Musik an sich


Reviews
Vivaldi, A. (Gatti)

Sonaten für Violine, Cello und Cembalo op.2 (1709)


Info
Musikrichtung: Barock Violine

VÖ: 01.01.2007

Glossa / Note 1
CD (AD DDD 2005) / Best. Nr. GCD 911202


Gesamtspielzeit: 71:34



NOBLE SPIELFREUDE

Vivaldi? Vivaldi! Aber noch ganz ohne jenen phantastisch-virtuosen Sound, für den der Rote Priester nur wenig später berühmt werden sollte. Vorliegende Auswahl aus den 1709 erschienen Sonaten für Violine, Cello und Cembalo kennzeichnet ein geradezu klassisches Maß. Der damals immerhin 30 Jahre alte Komponist pflegt hier einen eleganten aber keineswegs trockenen Stil. Das Vorbild Corelli ist unüberhörbar, wobei es Vivaldi nicht nur bei thematischen Anspielungen belässt, sondern Motive des großen Vorbilds sogar wörtlich zitiert. Das Neue, Vivaldi-Typische kündigt sich freilich auch schon an: in Satztypen wie dem Capriccio z. B., die der musikalischen Fantasie erweiterte Spielräume eröffnen, die sich dann auch anderswo Bahn bricht. An Einfällen mangelte es dem Venezianer hier keinesfalls.

Bemerkenswert an dieser Einspielung durch Emilio Gatti und das Ensemble Aurora ist eine für die heutige Vivaldi-Aufführungspraxis geradezu entspannte Herangehensweise. Wobei damit nicht jener gepflegte Ton gemeint ist, mit dem man Vivaldi vor (und noch lange nach) der Morgendämmerung der historisch informierten Aufführungspraxis Witz und Vitalität ausgetrieben hat.
In seinem gedankenreichen Begleit-Essay wendet sich Gatti allerdings deutlich gegen das andere Extrem: den schematischen pseudo-barocken Verismo-Stil, dessen Überspanntheiten aus Vivaldis Musik ein „Sammelbecken für ... Übertreibung, Zügellosigkeit und Vulgarität“ gemacht habe. Die pauschale Bevorzugung massentauglicher Effekte führe in Wirklichkeit zu einer Verarmung der historisch gewachsenen Vielfalt der musikalischen Sprachen.
Gatti und seine Begleitung suchen nach dem „anderen“ Vivaldi jenseits moderner Extravaganzen. Sie setzen bewusst auf die Subtilität und blühende Sanglichkeit der Vivaldischen Musik, ihre Feinheit, ihr zarten Schwünge, ihr vornehmes Temperament und ihre stilvollen Verzierungen. Das Trockene, Eruptive und Rockige überlassen sie gerne anderen. Wobei der „frühe“ Vivaldi sich für derartige Zurüstungen per se weniger eignet als der spätere Komponist virtuoser Tonmalereien. Auf diesem Feld würde man einmal gerne Gattis Auffassung im direkten Vergleich z. B. mit Il Giradino Armonico hören!
Dennoch: Auch der „junge“ Vivaldi hat keine barocke Ambiente-Musik geschrieben, die sich nur darin gefällt, den Schwung der Möbel nachzuahmen. Klangliche und dynamische Zuspitzungen hier und da hätten sich durchaus mit Musik und Interpretationsansatz vertragen. Etwas mehr Biss, gerade in den schnellen Sätzen, und Vivaldis Originalität wäre noch schöner hervorgetreten.

Dass die rund 70 Minuten bei Gatti & Co nicht ermüden, sondern jeder Satz seine individuelle Schönheit entfalten kann, spricht grundsätzlich für die noble Spielfreude, die die Ausführenden dem Venezianer angedeihen lassen. Das Klangbild ist natürlich, direkt, aber nicht plakativ. Auch editorisch lässt das Projekt keine Wünsche offen.



Georg Henkel



Trackliste
101-04 Sonata II
205-08 Sonata III
309-12 Sonata IV
413-15 Sonata VII
516-19 Sonata I
620-23 Sonata IX
724-26 Sonata V
Besetzung

Emilio Gatti, Violine
Ensemble Aurora


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