Ein Interview-Rückblick auf die frühen Jahre – The Story of HOELDERLIN, Kapitel 6
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In den vergangenen fünf Monaten haben wir die Geschichte Hoelderlins anhand der ersten vier Studio-Alben und dem Live-Doppeldecker Traumstadt nachgezeichnet. Danach sollte es zum großen Bruch in der Bandgeschichte kommen. Bevor wir uns damit beschäftigen hat Norbert von Fransecky seine im Laufe der ersten fünf Kapitel gesammelten Fragen zusammengetippt und an Basser Hans Bäär geschickt, der sie in der Rekordzeit von sechs Stunden beantwortet zurück mailte. Rekordverdächtig!
Auf die Eingangsfrage, wie es denn eigentlich zum Bandnamen gekommen ist musste Norbert sich noch mit dem recht einsilbigen Hinweis, der sei von einem Freund vorgeschlagen worden zufrieden geben. Aber dann begannen die Tasten zu qualmen.
MAS: Ihr habt das erste Album in einer politisch sehr lebendigen Zeit aufgenommen. Und ganz frei von politischen Tönen ist auch Euer Album nicht. Welche Bedeutung hatte die politische Dimension für Hoelderlin?
Hans Bäär: Wir waren Anfang der 70er durchaus politisch denkende Menschen. Wir waren jung und träumten von einer sanften Revolution und von einer besseren, gerechteren Weltordnung. Damals wie heute empfinden wir die Verschwendung und den Raubbau natürlicher Ressourcen als unerträglich. Wir wussten im Grunde doch alle, dass Profitdenken, Bildungsmangel, der individuelle Egoismus und die kontinentale wirtschaftliche Gleichschaltung schon damals die größten Probleme global verursachten und die politischen Führer sich mittelalterlich denkend verhielten. In unsere Musik haben wir unser politisches Bewusstsein jedoch lediglich in Bildern oder Gleichnissen einfließen lassen. Wir waren zornig und jung, aber eine leise Band.
MAS: `Hoelderlins Traum´ befindet sich etwas zugespitzt musikalisch zwischen Ougenweide und Eloy. War Euch bei oder nach der Aufnahme schon klar, in welche Richtung der Zug fahren würde? Wie hat sich der Abnabelungsprozess vom Folk gestaltet?
Hans Bäär: Wir liebten die Musik von Bands wie z.B. Traffic, Pentangle, Fairport Convention, Grateful Dead, Soft Machine, Gentle Giant, King Crimson, Genesis etc., hatten also musikalisch die verschiedensten Einflüsse in uns aufgesogen, verfeinerten aber auch unser Improvisations-Spiel kontinuierlich. Zu hause hörten wir auch viel Klassik aus der impressionistischen Phase und Spät-Klassiker wie Bartok, Tschaikowsky und Strawinsky. Für uns war immer schon der Weg das Ziel. Der Abnabelungsprozess vom Folk begann mit dem Ausscheiden von Nanny (Nanny de Ruig, Sängerin; NvF) und dem Einsatz elektronischer Instrumente.
MAS: War so etwas wie Eloy, an dem ihr Euch orientiert habt, überhaupt schon in Sicht? Oder seid ihr da eher Mitarbeiter an einem Experiment in den offenen Raum hinein gewesen?
Hans Bäär: Wir waren wohl tatsächlich eher Mitarbeiter an einem Experiment in den offenen Raum. Eloy waren übrigens nie unser Vorbild. Aus unserer Sicht haben die sich ähnlich wie z.B. Jane an anderen Bands wie z. B. Pink Floyd orientiert.
MAS: Der Titel der zweiten LP wäre der klassische Titel für ein Debütalbum gewesen. Habt Ihr die Scheibe mit dem klaren Bewusstsein veröffentlicht, dass hier etwas ganz Neues beginnt? Diskografie | 1972: Hoelderlins Traum
1975: Hoelderlin
1976: Clowns & Clouds
1977: Rare Birds
1978: Live; Traumstadt
1979: New Faces
1981: Fata Morgana
2007: 8 |
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Hans Bäär: Klar bedeutete das einen Neuanfang und eine Herausforderung, da die Stimme der Band (Nanny) nicht mehr zur Verfügung stand und sich die Band bereits weiterentwickelt hatte. Das Album sollte ursprünglich Für Fritz heißen (Friedrich Hölderlin) und wurde auf Wunsch der Plattenfirma schließlich in Englisch produziert und kurzfristig in Hoelderlin umgetauft.
