MOTORPSYCHO - Reihenweise neuer Impulse
Info |
Gesprächspartner: Snah Ryan (Motorpsycho)
Interview: Telefon
Stil: Epic Rock
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Eigentlich sind diese Momente mitnichten so klein, wir hier inseriert. Denn nach ihren mehr oder weniger ausgiebigen Ausflügen in die allumfassenden Refugien von Psych-Pop, Flower Power und Stonerrock findet man sich einmal mehr dort wieder, wo sich seit Jahren schon Timothy’s Monster und Angels & Daemons At Play zum fröhlichen Stelldichein treffen. Was nun, auf die Little Lucid Moments bezogen, bedeutet, dass hier einmal mehr die Prioritäten auf Raum bietende Strukturen gelegt wurden. Mit dem neuen Schlagzeuger Kenneth Kapstad präsentiert sich Motorpsycho dann auch zum ersten Mal nach zwei Jahren wieder als richtige Band und bestätigen dies mit einem Album, welches zwar ‚nur’ vier Songs bietet, diese mit von elf bis einundzwanzig Minuten umfassenden Spielzeiten vollends genügen, um die neue/alte Inkarnation der umtriebigen Trondheimer hervorzuheben. Gewagt ist es schon, diesen einstündigen Exkurs gleich mit dem längsten Stück, der vierteiligen „Suite: Little Lucid Moments“ einzuläuten, da man an der sich hier bietenden Sturmflut von Eindrücken doch mächtig zu kauen hat. Hier kommt der Motor mächtig in Fahrt, was auch voll ausgekostet wird, da mit „Year Zero (A Damage Report)“, nein, kein Stillstand, wohl aber ein kurzes Innehalten passiert, das sich im Lauf des Geschehens zum noisig-freakigen Orkan entwickelt. Und dieser wirbelt, mehr oder weniger heftig, durch die jeweils knapp viertelstündigen Kraftpakete „She Left On The Sun Ship“ und „The Alchemyst“, womit man am Ende einerseits mächtig ausgelaugt ist, andererseits aber um einige Erfahrungen reicher fühlt. Und diese Erfahrung teilt MP-Langzeitmember Snah Ryan an dieser Stelle erst einmal mit uns.
MAS:
Die „Little Lucid Moments“, euer neues Album, wirken dann wirklich mehr back to „Timothy’s Monsters“ als „Black Hole/Blank Canvas“ oder gar „It’s A Love Cult“ je waren.
Snah:
Ja, ich denke auch, dass das neue Album diese Tradition fortführt. Aber ich glaube, dass hier keine Absicht im Spiel war, denn „Timothy’s Monster“ ist jetzt auch schon knapp fünfzehn Jahre alt und es ist somit schon eine Weile her, als wir dieses Album eingespielt haben. Es ist auch keine Absicht, das Rad der Zeit zurückzudrehen oder gar in Nostalgie für die Neunziger zu schwelgen. Ich sehe es auch überhaupt nicht ein, in dieser Weise zurückzublicken. Weder in meinem Leben noch in der Musik, die ich mache. Meiner Meinung nach sind die neuen Songs schwer zu spielen und für uns auch überaus gewagt. Aber wir streben hiermit wieder hin zu unserer Trio-Besetzung und somit weg vom so genannten ‚Kammer-Pop’, da wir nun wieder eine Band sind und somit auch wieder live spielen können. Wir sind uns dieses Mal auch nicht sicher, was das neue Album nun genau ist und nach was oder wie es klingt. Die Songs hierauf entwickelten sich von selbst und bekamen so schnell ein Eigenleben. Nach zwanzig Alben denken wir auch nicht mehr unbedingt über ein festes Konzept nach. Wir lassen den Dingen ihren Lauf und schauen, was dabei herauskommt. Das heißt, dass wir uns in unserer Musik verlieren und hinterher immer selbst erstaunt sind, was passiert beziehungsweise herausgekommen ist. Ich denke auch, dass jetzt eine neue Vitalität in der Band zu spüren ist, was sicherlich auch mit ein Verdienst unseres neuen Schlagzeugers Kenneth ist. Ich habe auch das Gefühl gehabt, dass er Bent und mich ein wenig gepusht hat und wir, mit dieser Art Antrieb, schon ein wenig aus uns herausgewachsen sind.
