The HU
The Gereg
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Die im nördlichen Zentralasien im Zuge von Glasnost und Perestroika (vereinzelt auch schon zuvor) auf der Bildfläche erschienenen Musikformationen, die ethnische Elemente mit westlicher Rockmusik koppelten, erlangten lokal durchaus große Popularität – überregional aber gelang es nur einzelnen Vertretern, sich längerfristig zu etablieren und ein stabiles Publikum mit dieser originellen Mixtur zu begeistern. Yat-Kha sind da zu nennen, das Projekt von Albert Kuvezin, der auch an Huun-Huur-Tu beteiligt war, die die Folklore ihrer tuwinischen Heimat aber überwiegend in Reinform transportierten, ohne sie mit stil- und/oder ortsfremden Elementen anzureichern. Einigen Geschmacksmetallern dürften Bandnamen wie Tengger Cavalry oder Nine Treasures etwas sagen, die die eingangs genannte Mixtur mit Metal anreicherten bzw. von vornherein auf diesen setzten.
Keine der Genannten aber konnte eine solch ausgedehnte Öffentlichkeit erreichen wie The HU, und daran ist die Internetgemeinde schuld – in diesem Fall hat ein Hype mal ganz klar im positiven Sinne die Richtigen getroffen. Dabei hatte 2016 alles ganz harmlos angefangen, als sich ein Quartett aus vier Absolventen des Mongolischen Staatlichen Konservatoriums mit dem Produzenten und Songwriter B. Dashdondog zusammentat und begann, den eigendefinierten Hunnu Rock zu entwickeln. Im Herbst 2018 stellten sie professionell gemachte und äußerst stimmungsvolle Videos zu den Songs „Yuve Yuve Yu“ und „Wolf Totem“ online, die einen totalen Hype auslösten – zweieinhalb Jahre später verzeichnen diese beiden Videos auf Youtube zusammen über 100 Millionen (!!) Zugriffe, ein Drittel davon bereits im ersten Dreivierteljahr. So war es nur folgerichtig, dass die Band einerseits 2019 diverse Gigs in Europa und Nordamerika spielen konnte und sich andererseits auch an die Einspielung eines Albums machte. Das wiederum, The Gereg getauft und im Herbst 2019 erschienen, schnitt gleichfalls so gut ab, dass die Liveaktivitäten vermutlich noch stark ausgebaut hätten werden können, wenn da nicht ein gewisser Virus dazwischengefunkt hätte und bis auf einen Streaminggig 2020 wenig passierte. Zwischenzeitlich hatten die Musiker den Dschinghis-Khan-Orden, die höchste Auszeichnung des mongolischen Staates, erhalten, in Anerkennung für ihre Popularisierung der Mongolei und ihrer Kultur in der Welt, und später bildete ihr Heimatland sie gar auf Münzen ab. Des weiteren wurden diverse Songs in Neufassungen mit Gastsängern wie Jacoby Shaddix oder Lzzy Hale eingespielt, zwei Songs von Metallica gecovert und auf diversen Samplern veröffentlicht („Sad But True“ und „Through The Never“), und außerdem begann die Formation mit der Arbeit am zweiten Album, von dem einiges Material bereits auf einer US-Tour im Herbst 2021 vorgestellt wurde.
Bis zu dessen Erscheinen muß man sich also im CD-Player weiter mit The Gereg begnügen – aber auch das lohnt sich, denn wie erwähnt hat hier der Hype endlich mal eine Band getroffen, die das definitiv verdient hat. Nur muß man natürlich wissen, worauf man sich einläßt. Zum einen gibt es so gut wie keinen „normalen“ Gesang, sondern überwiegend mongolischen Kehlkopfgesang, bei dem man sich, versucht man sich am Mitsingen, ganz schnell die eigene Stimme ruiniert oder halt nur klingt wie das Krümelmonster an einem schlechten Tag. Die Musiker singen außerdem in der heimatlichen mongolischen Sprache, was das hingebungsvolle Mitformulieren für den gemeinen Mitteleuropäer ein weiteres Mal erschwert – und dazu kommt auch noch, dass das Mongolische mit kyrillischen Buchstaben geschrieben wird, was zwar der gelernte DDR-Bürger zumindest noch lesen kann, woran aber gute Teile der Altbundesbürger scheitern werden und die Jugend, die keinen Russischunterricht hatte, erst recht, sofern man nicht ein gutes Translationsprogramm hat, das auch die im Booklet verwendete schwer lesbare Schrifttype entziffern kann. Aber zumindest gibt es dort auch englische Übersetzungen, so dass die Welt wenigstens nachvollziehen kann, worum es in den Songs eigentlich geht.