MAS: Woher stammt der Track „I love my Dog“? Er klingt wie ein Überbleibsel aus der ersten Bandphase?
Hans Bäär: Da die Band jahrelang juristisch nicht aus dem Vertrag mit R.U. Kaiser (PILZ-Label) herauskam, hatte sich natürlich in den Jahren 1973-75 viel Material angesammelt, so auch „I love my Dog“.
MAS: Warum gibt es als Bonus gerade den etwas „gestoppelten“ Song „Deathwatchbeetle“? Was für ein Prozess hat von der Aufnahme der Live-Version bis zur späteren LP-Version stattgefunden – eine bewusste Emanzipation von Genesis, oder „nur“ der Einbau weiterer Elemente?
Hans Bäär: Die Version des Bonustracks entstand über sechs Monate vor der Album-Produktion als Livemitschnitt. Das war die Urform des komplexen Werks von Joachim Grumbkow. Wie man auch unschwer auf unserem Livealbum feststellen kann, waren alle unsere Stücke ständig 'in progress' und veränderten sich von Konzert zu Konzert, da es auch sehr viele freie Passagen gab. Im Fall von „Deathwatchbeetle“ genossen wir im Studio natürlich auch das größere Instrumentarium (z.B. den Flügel), das uns zur Verfügung stand und die 16-Spur Technik, die ein paar Tricks und Überblendungen ermöglichte.
MAS: Ihr habt zumindest zum Teil gemeinsam in einem Haus in Wuppertal gewohnt. Das Ausprobieren alternativer, kollektiver Lebensformen war damals "in" (Die Scherben, Kraan,..,). Waren auch Hoelderlin damals eine Art Kommune?
Hans Bäär: Wir lebten nie zusammen als Kommune, aber durchaus gemeinsam in kleineren Einheiten. So teilte ich z.B. mit Michael eine Wohnung in dem Haus, in dem auch Jochen wohnte. Christian lebte keine 100m weit weg. Auch Nops lebte damals nur eine Querstraße entfernt.
MAS: Das Stück „Clowns“ wird von Christian und Hans in den mir bekannten Texten unterschiedlich bewertet. Was stand bei der Konzeption im Vordergrund – Gesellschaftskritik oder Theaterrock?
Hans Bäär: Gesellschaftskritik! Das Theatralische war Gewand und Ausdrucksform.
MAS: Warum sind in den Remasters keine Texte abgedruckt? Sind die Texte für Euch von nachrangiger Bedeutung?
Hans Bäär: Frage bitte an G. Gliniorz von der EMI.
MAS: In meiner Review zu `Rare Birds´ habe ich geschrieben: „Dabei setzen „Häktik Intergaläktik” und “Necronomicon” den von der „Schwebebahn“ bekannten typischen Hoelderlin-Stil fort.“ Würdet Ihr dem zustimmen, dass insbesondere „Häktik Intergaläktik” und „Schwebebahn“ in besonderer Weise für den Stil Hoelderlins stehen – oder ist das meine subjektive Wahrnehmung, die auch darauf beruht, dass ich Hoelderlin durch einen Sampler kennen gelernt habe, auf dem gerade diese beiden Stücke vertreten waren?
Hans Bäär: Das kann man gerne so sehen. Wir halten aber auch den Rest des Albums (vielleicht ohne „Skylift“... ;-) für eine konsequente Weiterentwicklung des Bandsounds damals.
MAS: Woran liegt es, dass gerade bei diesem Album, das ja gerne als euer Magnum Opus betrachtet wird, so wenig Boni in der Remaster-Edition enthalten sind?
Hans Bäär: Da das Gros bereits auf Traumstadt veröffentlicht wurde. Wir haben 1977 beide Alben aufgenommen und sehr viel getourt. Dadurch gab es weniger neue Songs, die in dieser Zeit entstanden sind.
MAS: Während der `Traumstadt´-Tour war bereits klar, dass Euer Gitarrist Pablo Weeber aussteigen würde. Was hat das für die Atmosphäre auf der Tour und auf der Bühne bedeutet?
