Riot

Army Of One


Info
Musikrichtung: Classic Rock / Metal

VÖ: 15.9.2017 (12.7.06)

(Metal Blade)

Gesamtspielzeit: 78:53

Internet:

http://www.metalblade.de
http://www.areyoureadytoriot.com


2002 stand Mark Reale wieder mal vor einem Scherbenhaufen. So richtig Zugkraft entfaltete Riots eher rockige als metallische Through The Storm-Scheibe nicht, nicht mal in Japan, wo die Band nach wie vor kultisch verehrt wurde, reichte es für eine Tour, und auch mit seinem parallelen Projekt Westworld ging es nicht vorwärts, so dass dieses komplett zu den Akten gelegt wurde. Ebenjenes Schicksal drohte auch Riot mal wieder, die Musiker gingen allesamt ihre eigenen Wege, und Reale kontaktierte noch im Jahr 2002 Frank Gilchriest, den Drummer von Virgin Steele, den er spätestens 1998 kennengelernt haben muß, als das Package Virgin Steele/Riot/Stigmata durch Europa zog. Gilchriest besaß ein Studio, wo die beiden sich fortan regelmäßig trafen, zunächst einige Coversongs jammten, bald aber an Reales Eigenkompositionen zu arbeiten begannen, allerdings mit eher lockerem Zeitmanagement. So gingen zweieinhalb Jahre ins Land, bis Bassist Pete Perez, der offenbar bis dato nach wie vor in Texas wohnte, nach New York zog und zu dem Duo stieß – das müßte dann also 2005 oder frühestens in der zweiten Jahreshälfte 2004 (je nachdem, wann im Jahre 2002 der besagte Anruf passierte – vom VÖ-Datum von Through The Storm am 26. August besagten Jahres kann man nicht ausgehen, da die Arbeiten an selbigem ja schon viel früher abgeschlossen gewesen sein müssen) gewesen sein. Letztlich stießen auch Zweitgitarrist Mike Flyntz und Sänger Mike DiMeo wieder dazu, und das Ergebnis dieser Kollaboration hörte auf den Namen Army Of One und kam im Sommer 2006 auf den Markt.
Soweit die Version der Geschichte, wie sie Frank Gilchriest in den Liner Notes des nun vorliegenden Re-Releases dieses Albums in der Metal-Blade-Digibox-Serie erzählt. Das steht freilich im Widerspruch zu den Angaben in den diversen Enzyklopädien, die behaupten, das Album wäre schon 2003 aufgenommen, aber erst 2006 veröffentlicht worden. Zum Zeitpunkt der Herausgabe war Mike DiMeo allerdings bereits kein Bandmitglied mehr, und Riot hatten 2005 sogar schon eine Japan-Tour bestritten, nämlich mit Mike Tirelli am Mikrofon, der nominell dann auch bis zur Wiedervereinigung des Thundersteel-Line-ups anno 2008, die Tony Moore zurück ans Mikrofon brachte, Sänger blieb. Besagte 2005er Tour ist dokumentarisch verbürgt, sogar auf diesem Digisleeve selbst, da sich dort ein Foto des Tour-Line-ups befindet. Im Booklet wiederum steht außer Gilchriests Liner Notes noch der offizielle englischsprachige Release-Info-Text von 2006, der die Arbeit an Army Of One auf „within the last 3 years“ datiert, was eher Gilchriests Version stützt. Möglicherweise stand DiMeo für die besagte Japan-Tour auch schlicht und einfach aus Termingründen nicht zur Verfügung, da er mit The Lizards (wo übrigens Bobby Rondinelli trommelte, der Through The Storm eingespielt hatte) quasi permanent unterwegs war und mit ebenjenen als Support von Vanilla Fudge, Glenn Hughes und UFO innerhalb kürzester Zeit gleich drei Europa-Touren bestritt. Später ging er bekanntlich zu Masterplan, wo seines Bleibens freilich auch keine Dauer war. Wie auch immer, er ist einer der wenigen, die uns erzählen könnten, wie die Dinge denn nun genau abgelaufen sind und wie Army Of One editorisch einzuordnen ist.
