Gedenken an die (Un-)Toten: Trauerkompositionen von Luigi Cherubini in Altenburg
Auch Luigi Cherubini zählt zur großen Schar von Komponisten, derer sich die Nachwelt speziell aufgrund eines bestimmten Werkes erinnert, und das ist in diesem Fall eine seiner beiden Requiem-Kompositionen, nämlich die erste, die in c-Moll. Selbige bildet auch den zweiten Teil des 5. Philharmonischen Konzerts des Philharmonischen Orchesters Altenburg-Gera, und die Zahl der mit einer Klappe erlegten Fliegen liegt hier doch recht hoch: Es ist nicht nur eines der regulären Orchesterkonzerte (die wie üblich zweimal in Gera und einmal in Altenburg gespielt werden), sondern erlebt noch eine vierte Aufführung, nämlich am Folgeabend in der Frauenkirche zu Dresden, und reiht sich dort ins kulturelle Gedenken an die Zerstörung der Stadt am 13./14. Februar 1945 ein. Und als sei das noch nicht genug, wäre da auch noch der 175. Todestag Cherubinis, der somit auch nicht in Vergessenheit gerät. In Vergessenheit geraten sind dagegen die Werke der ersten Konzerthälfte, allen voran der Marche funebre zu Beginn, ein Werk, das Cherubini zum Gedenken an Karl Ferdinand Herzog von Berry, der 1820 einem Attentat zum Opfer fiel, komponierte. Dieser Trauermarsch hebt mit einem gewaltigen Gongschlag an, und ebenjener nebst folgendem Paukenwirbel fungiert auch im weiteren Verlauf der noch ohne Gesang auskommenden Komposition immer wieder als Gliederungselement und fügt sich stimmig ins Gesamtbild ein, das in der Wiedergabe dieses Abends weniger von tiefer Trauer oder Miesepetrigkeit geprägt ist, sondern eher einen würdevollen Eindruck hinterläßt und vermutlich auch so gemeint war. Selbst die Tutti hinterlassen keinen bedrohlichen Eindruck, so daß wir hier nicht etwa Programmmusik in Richtung einer akustischen Nachbildung des Attentats vor uns haben. Das Orchester, in dem übrigens Andreas Hartmann vom MDR Sinfonieorchester gasthalber als Konzertmeister fungiert, braucht eine Weile, um Spielsicherheit zu gewinnen – vor allem die Streicher finden sich erst spät auf ihrem dem erwähnten Gliederungselement folgenden Vorschlagston. Der am Pult stehende Frauenkirchkantor Matthias Grünert bekommt die Lage mit klarer, fast etwas kantig wirkender Zeichengebung aber schnell in den Griff. In der Passage, wo der Gong dann durchgehend geschlagen wird, entfaltet sich die Trauermarschwirkung zu voller Größe, und für die überschaubare Orchesterbesetzung gerät der Schlußbombast dieses entdeckenswerten Werkes doch ziemlich voluminös. Das folgende Stück namens Chant sur la mort de Joseph Haydn lebt, so bemerkt man nach seiner Aufführung, eher von seiner kuriosen Geschichte als aus musikalischen Gründen: Eine Pariser Freimaurerloge hatte Cherubini 1805 beauftragt, eine Gedächtniskantate auf Haydn zu komponieren, denn die Meldung, der große Wiener Klassiker sei gestorben, hatte die französische Hauptstadt erreicht. Allerdings handelte es sich um eine Ente, und der noch quicklebendige Haydn soll sehr belustigt reagiert haben, als ihm diese Geschichte hinterbracht wurde, während Cherubini, der Haydn zeitlebens bewundert hatte, am Boden zerstört gewesen sein soll. Wie auch immer – die dreiteilige Trauerkantate wird nach einem starken instrumentalen ersten Teil (der sehr schleppend und düster daherkommt und an diesem Abend unter den bisweilen schmerzlich uneinigen Hörnern leidet, während die exzellenten Celli die Kuh vom Eis holen) durch drei Gesangssolisten geprägt, nachdem auch in diesem Teil der einleitende und relativ lange ausgespielte instrumentale Part samt seiner Dynamikberge von Grünert und dem Orchester gelungen in Szene gesetzt worden ist. So hätte es gerne weitergehen können, aber das tut es leider nicht. Im besagten zweiten Teil hat jeder der drei Solisten einen Teil zu singen, im dritten Teil sind dann alle drei in verschiedenen Duo- und Terzett-Konstellationen aktiv, und von diesen Kombinationen funktioniert an diesem Abend leider gar keine. Sopranistin Akiho Tsujii hat eine äußerst kräftige Stimme, kämpft mit den weiten Sprüngen nach oben und gibt einen Deut zu viel Vibrato, die beiden Tenöre Martin Lattke und Paul Kroeger hingegen stehen sich trotz gewisser stimmfarblicher Unterschiede von den Gesangslinien her eher im Wege (kurios, daß ein Könner wie Cherubini das nicht gemerkt hat), und besonders in den A-cappella-Passagen wird deutlich, daß die drei nie zueinanderfinden, wobei Kroeger dazu neigt, Lattke akustisch zuzudecken. Ob der Fakt, daß das Orchester in diesem zweiten und dritten Teil bisweilen einen arg hektischen Eindruck hinterläßt und mitunter halbe Takte wie verschoben anmuten, so in der Partitur angelegt ist, kann ohne Detailkenntnis ebenjener nicht entschieden werden, aber seltsam klingt’s schon, zumal fürs frühe 19. Jahrhundert. Daß die Beteiligten am Ende dieses Stückes lauten Beifall