Musik an sich


Reviews
Stranz, U. (Diverse)

nicht mehr - noch nicht / Contrasubjekte u.a.


Info
Musikrichtung: Neue Musik Ensemble

VÖ: 01.01.2007

Wergo / Note 1
CD (AD DDD 1971-2002) / Best. Nr. WER 66882


Gesamtspielzeit: 76:38



DER FERNE KLANG

Die Musik von Ulrich Stranz (1946-2004) fügt sich nicht in gängige Avantgarde-Schemata. Es sei denn, man empfindet die Reaktivierung tonaler Musik im Kontext der Neuen Musik nach 1945 schon wieder als subversiv und forwärtsweisend. Dabei verliert Stranz sich keinesfalls an postmoderne Heimeligkeit oder pflegt vordergründig den „schönen Klang“.
Die Ausflüge in tonale Gefilde klingen bei Stranz alles andere als beruhigend und nostalgisch, sondern erschließen durchaus unvertrautes und unsicheres Terrain. Funktionale Harmonik im strengen Sinne findet sich eher selten und dann mehr in Form von Zitaten. Es gibt aber deutliche harmonische Gravitationszentren und wiederkehrende Motive, prägnante Rhythmen, klare Gesten, Ausdruck im weitesten Sinne. Um strukturelle Abstraktion allein geht es Stranz nicht.

Offenheit und Durchhörbarkeit machen es zunächst leicht, in diese Musik hineinzukommen. Doch schon die wuchernden rhythmischen Knoten und Widerhaken in nicht mehr - noch nicht verhindern ein entspanntes Zurücklehnen. Umso eigentümlicher die Wirkung, wenn das Stück mit einer schlichten, sanglichen Melodie endet. Verheißung oder Erlösung? Eine Erinnerung an ferne Klänge? Romantische Sehnsucht gar?
Stranz’ Musik gibt keine eindeutigen Antworten, selbst da nicht, wo sie zum Tanz aufspielt. Die Polkas, Ragtimes und Walzer aus Serenade entpuppen sich nämlich bald als grell übermalte, leere Kulissen. Dass Stranz den Musikern hier improvisatorische Freiheiten einräumt, verleiht diesen Masken freilich eine gewisse Unberechenbarkeit und Lebendigkeit.
Wie eine verfremdend eingefasste Reliquie wirkt dagegen das Zitat aus Bachs Contrapunctus XIV in Contrasubjekte. Stranz Meditation über dieses altmeisterliche Stück endet mit einem verminderten Dreiklang. Auch hier also offene Enden, abgerissene Fäden, klangliche Fragezeichen.

Durchweg sehr gut gelungen sind die Interpretationen dieser nur auf den ersten Blick „neuen musikalischen Einfachheit“. Wie eigentlich immer bei Wergo wird die Edition mit ausführlichem Beiheft die Produktion vorbildlich abgerundet.



Georg Henkel



Trackliste
nicht mehr - noch nicht für Kammerensemble
Contrasubjekte. Passacaglia über B-A-C-H für vierzehn Streicher
Musik für Klavier und Orchester Nr. 2
Tanzmusik (aus: Serenade) für Doppel-Bläserquintett und Kontrabass
Anabasis für Klavier solo
Aus dem Zusammenhang. Musik in drei Teilen für neun Instrumente
Besetzung

Heidi Peter-Indermühle: Flöte
Hans Elhorst: Oboe
Kurt Weber: Klarinette
Hans-Jürg Wahlich: Schlagzeug
Otto Seger: Klavier
Martin Derungs: Cembalo
Heinrich Forster: Viola
Martin Liechti: Cello
Ensembles:
Banda Classica
Linos-Ensemble
Münchener Kammerorchester
Tonhalle-Orchester Zürich
Dirigenten:
Christoph Eschenbach
Christian Siegmann
Hans Stadlmair
Räto Tschupp


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