Bleibt dann aber noch die instrumentale Komponente. Das Quartett setzt hauptsächlich verschiedene Varianten der mongolischen Pferdekopfgeige ein, dazu kommt eine mongolische Gitarre und in „Shireg Shireg“ eine Flöte – die Drums hingegen stammen offensichtlich aus der Konserve des Produzenten, wobei festzuhalten sind, dass sie oft sehr monoton programmiert wurden. Das geschah offenbar mit Absicht, um entweder ein betont stampfendes oder betont marschierendes Klangbild zu erzeugen, das nahezu ohne Breaks und selbst mit wenig Fills auskommt. Da das Gros des Materials im schleppenderen Bereich gehalten ist, dürften Personen, die Doom Metal mögen, den einfachsten Zugang zum Material von The HU gewinnen können. Weil die Band aber aus gewitzten Menschen besteht, fiel die Wahl bei den beiden Videos auf einen schnelleren („Yuve Yuve Yu“) und einen langsameren („Wolf Totem“) Track, um der geneigten Hörerschaft beide Facetten zu demonstrieren und jedem die Möglichkeit zu geben, seinen Favoriten zu ermitteln. Auch die songwriterische Entwicklung nimmt sich viel Zeit, was wiederum der heimischen Erzähltradition entspricht, wo man ja am Lagerfeuer auch nicht sein kreatives Pulver schon innerhalb kürzester Frist verschießt, sondern seine Geschichte lang und breit entwickelt. Daran muß man sich als Hörer anderer Kulturkreise erst gewöhnen, und es ist ein positives Zeichen, dass gerade „Wolf Totem“ mit seinem schleppenden Tempo, seiner geheimnisvollen Attitüde und seiner songwriterischen Reduziertheit so einen großen Zuspruch erfahren hat, während „Yuve Yuve Yu“ ein dichter gewebtes Arrangement besitzt. Beide stellen jeweils keine Einzelerscheinungen dar: „The Same“ etwa gehört zu den Songs mit reichhaltigeren Arrangements, gleich der eröffnende Titeltrack trotz seines flotteren Tempos zu den sehr durchsichtigen Nummern, wobei auffällt, dass diese im ersten Teil des Albums dominieren und dieses nach hinten hin tendenziell „bombastischer“ wird (mit dem Closer „Song Of Women“ als Höhepunkt, der zudem phasenweise auch auf „richtige“ E-Gitarren setzt), ohne dass sich dahinter allerdings ein Konzept verbirgt. Und wenn man in „Shoog Shoog“ mal denkt, dass das akustisch irgendwie an Rammstein erinnert, so ist das als Kompliment für The HU zu verstehen, ebenso der analoge Gedanke im Intro von „Song Of Women“, das auch Led Zeppelin hätten schreiben können. Das Material bedarf allerdings gesteigerter Aufmerksamkeit, auch und gerade die kargeren Songs, um deren Qualitäten zu erkennen – Nebenbeihören ist keine gute Option, da das Album dann schnell zum Durchrauschen neigt. Und so mitreißend, dass man kein Ohr davon wenden kann, fällt das Material nun auch wieder nicht aus (das will es auch gar nicht sein) – eine weitere Gefahr beim Erschließen, was dann wohl zum Verriß des Albums im RockHard beigetragen hat und auch beim hier tippenden Rezensenten dazu führte, dass er eine gewisse Energie und eben Aufmerksamkeit aufwenden mußte, bis die ihm noch nicht aus dem Netz bekannten Songs dann auch ihre Reize preisgaben. Zudem spielt sich wie erwähnt das Geschehen eher in übersichtlichen Tempolagen ab: Der Hörer wird nirgendwo im Tempo einer Reiterarmee Dschinghis Khans überrannt, auch das livehaftige Tanzbeinschwingen kann also in konditionsschonender Manier erfolgen.
Summa summarum also eine faszinierende, originelle, aber nicht einfach zu konsumierende Platte für Hörer auf der Suche nach dem Besonderen. Wem das Beschriebene für den Erstkontakt zu exotisch anmutet, der kann sich auch auf die Suche nach der (in einer typischen Unsitte erst viele Monate nachträglich erschienenen) Deluxe Edition machen, die sechs Extratracks enthält: drei Albumtracks als Akustikversionen und drei Albumtracks in den oben erwähnten Duettversionen, welchletztere durch die Möglichkeit des Andockens an bekannten Stimmen möglicherweise leichter erschließbar sind. Aber man sollte nicht davon ausgehen, dass von den 100 Millionen Youtube-Zugreifern 99 Millionen schon nach der ersten Minute frustriert aufgegeben haben – also sollte es da draußen eine größere Menge von Menschen geben, die tatsächlich etwas mit dieser musikalischen Mixtur anfangen können. Und das ist schön – interkulturelle Projekte, die von der breiten Masse wahr- und angenommen werden, sind in ihrer Zahl jedenfalls nicht Legion. Selbst wenn man also die erwähnte Label-Praxis, eine Deluxe-Version nachzuschieben und die Anhängerschaft zum Doppelkauf zu nötigen zu versuchen, ablehnt, lohnt auch die Basisversion allemal eine intensive Beschäftigung, zumal das Booklet durchaus geschmackvoll gestaltet wurde. Oder man schaut sich die Formation erstmal live an – für 2022 ist eine Tour in Europa als Support von Sabaton geplant. Eine ungewöhnliche Kombination, aber zugleich eine Riesenchance für The HU. Und wer weiß, vielleicht kommt es auch zu gemeinsamen musikalischen Aktivitäten, wie man sie 2020 zwischen Sabaton und Apocalyptica auf der Bühne erleben durfte?
Roland Ludwig
Trackliste |
1 | The Gereg | 4:54 |
2 | Wolf Totem | 5:38 |
3 | The Great Chinggis Khaan | 4:32 |
4 | The Legend Of Mother Swan | 5:25 |
5 | Shoog Shoog | 4:01 |
6 | The Same | 5:27 |
7 | Yuve Yuve Yu | 4:42 |
8 | Shireg Shireg | 5:47 |
9 | Song Of Women | 7:16 |
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Besetzung |
Galbadrakh „Gala“ Tsendbaatar (Voc, Morin Khuur)
Nyamjantsan „Jaya“ Galsanjamts (Voc, Tumur Khuur, Tsuur)
Enkhsaikhan „Enkush“ Batjargal (Voc, Morin Khuur)
Temuulen „Temka“ Naranbaatar (Tovshuur)
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