mit Bravorufen ernten, spricht in diesem Falle nicht für sie, sondern gegen das Publikum. Für das nächste Stück O fons amoris, das wahrscheinlich 1857 letztmalig aufgeführt worden ist, bleibt von den Solisten nur Lattke auf der Bühne, es kommen aber hinten die 18 Herren des Kammerchores der Dresdner Frauenkirche hinzu. Deren Einsätze gestaltet Grünert nicht selten prächtig distanziert, so daß hier und da so etwas wie eine Fernwirkung entsteht – die Probleme lagern woanders: Lattke, eigentlich ein absoluter Könner, wirkt angestrengt und schafft es nur phasenweise, sich wirklich freizusingen. Okay, Cherubini hat ihm einige sauschwere Tonsprünge von ganz unten nach ganz oben zugemutet, und die muß man erstmal so hinbekommen, wie sie an diesem Abend zu hören sind. Und fürs Balanceproblem in diesem Stück kann der Sänger auch wenig: Gibt der Chor nur geringfügig mehr, hört man den Solisten kaum noch, und gegen ein Orchestertutti steht er völlig auf verlorenem Posten. Das ist eher unerquicklich für den Hörer, und so ertappt sich dieser dabei, neben den ätherischen Chorpassagen vor allem bestimmte Instrumentalteile zu schätzen, etwa das schöne Holzbläserinterludium vor der zweiten Strophe (es gibt deren drei, und die sind in klassischer Schnell-Langsam-Schnell-Folge angeordnet) oder die witzigen Offbeat-artigen Strukturen in der dritten Strophe. Im Finale fließt dann enorm viel Energie, und Grünert springt wie ein Stehaufmännchen auf seinem Pult hin und her – nur Lattke geht in diesem Strudel leider völlig unter. Nach der Pause erklingt das eingangs erwähnte Requiem c-Moll, von der Bestimmung her keine Totenmesse im eigentlichen Sinn, sondern für das alljährliche Gedenken an die 1815 erfolgte Überführung der Gebeine von Ludwig XVI. und Marie Antoinettes (das Königspaar war bekanntlich 1793 unter der Guillotine gelandet) in die Kathedrale von Saint Denis bestimmt, wo es 1817 uraufgeführt wurde und im Rahmen dieser Memorialzeremonie gleich dreimal erklang. An diesem Abend 200 Jahre später in Altenburg begnügt man sich mit einem Durchlauf, und dabei ist nun der komplette Kammerchor aktiv, während Cherubini – für ein Requiem in dieser Periode eher ungewöhnlich – auf Gesangssolisten verzichtet. Grünert findet zunächst im Introitus eine sehr elegante Linie – er läßt die Generalpausen wirklich als solche gestalten, schafft es aber dennoch, den Satz nicht zerklüftet wirken zu lassen (am Folgeabend dürfte sich unter den extremen Nachhallbedingungen der Frauenkirche nochmals eine ganz andere Klangwirkung ergeben haben). Er formt aus Orchester und Chor exzellente Klangbilder und kann zudem auch auf viel größere Spielsicherheit bauen. Die gekonnte und angemessene Halbfinsternis im Satzschluß leitet über zum nicht ganz so gestaltungsmächtigen, aber immer noch gut gemachten Graduale. Dann folgt, strukturell ungewöhnlich, der Tractus „Absolve Domine“ als Einschub, der ausschließlich aus gregorianischem Gesang der Chorherren besteht, und der droht nur mal ganz kurz zu zäh zu werden, erfüllt aber ansonsten seine Aufgabe des Spannungsaufbaus exzellent. Die Blechbläsereruption am Beginn des Dies irae kontrastiert wirkungsvoll mit dem eben Gehörten, der riesige Gong wird nochmal in Schwingungen versetzt, und Grünert schafft es, in der Folge die Orchesterenergie so zu dosieren, daß man den Chor zumindest noch in den Gesangslinien hört, auch wenn man den Text nicht mehr versteht (den kann man dafür im Programmheft mitlesen). Die Streicher machen sowohl vorder- als auch untergründig viel Tempo, und ins finale Lacrymosa bekommen alle eine interessant ausziselierte Stufung hin, nachdem zuvor besonders die ätherischen weiblichen Chorstimmen für Gänsehaut gesorgt haben. Das Offertorium schreitet zunächst mit Eleganz vorwärts, auch die Dynamikwechsel passen prima, und nur gelegentlich stellt das Orchesterblech den Chor zu sehr ins klangliche Abseits, was aber spätestens mit dem Zwischenfinale vorm Hostias-Teil der Vergangenheit angehört. Selbiger Hostias-Teil wiederum gerät zur Lehrstunde in pncto Spannungsaufbau und -entladung, Grünert und alle Bühnenaktiven zeigen, daß sie ihre Lektion gelernt haben, und so ist man auch zu verzeihen geneigt, daß im kurzen anschließenden Sanctus die Violinen so vordergründig agieren, daß vom Chor kaum noch etwas vorn ankommt. Dafür entschädigt das schön zarte, elegante und kammermusikalisch gedachte Pie Jesu, bevor das Agnus Dei nochmal geschickte Arbeit auf der Dynamikklaviatur verlangt und Grünert diese auch abzuliefern vermag. So geht im Lux aeterna buchstäblich die Sonne auf, und auch wenn der Schluß des Satzes wie des Werkes allenfalls ins p und nicht ins pp entschwindet, so steht die Spannung doch und entlädt sich erst nach langer Pause in verdienten tosenden Applaus. Roland Ludwig |
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