MAS:
Und was waren die Gründe, es doch noch einmal mit einem neuen Mitglied zu versuchen?
Snah:
Nach dem „It’s A Love Cult“-Album verließ bekanntlich unser alter Drummer Hakon Gebhardt die Band, um sich doch mehr auf seine eigene Musik konzentrieren zu können. Er hatte genug vom ewig gleichen Rhythmus aus Plattenaufnahmen und extremen Touring. Und er hatte genug davon, Schlagzeug zu spielen. Er wollte sich auf das konzentrieren, was ihm wirklich am Herzen lag, nämlich Banjo und, damit verbunden, akustischer Musik. Das Problem war, dass Bent und ich nie aufgehört haben, Songs zu schreiben, so dass es für uns eigentlich keine andere Option gab als weiterzumachen. Wir versuchten es dann auch mit einem Drummer aus Holland, aber dieser hatte keine Zeit, um mit uns zu arbeiten. Dann trafen wir vor ungefähr einem Jahr hier in Trondheim Kenneth. Und das war, wegen der Proben, schon günstig für uns, dass er aus der gleichen Stadt kam. Wir probten das ganze Jahr hindurch und schrieben so viel neuen Stuff, dass dieser sogar für unser übernächstes Album reicht. Aber dafür lassen wir uns dann doch noch ein wenig Zeit. Das Problem in der Zeit, als wir keinen festen Drummer hatten, war, dass uns die richtigen Impulse fehlten.
MAS:
Ron Wood brauchte 28 Jahre, um ein Stone zu werden. Wie lange wird Kenneth brauchen, um ein ‚richtiger’ Motorpsycho zu werden?
Snah:
(lacht) Ja, das ist gut. Nein, ich denke, dass Kenneth von Anfang an ein gleichwertiges Mitglied in der Band war. Das liegt auch mit daran, dass er sich von Anfang an mit unserer Musik identifizierte, hierbei auch keine falsche Bescheidenheit kannte und uns, wo es angebracht war, verbesserte und vor allem, wie vorhin schon angesprochen, reihenweise neue Impulse lieferte. Jeden Tag, den wir zusammen spielten, war für uns alle ein Fortschritt. Und deswegen war Kenneth auch von Anfang an ein Motorpsycho.
MAS:
Werdet wir wieder, wie sonst auch, mit zahlreichen Gastmusikern unterwegs sein?
Snah:
Zur nächsten Tour werden wir auf jeden Fall als Trio spielen, da die neuen Songs auch für ein Trio geschrieben wurden. Ich denke, dass hält die Songs auch entsprechend frisch, diese zu dritt und nicht mit unzähligen Gastmusikern zu spielen. Und die Magie stimmt, was vor allem für die improvisierten Parts zutrifft, die uns in dieser Besetzung schon ein wenig abzuverlangen. Mit einem vierten Mann wäre das echt zu einfach. Somit sind wir in dieser Besetzung einfach am effektivsten.
MAS:
Eine Stunde „Little Lucid Moments“ ist dann auch überaus schwerer Tobak. Wie würdest du selbst diese Sache bescheiben?
