Coroner

No More Color


Info
Musikrichtung: Thrash Metal

VÖ: 18.05.2018 (18.09.19

(Century Media)

Gesamtspielzeit: 34:23

Internet:

http://www.coroner-reunion.com


Anno 1989 hatten Coroner ungeplant wieder viel Zeit. Eine Tour mit Rage und Sabbat fiel ins Wasser, und in England ereilte die Band ein Fiasko, das auf den damaligen Noch-nicht-EG-Beitritt der Insel zurückzuführen war und heute so manchem wieder bekannt vorkommt: Drummer Marquis Marky konnte keine Arbeitserlaubnis vorweisen und wanderte anstatt auf die Bühne daher kurzzeitig hinter schwedische Gardinen. Ergo nutzten die Schweizer die ersten Monate des Jahres 1989 wieder zum Songwriting und kamen letztlich mit acht neuen Songs aus dem Studio, die in Gestalt des Drittlings No More Color veröffentlicht wurden.
Im Vergleich zu R.I.P. und Punishment For Decadence fallen zunächst die strukturellen Dinge ins Gewicht. Es gibt keine Intros und keine Instrumentals, auch keine irgendwie anderweitig aus dem Rahmen fallenden Stücke. Das kann man als Vor- wie als Nachteil interpretieren. Am grundsätzlichen vertrackten Thrash-Stil hat sich nichts geändert, an der größten Schwäche der Band, nämlich Ron Royces eher eindimensionalem Gesang, auch nicht. Diesmal hält sich allerdings auch Tommy T. Baron mit technischen Kabinettstückchen an der Gitarre etwas zurück, während der Drummer ein wenig komplexer zu agieren scheint. Dass einen die Vergleiche mit den technischeren Destruction-Zeiten in Songs wie „Read My Scars“ wieder deutlich stärker anspringen als auf dem Albumvorgänger, kann auch wahlweise als Vor- wie als Nachteil interpretiert werden, wobei wir rekapitulieren müssen, dass wir uns hier im Jahr 1989 befinden, als die Zukunft von Destruction durchaus unsicher war, während das 1990 folgende Album Cracked Brain zwar hochwertig ausgefallen war, aber wegen des Fehlens von Marcel „Schmier“ Schirmer und dem noch weiteren Vordringen in die Komplexe des technischen Power Thrashs mit in diesem Fall ziemlich anders gelagertem Gesang von vielen Anhängern nicht akzeptiert wurde.
Trotzdem taugten Coroner als „Destruction-Ersatzband“ natürlich herzlich wenig, textlich und auch musikalisch. Man muß auf No More Color indes genauer hinhören, um die Highlights herauszuschälen – man kann sie sich allerdings anhand ihrer Position auf dem Album leicht merken, denn es sind die jeweils letzten Songs der einstigen LP-Variante. „D.O.A.“ kombiniert eleganten Speed, den ansatzweise schon „Read My Scars“ eingeführt hatte, mit Akustikelementen, die man bereits in „No Need To Be Human“ geschickt eingeflochten hatte, und einer eigenartig angedüsterten Atmosphäre, die von den mit leichten Wave-Tendenzen ausgestatteten Gitarren befördert wird. „Last Entertainment“ setzt diese Düsterlinie fort und baut sie konsequent aus, hier auch mit sinistren Keyboards ergänzt und Royce in gesprochene Passagen schickend.
Ein Problem stellt dar, dass man diesmal das Gefühl nicht loswird, Coroner verlören zugunsten der technischen Einzelelemente den Gesamtsong etwas aus dem Fokus. So interessant das orientalisch anmutende Break am Beginn des Hauptsolos von „Mistress Of Deception“ auch ist – es erfüllt innerhalb des Songkontextes keine weitere wahrnehmbare Aufgabe, abgesehen davon, dass es als Outro nochmal wiederkehrt. Ähnliches gilt für den bereits erwähnten Speedpart in „Read My Scars“, der so plötzlich hineingeschossen wird, wie er wieder verschwindet, keine Spuren außer eben derjenigen hinterlassend, dass es in „D.O.A.“ mehr davon (und dort deutlich logischer eingepaßt) geben wird. In „No Need To Be Human“ wiederum hätte man sich gewünscht, der elegant schwingende Midtempo-Rhythmus, der den vorderen Teil prägt, hätte diese Funktion auch weiterhin ausfüllen dürfen. In „Tunnel Of Pain“ darf sich Baron am intensivsten austoben, zugleich erzeugen die düsteren Akustikparts auch interessante Wirkungen. Aber auch dieser Song krankt wie die ganze Scheibe am Grundproblem der Band, das auf den beiden Erstlingen wegen deren vielfältigerer Grundstruktur nicht so sehr ins Gewicht fiel: Royces wenig markante Stimme intoniert eher wenig markante Passagen, so dass kein Refrain, keine Mitgehzeile so richtig hervorsticht. Zumindest auf dem vorliegenden remasterten Re-Release wurde seine Stimme dann auch noch ähnlich weit in den Hintergrund gestellt wie auf demjenigen von Punishment For Decadence, was das Problem eher verstärkt als mildert. Dass „Last Entertainment“ mit dem dunklen Sprechgesang hervorsticht, wundert daher nicht, wenngleich das natürlich kein Allheilmittel darstellen kann. Der Song folgt auch einer nachvollziehbaren Dynamik über eine große Steigerung hin zu einem Zusammenbruch, der in ganz neue düstere Klangflächen mit Keyboards, Akustikgitarren und Glöckchen führt – diese Passage wird dann allerdings schnöde ausgeblendet, und man wird das Gefühl nicht los, die dahinterliegende Idee sei noch längst nicht auserzählt.
So läßt No More Color den Hörer nach gerade mal 34 Minuten irgendwie unbefriedigt zurück – man hatte nach den vielversprechenden Vorgängern irgendwie mehr erwartet. Da das Werk andernorts deutlich höher bewertet wird, muß es da draußen Leute geben, denen sich irgendwelche weiteren Reize erschlossen haben, die der Rezensent bisher nicht entdeckt hat. Das vielschichtig interpretierbare Cover kann jedenfalls unfreiwillig auch in „Um Gottes willen, was habt ihr euch denn dabei gedacht?“-Richtung gesehen werden, die natürlich nicht intendiert gewesen sein dürfte. Dennoch bleiben bestimmte Grundqualitäten des Schweizer Trios auch auf diesem Album selbstredend erhalten, so dass, wer die Vorgänger mag, auch hier mit einem Hörtest erstmal nichts verkehrt macht. Da das eher tempolastige „Why It Hurts“ sich wohl am schnellsten erschließen läßt, könnte man auch mit ihm zu hören beginnen. Im Booklet des Re-Releases finden sich diesmal alle Texte, aber sonst auch nur die Produktionsangaben, die bereits auf dem Backcover zu lesen sind.



Roland Ludwig



Trackliste
1Die By My Hand3:46
2No Need To Be Human4:31
3Read My Scars4:32
4D.O.A.4:19
5Mistress Of Deception4:57
6Tunnel Of Pain4:30
7Why It Hurts3:47
8Last Entertainment4:00
Besetzung

Ron Royce (Voc, B)
Tommy T. Baron (Git)
Marquis Marky (Dr)



 << 
Zurück zur Review-Übersicht
 >>