Die Wohltemperierte Gitarre fegt Herbstlaub: Martin Hoepfner mit einem Gitarrensolokonzert in Bad Lausick





Daß der jeweilige Dozent des alljährlich an einem Januar- oder Februarwochenende durchgeführten Gitarrenseminars der Evangelischen Jugendarbeit im Kirchenbezirk Leipziger Land am betreffenden Samstagabend ein Konzert gibt, hat in gewisser Weise Tradition – aber diesmal tritt eine besondere strukturelle Situation hinzu: Seit geraumer Zeit ist Gitarrenunterricht für alle Auszubildenden an der Evangelischen Fachschule in Bad Lausick Pflichtfach, und Martin Hoepfner gehört zu den Lehrkräften für dieses Fach, bildet in den Räumlichkeiten also sozusagen einen Teil des Inventars. Nachdem in den beiden Jahren zuvor etwas abweichende Künstlerkonstellationen aktiv gewesen waren (2015 hatte Thoralf Pötsch mit seinem Trio-S gespielt, 2016 war die Duopartnerin von Matthias Ehrig erkrankt, so daß der Cellist Christoph Schenker mit einem Soloprogramm einsprang – der Interessent lese die Rezensionen auf www.crossover-agm.de nach), gibt es diesmal tatsächlich den Dozenten zu hören und auch nur diesen.

Die letzte Aussage muß freilich geringfügig relativiert werden: Hoepfner hat einen Effektkasten vor sich stehen, und dieser bietet unter anderem eine Loopstation, also die Möglichkeit, bestimmte Linien zu spielen, sie dabei zu speichern und später wieder zuzuschalten. Damit eröffnen sich Möglichkeiten, von denen die Gitarrensolisten früherer Jahrzehnte oder gar Jahrhunderte nicht einmal zu träumen gewagt hätten – der Gitarrist wird sozusagen zur Einmannarmee, hat allerdings auch eine deutlich komplexere Aufgabe zu lösen, und für die Pflege der Historischen Aufführungspraxis eignet sich diese Methode naturgemäß nicht. Aber diese steht an diesem Abend nicht zur Debatte, und man stellt schon im vielschichtigen Opener „El Café De Chinitas“, einer Komposition Federico García Lorcas über ein Zigeunercafé, zufrieden fest, daß Hoepfner die neuen technischen Möglichkeiten gekonnt zum Einsatz bringt – und daß rein spieltechnisch alles im grünen Bereich sein würde, davon durfte man ausgehen und findet sich im Verlaufe der vielleicht 75 Minuten Nettospielzeit auch bestätigt. Nicht alle Geräusche entstammen freilich der Gitarre – gleich in Song 2, einer besonders durch die schön voluminösen Tiefen bestechenden „Ariette“ von Jacques Ibert, mischt sich gelegentlich eine Art atmosphärisches Rauschen ein, und als dieses auch in Teilen auftaucht, wo es garantiert kein Gitarreneffekt ist, wird dem Hörer klar, daß es nicht zur Show gehört. Der Schuldige kann allerdings ausfindig gemacht und ausgeschaltet werden – einer der Getränkeautomaten in einem vom Foyer wegführenden Gang. Die gelegentlichen knarrenden Geräusche des Stuhls, auf dem Hoepfner sitzt, bleiben freilich bis zum Ende des Gigs erhalten. Neben original für Gitarre geschriebenen Stücken finden sich auch einige für selbiges Instrument arrangierte Nummern, so Burt Bacharachs „That’s What Friends Are For“, eher breit angelegt, aber die Refrainmelodie vielleicht einen Tick zu stark umspielend. Der Set zieht sich quer durch den stilistischen wie regionalen Gemüsegarten – trotz einer gewissen spanischen bzw. lateinamerikanischen Dominanz (das Rodrigo-/Villa-Lobos-Medley, ein Piazzolla-Tango, das zwischen Beruhigung und Verstörung pendelnde Wiegenlied de Fallas) bietet schon die erste Sethälfte auch klassischen Blues, in dem Hoepfner zwischenzeitlich die Loopstation allein weiterspielen läßt und über die eingesampelten Gitarrenklänge dann noch Banjosoli legt, oder einen Ausflug in die jiddische Musik in Gestalt der „Miniatur Nr. 2“ eines gewissen Eisikovich, dessen Ähnlichkeiten im Gitarrenspiel zu gewissen Momenten in den hinteren zwei Dritteln von Tiamats Wildhoney-Platte wohl purer Zufall sein dürften.

Auch die zweite Sethälfte widmet sich dieser Stilistik noch einmal, und zwar mit einem flotten Stück namens „Die Mame is gegangen in Mark arejn“, nachdem zuvor das „Girl from Ipanema“ am Ufer entlanggestolpert ist und bevor auch der alte Bach mit seiner Wohltemperierten Gitarre, äh, seinem Wohltemperierten Klavier zu seinem Recht kommt. „Tarantas“ von Siegfried Behrendt schließt den Hauptgig ab – feurige Passagen mischen sich hier gekonnt mit einigen Verharrungen, und im furiosen Finale darf sich der Gitarrist nochmal richtig verausgaben. Ohne Zugaben wird er aber natürlich nicht fortgelassen und packt so zunächst noch „Autumn Leaves“ aus („leider“ tatsächlich den Jazzstandard und nicht dessen sarkastische Beantwortung „Autumn Leaves II“ von Toxic Smile), in seiner Soloversion mit einer unauffälligen, aber wirkungsvollen Dynamikkurve ausgestattet, bevor die miteinander verwobenen Konzertetüden Nr. 19 und 20 von Leo Brouwer (die eine weitschweifig, die andere flirrend-speedig) das von den Kursteilnehmern und einer Handvoll externer Gäste fleißig beklatschte Konzert auf sehr hohem Niveau abschließen.


Roland Ludwig



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