Wichtiger als die editorische Einordnung erscheint freilich aus Hörersicht die musikalische. Auf Through The Storm war die Rede davon gewesen, dass Reale seine Songs immer relativ exakt auf seine jeweiligen Mitmusiker zugeschnitten habe. Nun hatte er für Army Of One mit Gilchriest wieder einen Metaldrummer, und der eröffnende Titeltrack hätte auch durchaus nahelegen können, dass wir es wieder mit einer knackigen Metalscheibe zu tun haben: Der Drummer macht Tempo – jedenfalls bis zum Solo, das gebremst und förmlich gequält aus den Boxen kommt, so als ob jemand die Gitarristen und den Schlagzeuger festhalten und sie erst zur Reprise wieder loslassen würde. Diese etwas überraschende Struktur verhindert, dass wir hier einen fröhlichen Donnerschlag allererster Kajüte serviert bekommen, auch wenn man sich nach einigen Hördurchläufen doch schrittweise dran gewöhnt und einem die Nummer immer besser und besser gefällt, zumal hier auch wieder eine gewisse Frische herrscht, jedenfalls in den schnellen Rahmenteilen. Im Gegensatz zum Albumvorgänger, auf dem der Speed nur eine kleine Gastrolle feierte, ist er auf dem neuen Werk etwas stärker vertreten: „The Mystic“ und „Shine“ widmen sich gleichfalls der melodischen Geschwindigkeitsüberschreitung und können zwar nicht mit den absoluten Glanztaten in dieser Kategorie mithalten, die Riot im Stammbuch stehen haben, machen aber trotzdem durchaus Hörspaß, wobei der Refrain des zweitgenannten ungewöhnlich strukturiert ist und die Geschwindigkeitsabstoppung hier mehr überzeugt als im Titeltrack. Das Highlight der Scheibe ist indes ein anderes: Mit „Knockin‘ At My Door“ liefern Riot praktisch AOR ab und machen das so geschickt, dass sie in einer perfekten Welt damit einen Hit hätten landen müssen. Vor allem der chorisch ausziselierte Refrain fällt auf, und weil Riot diese Marschrichtung so gut gefallen hat, replizieren sie sie mit „One More Alibi“ gleich nochmal. Nur erwartet von ihnen die breite Öffentlichkeit so etwas nicht, und Metal Heaven als Label hatten naturgemäß auch nicht das Standing, so eine Nummer auf breiter Ebene zu pushen, zumal man der Ehrlichkeit halber anmerken muß, dass frühere ähnliche Werke wie „Runaway“ noch eine Stufe weiter oben anzusiedeln sind, und es hatte schon damals mit Majorunterstützung nicht geklappt, damit Hits zu landen. Das macht die beiden erwähnten Songs natürlich nicht schlechter, und man hört sie auch mit mehr als einem Jahrzehnt Abstand noch gerne. Übrigens war neben Tony Harnell, der ja sowieso einen AOR-Background hat, diesmal auch noch Bruno Ravel für die Backing Vocals mit im Studio und spielte auch gleich noch ein paar Keyboards ein – und auch ihn kennt man ja mit Danger Danger aus einem ähnlichen Fach. Auch wenn beide Nummern in den Credits als reine Reale-Kompositionen angegeben sind: Sollte das Zufall sein?