Hans Bäär: So klar war der Ausstieg von Pablo nicht unbedingt. Wir wussten alle, dass er sich in Deutschland nicht wohl fühlte und es wohl früher oder später dazu kommen würde. Das hat natürlich unsere Stimmung auf Tour beeinträchtigt, aber trotzdem waren wir auf der Bühne ein gutes Team! Ich habe Pablo übrigens seit dem Mitschnitt für Traumstadt nicht mehr getroffen. Er hat sich vergangenes Jahr per e-mail aber bei mir gemeldet. Als Traumstadt veröffentlicht wurde, war Pablo schon fast ein halbes Jahr nicht mehr dabei.
MAS: Ihr habt `Traumstadt´ also in dem Bewusstsein veröffentlicht, dass Weeber in Zukunft nicht mehr dabei sein würde. Heute wissen wir, dass damals ein deutlicher Einschnitt in der Geschichte der Band entstanden ist. Vergiss einmal alles, was Du heute weißt. Welche Perspektiven für Hoelderlin standen Euch damals vor Augen?
Hans Bäär: Wir hatten damals große Pläne mit unserem neuen Gitarristen Thomas Lohr und tourten wieder sehr viel. Ein wesentlich größerer Einschnitt war 1978 der Ausstieg von Nops und Michael. Damit wurden Christian, Jochen u. ich in eine schwierige Lage versetzt und hätten fast alles hingeschmissen.
MAS: Der `Traumstadt´-Re-Release ist außerhalb der Remaster-Reihe schon einige Monate vorher erschienen. Warum? War das eine Marketing-Strategie der EMI?
Einige Bemerkungen im Booklet klingen, als habe man vor einer Wiederveröffentlichung des kompletten Hoelderlin-Katalogs erst noch einmal die Marktfähigkeit der Band überprüfen wollen.
Hans Bäär: Das ist leider wahr. Gäbe es keine Band die unter dem Namen Hoelderlin Platten und Konzerte macht, wäre der Backkatalog so wohl nicht erschienen.
MAS: Was war eher – die `Traumstadt´-Veröffentlichung oder die Reformierung der heutigen Besetzung von Hoelderlin? Hat das eine das andere befördert?
Hans Bäär: Zuerst gab es die Wiederveröffentlichung mit der Überlegung ein paar wenige, erlesene Konzerte zu geben, um die Reaktionen zu testen. Nops, Michael und ich wollten mit einem Gitarristen und einem Keyboarder antreten. Der wichtigste Impuls war sicherlich die Offerte einen Rockpalast-Mischnitt zu machen. Da stand Nops dann leider plötzlich nicht mehr zur Verfügung. Von da an nahmen die Dinge ihren Lauf und es entwickelte sich eine große Dynamik im gesamten Prozess. Michael und ich stellten eine neue Band zusammen, die sich von Anfang an musikalisch und menschlich sehr gut verstand und weiterentwickelte. Der Schritt in Richtung eines ganz neuen Albums war da ganz selbstverständlich.
MAS: In den Booklets zur Remaster-Ausgabe kommst immer wieder Du zu Wort. In `Traumstadt´ sind ausschließlich Kommentare von Christian Grumbkow zu lesen. Wie kommt es dazu? War die heutige Band beim `Traumstadt´-Re-Release noch nicht beteiligt?
Hans Bäär: Ja, das ist richtig. Michael und ich haben erst kurz vor dem Rockpalast Ende 2005 den Namen Hoelderlin im Einvernehmen mit Christian und ehemaligen Bandmitgliedern übernommen. Die geschäftlichen Belange regele ich seitdem kommissarisch. Wir suchen bereits seit 2006 ein Management.
Aber auch ohne Management sind Hoelderlin seit drei Jahren wieder aktiv. Im letzen Jahr ist das derzeit aktuelle Album 8 erschienen. Für dieses Jahr sind unter anderem Festival-Auftritte auf der Loreley und in Burg Herzberg angekündigt. Bevor wir uns aber mit 8 beschäftigen, werden in den nächsten beiden Ausgaben die beiden Alben folgen, die Hoelderlin vor ihrem Split noch veröffentlicht haben.
Schon vorweg sei gesagt, dass sie im Hoelderlin-Fan-Lager höchst umstritten sind und zumindest als Abfall von der reinen Lehre betrachtet werden.
Wenn dann im Juli alles gesagt ist, werden wir uns noch einmal mit ein paar Fragen an Hoelderlin wenden, um zu erfahren, wie die Band heute zu diesen beiden Alben steht und was wir in Zukunft von Hoelderlin erwarten dürfen.
Fortsetzung folgt
Norbert von Fransecky
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