Atem anzuklingen: die 5. bildet gleichsam das Reservoir vieler Themen-Typen, die dann in den jüngeren Kompositionen breiter, gewissermaßen ozeanischer entfaltet werden. Was dieses Stück überdies auszeichnet, ist ein kontrapunktischer Ehrgeiz, der im 4. Satz gleich vier Themen in Fugenform verarbeitet. Auch sonst kombiniert Bruckner gerne das scheinbar Widersätzliche und Querständige, wobei bei einer Aufführung der Wahl der richtigen Temporelationen für die Integrität des Riesenbaus besonders große Bedeutung zukommt.
Nicht zuletzt bei der Nachzeichnung der polyphonen Verläufe gelingt Philippe Herreweghe mit seinem auf historischen Instrumenten spielenden Orchestre des Champs-Élysées eine Durchhörbarkeit, die den Zugang zu dem Werk doch wieder enorm erleichtert. Stets bleibt er dabei seinem Ansatz treu, dass es genüge, einfach das zur Darstellung zu bringen, was der Komponist notiert habe.
Die Balance im Orchester erlaubt es, selbst im Tutti Bruckners motivisches Verwirrspiel zu durchhören. Hier zahlt sich die Vertrautheit des Dirigenten mit barockem und vorbarockem Repertoire aus. Und obwohl Herreweghe bestimmt kein Freund harter Tongebung und zu kräftiger Akzente ist, kommen Feuer und Schärfe des brucknerschen Orchesterklangs machtvoll zur Geltung. Dabei reicht die dynamische Spreizung von einem gerade noch vernehmbaren Pianissimo bis hin zu einem brillanten, markigen Fortissimo.
Was die Tempi angeht, fällt der durchgängige Verzicht auf theatralische Rubati und ähnliche Tempomodifikationen auf; Herreweghe lässt sich den Satz bei dynamischem, doch nicht hastigen Grundpuls mit mitunter pointilistischer, ja uhrwerkartiger Präzision entfalten. In solcher Differenzierung erschließt sich das dramatische Potential wie die strukturelle Komplexität der Sinfonie ohne Kraftmeierei.
Wie man es auch nimmt: Es bleibt ein rätselhaftes Stück Musik, ein „mittleres“ Spätwerk. Herreweghe ist eine einprägsame Einspielung voller neuer Hörperspektiven gelungen, die durchaus das Zeug hat, das Eis für diesen Sonderling unter Bruckners wahrlich sonderbaren Sinfonien zu brechen.
Georg Henkel
Trackliste |
1 | Adagio – Allegro | 20:12 |
2 |
Adagio | 18:08 |
3 |
Scherzo, molto vivace (Schnell) | 12:27 |
4 |
Adagio – Allegro moderato | 22:27 |
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Besetzung |
Orchestre des Champs-Élysées
Leitung: Philippe Herreweghe
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