So weit, so hörenswert – aber neben den Highlights hat sich auch diverser Durchschnitt (nach Riot-Maßstäben wohlgemerkt) auf Army Of One eingeschlichen, der sich auch nach etlichen Hördurchläufen nicht in den Gehörgängen festsetzen will. Das südstaatenlastige „Alive In The City“ wirkt trotz all seiner Klasse wie ein Fremdkörper, die Ballade „Helpin‘ Hand“ kommt nicht an ihren Stilkollegen der Neunziger-Alben vorbei, die Midtemponummern besitzen einen teils etwas verschrobenen Touch, der einem irgendwie quer im Magen liegt, und das Instrumental „Isle Of Shadows“ verspricht auch mehr, als es letztlich halten kann. Klassik-Kenner mögen ergründen, ob letzteres Tschaikowski oder Nino Rota oder gar beide verarbeitet (im Schriftlichen finden sich beide Angaben), und der Bookletlayouter plaziert die Nummer gleich an zwei Stellen. Auch in Gilchriests Text haben sich diverse Fehler eingeschlichen – da wäre ein nochmaliges Korrekturlesen der Drucksachen eine sinnvolle Investition gewesen. Bezüglich der erwähnten Songs darf zwar festgehalten werden, dass sie allesamt ein gewisses Qualitätsniveau nicht unterschreiten und bei 99,9% aller anderen Bands immer noch Highlights darstellen würden, aber als Riot-Anhänger ist man es gewohnt, sein Anspruchsniveau sehr hoch zu setzen, und in der Gesamtschau muß man halt immer wieder im Hinterkopf behalten, dass es Werke wie Thundersteel oder The Privilege Of Power im Backkatalog gibt, mit denen sich Army Of One“ trotz seiner grundsätzlichen Mindestens-Gutklassigkeit nicht messen kann. Ob übrigens die latenten Stratovarius-Anklänge (man erinnere sich an „The Kiss Of Judas“!) im Aufbau von „Darker Side Of Light“ Zufall sind?
Nach den zwölf Songs der regulären Europa-Edition von 2006 folgt der Japan-Bonus „Road Racin‘“ als Livefassung in einem Mitschnitt aus Kawasaki von 1998 – zwar gewohnt gut, aber nichts, was man zwingend haben muß, wenn man den Re-Release von Shine On schon besitzt, denn dort steht der Song auf der DVD-Zugabe in sehr ähnlicher Fassung (wahrscheinlich vom ersten Abend – die Band spielte damals zwei Konzerte im Club Citta, und auf der DVD ist fast ausschließlich Material des zweiten gelandet), hier auf dem Album jedenfalls mit ausführlichem Baßsolo von Pete Perez und Publikumsmitsingspiel. Als weiteres Extra liefert die CD noch „Still Alive“ in der von diversen anderen Re-Releases bekannten Demofassung aus Rhythmusgitarre, Baß und Drums, was freilich trotz des damit üblich werdenden strukturellen Doppel-Hörens pro Durchlauf nicht entscheidend dazu beiträgt, diesen zu den verschrobenen Midtempotracks zählenden Song besser zu verstehen. „Shine“, „Blinded“ und der Titeltrack standen in gleichen Fassungen ja bekanntlich schon auf dem Re-Release von Through The Storm. Klar, auf den von Army Of One hätten sie nicht mehr gepaßt, weil die Scheibe auch mit den jetzigen 14 Tracks schon knapp 79 Minuten dauert. Aber dieser Umstand hilft ohne weitere Informationen eben gerade nicht, die oben analysierte editorische Unklarheit aufzulösen, und läßt den auch an strukturellen Hintergründen interessierten Hörer sozusagen am ausgestreckten Arm verhungern. Trotzdem ist natürlich auch Army Of One unverzichtbarer Bestandteil einer gut sortierten Riot-Kollektion.



Roland Ludwig



Trackliste
1Army Of One4:23
2 Knockin' At My Door4:19
3 Blinded5:26
4 One More Alibi4:55
5 It All Falls Down5:36
6 Helpin' Hand5:24
7 The Mystic5:43
8 Still Alive5:42
9 Alive In The City7:00
10 Shine6:33
11 Stained Mirror3:46
12 Darker Side Of Light6:58
13 Road Racin' (Live)6:52
14 Still Alive (Instrumental Rough Mix)5:47
Besetzung

Mike DiMeo (Voc)
Mark Reale (Git)
Mike Flyntz (Git)
Pete Perez (B)
Frank Gilchriest (Dr)



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