Was macht den Klang?
„Zu schön für unsere Ohren und gewaltig viel Noten, lieber Mozart.“ – etwas hilflos wirkte Kaiser Joseph II. mit seinem Kommentar nach der Aufführung einer Mozart-Oper. Mozart antwortete schlagfertig: „Grad so viel Noten, Eure Majestät, als nötig sind.“ Genau: Das Genie braucht nur so viele Noten, wie nötig sind. Wozu nötig? Für den vollkommenen Klang.te berücksichtigt.
Jeder große Komponist, der seinen Klang gefunden hat, weiß auch um die richtigen Noten dafür. Und um die richtigen Instrumente – in der Zahl, in dem Register, in der Kombination und dem Tempo, das erforderlich ist. Wenn man dann genauer hinhört, wird man feststellen, dass es am Ende eben gar nicht die Noten sind, die die Musik machen. Wieso klingt ein C-Dur-Akkord von Bach anders als ein C-Dur-Akkord von Mozart, beide wieder anders als der von Beethoven oder Schubert oder Stravinsky, selbst wenn sie auf dem gleichen Instrument gespielt werden? Das ist das Geheimnis: Dass jeder große Komponist offenbar ein anderes C-Dur hört und komponiert. Wenn ein Komponist das nicht kann, wenn er seinen Sound nicht hat und innerlich hört, klingt es einfach nur nach C-Dur und damit langweilig. Man weiß dann einfach sofort, um was es sich handelt.
Der amerikanische Komponist Morton Feldman antwortete einmal auf die Frage, wie er denn mit den 88 Tasten („Noten“) eines Klaviers klarkäme, dass es ihm leichter falle, damit zurecht zu kommen als mit seiner Ehefrau. Feldman ist ein schönes Beispiel dafür, dass für den vollkommenen Klang nur sehr wenig Noten und Instrumente erforderlich sein können.
Feldmans spätes Duett For Christian Wolff (1986) für Klavier/Celesta und Flöte dauert rund dreieinhalb pausenlose Stunden, dazu überwiegend ppp und ohne Mehrklänge. Das Stück ist ein filigraner Monolith. Es besteht im Grund nur aus einzelnen, gegeneinandergesetzten Tönen, die sich nur gelegentlich einmal überlagern. Trotzdem: Hat man erst eingehört, dann trägt der Klang einen auch schon davon und ehe man sich verhört, lauscht man schon über eine Stunde und ist regelrecht irritiert, wenn CD Nr. 1 endet. Irgendwann realisiert man nicht einmal mehr, welche Instrumente gerade spielen. Man ist im Klang, man wird die Klänge. Aber was ist der Klang, wenn er weder die Noten noch die Instrumente ist, ohne die er nicht existieren würde?
Klang wird wahrgenommen und erlebt als Farbe, Form, Ausdehnung, Volumen, Textur. Klang ist auch die Stimmung, Atmosphäre. Klang verarbeitet man vor allem mit der rechten Gehirnhälfte. Klang ist die Seele der Musik. Er kann aber nicht nur merkwürdige psycho-akustische Effekte haben, sondern oft auch eine unmittelbare körperliche Wirkung.
Er habe bewusst ein karges Stück schreiben wollen – sagt Feldman, der wie kein anderer eine in jeder Hinsicht reduzierte Musik geschrieben hat, die einzig und allein dem Klang verpflichtet ist. Je mehr Klang, desto weniger Töne und Instrumente? Vielleicht ist das das paradoxe Geheimnis dieser Musik. Auch bei Schubert gibt es etwas davon, vor allem in den späten Klaviersonaten, ebenso bei Chopin, in den Nocturnes. Oder im Frühwerk von Erik Satie. Karlheinz Stockhausen, eher ein Maximalist unter den Komponisten, schrieb am Ende seines Lebens den 140minütigen Klavierzyklus Natürliche Dauern, der meistenteils aus sparsamen Texturen besteht, bei denen u. a. die Nachklangzeit und der Atemrhythmus des Spielenden das Tempo bestimmt: Notenverdünnung = Klangintensivierung.
Das die genannten Werke allesamt Klaviermusik sind, mag kein Zufall sein. Durch die unmittelbare Berührung der Tasten, die Interaktion von Fingerdruck und Mechanik, Resonanzraum und Pedalisierung ist insbesondere der Klavierklang ein sehr physikalisches und körperliches Phänomen. Die Note ist ein Symbol, ihre Interpretation erst macht den Klang. Und so klingt nicht nur das Mozart-C-Dur anders als ein Schubert-C-Dur. Je nachdem, wer diese Musik auf welchem Klavier spielt, klingt auch noch mal ein Mozart-C-Dur immer wieder anders.
Er sei ein tonaler Komponist, der nicht an die Tonalität glaube, ein instrumentaler Komponist, der nicht an die Instrumente glaube und ein serieller Komponist, der nicht an den Serialismus glaube, sagte Feldman in einem seiner letzten Vorträge. Er glaubte aber an den Klang.
Nun sind die Klang- und Musik-Scouts von Musikansich in ganz unterschiedlichen Soundklimaten unterwegs gewesen. Sie hören, sondieren, bewerten und berichten. Roland Ludwig beispielsweise hat die Jahresauftaktgigs der Münchener Freiheit unter die kritischen Ohren genommen. Mario Karl widmet sich in seinem Artikel über das aktuelle Devin Townsend Project auch den ganz unterschiedlichen Klangkalibern der beiden Vorgruppen Leprous und Between the Buried and me . Wie sich perkussive Zusätze und Extra-Musiker auf den Live-Sound auswirken können, beschreibt Roland Ludwig in seinem Artikel über das „Duo-Trio“-Konzert von Me + Marie und Matthew Matilda. Klassische, romantische und zeitgenössische Klangwelten standen dagegen beim Konzert des Sinfonieorchester und Chor der Leipziger Musikhochschule auf dem Programm, das eine Komposition von Beste Özçelebi mit dem Titel Die Vögel, Schuberts 4. Sinfonie und Mozarts Requiem kombinierte.
Viel Vergnügen beim Lesen und Neugierde auf neue Klangerfahrungen wünscht
Georg Henkel