Marillion
An Hour Before It's Dark
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Marillion dürfen wohl mit Fug und Recht als eine der stabilsten und zuverlässigsten Bands bezeichnet werden. Seit ihrem Debütalbum gab es im Grunde nur eine relevante personelle Änderung. Die Geschichte ist bekannt. Nun legen Sie nach dem wütenden und wenig optimistischen F.E.A.R von 2016 ein neues Studioalbum vor, das, ihr zwanzigstes ist, wenn man das 2019 erschienene With friends from an Orchestra mitzählt.
Diesmal sind es sieben Stücke geworden, die zusammen 55 Minuten und zumindest thematisch (fast) ein Konzeptalbum ergeben. In mehreren Interviews hat Steve Hogarth bereits betont, dass er eigentlich nicht über die Pandemie schreiben wollte, es sich aber irgendwie nicht verhindern ließ. Und so umschreiben die Texte ein eher düsteres Szenario, das sich eben auf die Pandemie ("Reprogram the gene, Murder Machines" und "Care") und die Klimakatastrophe ("Be hard to yourself" und ebenfalls"Reprogam the gene") bezieht. Dazu gesellen sich ein Instrumental ("Only a kiss"), eine Hommage an Leonard Cohen ("The crow and the nightingale") und ein Stück über die Freiheit der Entscheidung ("Sierra Leone"). Die Texte sind typisch „H“, häufig unkonkret, vage und interpretierbar und manchmal ziemlich genau auf die 12. Und im Falle dieses Albums wohl noch ein Stück dunkler als die von F.E.A.R.
Musikalisch bietet die Band jedoch einen Kontrast dazu mit insgesamt hellerem, erstaunlicherweise manchmal auch optimistischerem Anklang und einigen neuen Klangfarben.
Der Opener "Be hard to yourself" beginnt zunächst jedoch sehr düster und mystisch mit dunklen Keyboards und Engelschören. Das Stück entwickelt sich zu einem dann heller gefärbten, durchaus typischen Marillion-Stück, das so auch gut auf Afraid of Sunlight gepasst hätte. "Reprogram the gene" ist der Rocker der Scheibe, der ebenfalls in typischen Marillion-Farben erklingt.
Nach dem kurzen Instrumental "Only a kiss" setzt dann der erste Höhepunkt mit "Murder Machines" ein. Ein Mix aus Bass und Schlagzeug im Hintergrund treibt das Alternative-Stück an. Flankiert von gut gesetzten Gitarrenriffs wird das Stück von den schwummerigen Keyboards getragen und die Textzeile „I put my arms arround you and kill you“ lassen einen schon ein wenig erschauern. Die Musik ist im Gegensatz zu dem düsteren Text fast euphorisch, aber mit Molluntergrund.
Die Cohen-Hommage setzt, wie kann es anders sein, mit Engelschor ein und wird vom Piano getragen. Streicher und Keyboards bauen darum dann zunächst eine sehr mystische Stimmung auf, um das Stück letztlich auch in eine typische Marillion-Ballade münden zu lassen, die jedoch mehr von den Keyboards getragen sind.
An dieser Stelle möchte ich erwähnen, dass das ganze Album ein bisschen weniger gitarrenlastig ist als sonst. Marillion haben es ja schon immer verstanden, die Instrumente im Sinne des Songs einzusetzen und nicht auf Gitarrensolos um der Solos willen zu bestehen. Bei dieser Produktion liegt das vermutlich aber auch daran, dass Steve Rothery lange Zeit nicht mit im Studio war, da er auf Grund seiner Diabetes Angst hatte, im Studio zu arbeiten. Aber er war trotzdem vollumfänglich beteiligt, vor allem an den finalen Arbeiten. Aber ich denke, dass dies ein wenig Einfluss auf die Klangfarben des Albums hatte.
Weiter geht es mit "Sierra Leone", einem Stück das von einem armen Mann erzählt, der einen riesigen Diamanten findet, sich aber lieber am Betrachten des Juwels erfreut, anstelle diesen zu verkaufen. Von diesem Zeitpunkt an lebt er mit dem Bewusstsein, sich jederzeit entscheiden zu können. Auch dieses Stück ist eine Ballade, eher mit dunklem Untergrund, aber irgendwie positive gefärbt. Der Longtrack schraubt sich dann zunächst in einen sehr atmosphärischen Teil bevor er zum Ende hymnisch abhebt.
Ein gutes Album endet in der Regel mit einem sehr starken Track, das gelingt Marillion mit schöner Regelmäßigkeit und auf diesem Album besonders mit dem abschließenden Longtrack "Care". Das Stück beginnt mit modernen düsteren Basssounds, die mit den Perkussionen fast funkig daherkommen. Dann setzen typische Rothery-Gitarren ein. Für ein Stück, das zum einen den Tod eines Freundes beschreibt und andererseits die Arbeit vom Pflegepersonal dokumentiert und diesem huldigen will, ist das ein überaus positiver Start. Doch die Keyboards, die immer mehr überhand gewinnen und den Hörer einrahmen, geben durchaus eine dunkle Note hinzu, die dann auch im zweiten Teil überhand nimmt. In diesem Part gibt es ein weiteres feines Gitarrensolo, das durchaus an David Gilmour erinnert und doch typisch Rothery ist. Auch in seiner restlichen Laufzeit weiß das Stück mit schönen Wendungen, Dynamikwechseln, Chören und viel Atmosphäre zu brillieren. So schließt das Album grandios ab.
An Hour before it's dark setzt die letzten Alben thematisch und musikalisch fort und das macht es gut. Es ist nicht so eine radikale Änderung wie es seinerzeit Anoraknophobia war, soll und will es auch nicht sein. Mit den Chören, manch ungewöhnlichem Bassspiel und interessanten Keyboardpassagen und Soundeffekten fließen aber trotzdem genügend neue Dinge ein. Somit reit sich An Hour before it's dark in den Reigen der sehr starken Marillion-Alben der letzten Jahre perfekt ein. Perfekt produziert ist es ein Klangerlebnis, das die Vorfreude auf die Tour und das nächste Album wachsen lässt.
Wolfgang Kabsch
Trackliste |
1. Be Hard On Yourself
I. The Tear In The Big Picture
II. Lust For Luxury
III. You Can Learn
2. Reprogram The Gene
I. Invincible
II. Trouble-Free Life
III. A Cure For Us?3. Only A Kiss (Instrumental)
4. Murder Machines
5. The Crow And The Nightingale
6. Sierra Leone
I. Chance In A Million
II. The White Sand
III. The Diamond
IV. The Blue Warm Air
V. More Than A Treasure
7. Care
I. Maintenance Drugs
II. An Hour Before It’s Dark
III. Every Call
IV. Angels On Earth |
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Besetzung |
Steve Hogarth: Gesang
Pete Trewavas: Bass
Mark Kelly Keyboard
Ian Mosley: Schlagzeug
Steve Rothery: Gitarre
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