Retrospective

Spectrum Of The Green Morning


Info
Musikrichtung: Progrock

VÖ: 02.02.2018 (2007)

(Progressive Promotion)

Gesamtspielzeit: 34:34

Internet:

http://www.retrospective.pl


Mit der Sechs-Track-EP Spectrum Of The Green Morning gaben Retrospective anno 2007 erstmals ihre Visitenkarte in konservierter Form ab – allerdings nur einem handverlesenen Publikum: Die EP erschien in minimaler Stückzahl als gebrannte CD und war lediglich bei der Band selbst zu bekommen. Trotzdem markierte sie den Startschuß für eine durchaus erfolgreiche und langfristige Bandarbeit, und so ergab sich eine gewisse Nachfrage nach den sechs Songs mit summiert reichlich 34 Minuten Spielzeit (das ist deutlich mehr als so manches Full-Length-Album), die Oliver Wenzler mit Progressive Promotion Records nun befriedigt: Spectrum Of The Green Morning erscheint als Re-Release mit den gleichen sechs Songs, ohne Bonustracks und leider nur in einem sehr mit Informationen geizenden bookletlosen Pappschuber – die Rückseite enthält die Tracklist, drei Zeilen zur Veröffentlichungsstruktur und den Impressumsblock, sonst nichts. Der Originalrelease von 2007 soll allerdings auch nicht wesentlich informativer gewesen sein.
Lassen wir also die Musik für sich sprechen – denn die lohnt eine Entdeckung ohne Wenn und Aber. Retrospective kommen aus Polen und spielen Progrock, was den neuzeitlichen nichtpolnischen potentiellen Anhänger natürlich als allererstes an Riverside als mögliche Vergleichsband denken läßt. Und dann bringen Retrospective es auch noch fertig, mit „Enemy World Vision“ ihren Signatur-Song gleich an den Anfang ihrer ersten Veröffentlichung zu stellen – das hatten Riverside mit „The Same River“ auf dem Debüt Out Of Myself bekanntermaßen auch hinbekommen. Retrospective komprimieren ihren Song allerdings auf die reichliche Hälfte, und auch für den spannenden Grundaufbau gönnen sie sich „nur“ etwas über drei Minuten, ehe Jakub Roszak zu singen beginnt. Dessen Stimme erinnert in bestimmten Lagen allerdings in der Tat an die von Mariusz Duda, wobei Roszak indes etwas expressiver und in dieser Hinsicht vielseitiger agiert, kurz nach fünf Minuten auch mal einen verzweifelten Schrei ausstößt und in „Pink Elephant Missed“ gar eine vermutlich zum Songinhalt gehörende theatralische Vielfalt aufbietet (Lyrics wurden wie erwähnt keine mitgeliefert), wohingegen er die gewisse Wärme, die Duda zumindest in den Frühwerken oft mit seiner Stimme transportierte, nur selten reproduziert. Oftmals stellen die fünf Instrumentalisten von Retrospective ihren Sänger allerdings auch gleich mal außer Dienst: Lange Instrumentalpassagen treten durchaus nicht selten auf, und „Waking Up In The Zoo“, mit reichlich acht Minuten längster der sechs Songs, bleibt gleich komplett instrumental, verzichtet allerdings auf die im Bereich des Möglichen gewesenen naturalistischen Effekte in Gestalt von Tierlauten und stellt somit wohl keine Fortsetzung des in der Tracklist direkt davor plazierten „Pink Elephant Missed“ dar, obwohl man ein solches Tier in einem Zoologischen Garten natürlich mit Kußhand nehmen würde, wenn man es denn wiederfände. Im Zoo-Lied agiert Keyboarderin Beata Lagoda lange Zeit vorzugsweise mit klassischen Piano-Klängen, aber sie rollt ihren beiden Gitarristen auch so manchen sphärischen Keyboardteppich aus, auf dem diese wahlweise Riffs oder Leads ausbreiten. Der doppelte Gitarrenposten dürfte vor allem live für ein von Riverside deutlich unterscheidbares Klangbild Retrospectives geführt haben, wobei ihnen allerdings nicht nur die erwähnte Stimmwärme, sondern auch die gelegentliche Düsternis der Mannen um Mariusz Duda weitgehend abgeht. „Weitgehend“ heißt allerdings nicht „komplett“: „Regret And Frightened Child“ würde im Riverside-Repertoire absolut nicht als Fremdkörper auffallen, zumal das einer der Songs ist, wo Roszak im Refrain einen leidend-expressiven Gestus à la Duda auffährt – einzig das Solo hätte Piotr Grudzinski vielleicht anders gestaltet, und es hätte vielleicht auch nicht den Schluß des Songs gebildet, sondern der Refrain wäre nochmal gekommen. Das Schöne ist aber, dass Retrospective es, Riverside hin oder her, auch in einer völlig autonomen Betrachtungsweise schaffen, richtig schöne Progrocksongs zu schreiben, anspruchsvoll, aber zugänglich und auf dem Re-Release in blitzsauberem remastertem Soundgewand. „Enemy World Vision“ überstrahlt den „Rest“ der CD zwar etwas, aber das sollte nun ganz und gar kein Problem darstellen, und wir sprechen hier schließlich von der Debüt-EP dieses Sextetts. Die hübsche Piano-Ballade „Have In Mind“ schließt Spectrum Of The Green Morning auf dem gleichen Qualitätsniveau wie das Gros der EP ab, einzig „Some Kind Of Hope“ kann noch nicht so ganz überzeugen, aber das geht hier als Luxusproblem durch. Nicht nur als Riverside-Anhänger lohnt sich die Entdeckung von Retrospective – aber als solcher ganz besonders, und wenn man sich in ihr Schaffen vorarbeiten will, macht man nichts verkehrt, wenn man tatsächlich am Anfang beginnt, denn da steht ja dieser eine Signatur-Song ...



Roland Ludwig



Trackliste
1Enemy World Vision7:39
2Some Kind Of Hope4:42
3Pink Elephant Missed4:11
4Waking Up In The Zoo8:13
5Regret And Frightened Child5:38
6Have In Mind4:09
Besetzung

Jakub Roszak (Voc)
Alan Szczepaniak (Git)
Maciej Klimek (Git)
Beata Lagoda (Keys)
Lukasz Marszalek (B)
Robert Kusik (Dr)



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