Snah:
Das Album zu hören ist, wie ein Buch zu lesen. Einem mitreißenden Prolog folgt der etwas versöhnliche Mittelteil, woraufhin sich die Story verschiedene Richtungen offen hält, um schließlich in einem bombastischen Ende zu münden. Ich denke, dass es in dem Album hinsichtlich der Action und der daraus entstehenden Resultate eine Menge an Wendungen gibt, was daran liegt, dass sich alles auf gerade einmal vier Tracks konzentriert. Es ist hier eine Menge an Energien auszumachen, was nun einmal überhaupt nichts mit dem zu tun hat, was wir Anfang 2000 gemacht haben. Hier explodierten die Aggressionen, die sich nach einer langen Periode softer und ruhiger Popmusik in uns aufgestaut haben, förmlich. Ich denke, es ist für uns selbst eine Art Befreiungsschlag.
MAS:
Aber, meiner Meinung nach war eurer letztes Album „Black Hole/Blank Canvas“ deutlich aggressiver…
Snah:
Ja, vielleicht von Sound her. Wir selbst fühlen uns, eben auch mit bedingt durch den neuen Drummer, auf dem neuen Album deutlich heavier und aggressiver. Ich finde die neue Platte auch deutlich kantiger, sperriger und somit deutlich interessanter.
MAS:
Flower-Power, Kammerpop, Stonerrock, Country oder Psychedelic. Wo ist nun die wahre Inkarnation von Motorpsycho zu suchen?
Snah:
Ja, manchmal fühle ich mich wirklich dementsprechend schizophren, wie es unser Output in den Zweitausendern war. Aber ich glaube, der wahre Kern in der Musik von Motorpsycho hat eine Menge mit dem neuen Album zu tun. Aus heutiger Sicht sehe ich Alben wie „Phanerothyme“ und „It’s A Love Cult“ dann auch als eine Art Experiment, wie weit wir stilistisch gehen können. Das war somit eine Art Auslotung unserer stilistischen Grenzen. Heute legen wir das Hauptaugenmerk auf Songs, die wir auch live spielen können. Und gerade die Songs von diesen beiden Platten waren durch ihre Orchestrierungen, den reichlich Overdubs und Delays sowie der Instrumentierung und den doch recht ausgiebigen Arrangements live wirklich schwer umzusetzen. Vor allem ein Song wie „Blindfolded“ ist ein bitch to playing live. Es ist wirklich schwer, akustische Gitarre zu spielen und gleichzeitig zu singen. Das war damals eine Phase von Motorpsycho, die wir irgendwann vielleicht noch einmal aufgreifen werden. Aber heute widmen wir uns erst einmal anderen Sachen.
MAS:
Was kann man live dann für Sachen von euch erwarten?
Snah:
Auf jeden Fall werden wir versuchen, das komplette neue Album zu spielen. Und vielleicht auch noch ein paar von den ganz, ganz neuen Stücken. Dann sicherlich auf jeden Fall noch a couple of golden oldies.
MAS:
Was war die Absicht, das Album fast komplett live einzuspielen?
Snah:
Weil wir zurzeit in der überaus glücklichen Lage sind, zwei bis drei Stunden live zu spielen, ohne uns wiederholen zu müssen. Mit der neuen Platte realisierten wir aus diesem Grund im Studio ein fast einhundertprozentiges Livealbum, da das ganze Album auf Live-Takes basiert. Und es ist der Sinn unserer Arbeit, dass wir die uns zur Verfügung stehenden Möglichkeiten auch für uns entdecken können. Diese Arbeitsweise ist dann auch ungefähr mit jener gleichzusetzen, welche die meisten Bands in den Siebzigern an den Tag legten – ins Studio gehen, die Mikros anschalten und einfach drauflos spielen. So lernt man auch, perfekt zu harmonieren, was dann vor allem für die Aktivitäten auf der Bühne eine große Rolle spielt. Das heißt, dass wir schon zusehen, ohne Overdubs zurechtzukommen, die so nur den Sound und die Dynamik der Aufnahmen zerstören. Und so sind auch die Improvisationen, die hier, auf „Little Lucid Moments“ wieder mehr zur Geltung kommen, für die Band unheimlich wichtig. Und deswegen besitzt das Album auch eine unvergleichliche Liveenergie.
Carsten Agthe
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