Musik an sich


Artikel
Teil 3 der Remaster-Serie von Led Zeppelin: Physical Graffiti





Led Zeppelin und kein Ende. Gibt es eine Band, die so ein Bohei hervorrufen konnte, nur weil sie ihre jahrzehntealte Musik neu abgemischt auf den Markt bringt? Außer den Beatles fällt dem Rezensenten keine ein. Ob es einfach an der Klasse der Musik oder dem hervorragendem Marketing liegt, möge jeder für sich selbst entscheiden. Fakt ist jedenfalls: Die Mitte letzten Jahres eingeläutete Reihe der Wiederveröffentlichungen geht weiter. Dieses Mal allerdings nur mit einem Album. Ob es daran liegt, dass Physical Grafitti gleich ein Doppelalbum ist?

Der Fan kann auch hier wieder zu mannigfaltigen Versionen greifen. Egal ob als Doppel-CD, als Dreifach-CD mit einer Bonussscheibe, als umfangreiche, schmucke Box oder eben ganz altmodisch wieder auf Vinyl - hier entscheidet die Fülle des Geldbeutels sowie die Leidenschaft des Sammlers darüber, zu welcher Edition man greift. Egal was man auch wählt, man bekommt so und so das umfangreichste und vielleicht auch bunteste Album des Vierers.

Was das Remastering betrifft, kann hier auf die letzten beiden Led-Zeppelin-Artikel verwiesen werden (hier und hier). Klangleich gestaltet es sich ähnlich wie beim Vorgänger Houses of the Holy, der eine ähnliche Soundfülle vorweist. Denn was die verwendeten Spuren betrifft, mochte es die Band hier teilweise recht opulent. Aufgrund der Abmischung kann man auch jedes Instrument gut heraus hören. Trotzdem klingt das Ganze nach wie vor natürlich und teils auch ziemlich kantig.

Doch nun zum Album selbst.


Physical Graffiti


Für die Aufnahmen der neuen Platte zog man sich wieder auf das englische Anwesen „Headley Grange“ zurück. Die Arbeiten stockten allerdings ein wenig und auch zwischenmenschlich machte sich etwas Unmut breit. Die letzten Vollgas-Jahre waren für manches Bandmitglied wohl etwas zuviel. Nach einem erneuten Anlauf schrieb und spielte man schließlich doch acht neue Songs sein, die alleine schon länger als eine handelsübliche Vinyl-LP waren. Was also tun? Im eigenen Archiv kramen und ein paar weitere, bisher nicht verwendete Songs dazu packen und ein Doppel-Album daraus machen, war die Lösung. Das war natürlich Wasser auf die Mühlen derjeniger, die Led Zeppelin seit jeher Größenwahnsinn vorwarfen. Auf der anderen Seite stellte eine Doppel-LP das ultimative künstlerische Statement der mittleren Siebziger dar.

Physical Graffiti ist ein Füllhorn an tollen, teils stilistisch ziemlich unterschiedlicher Songs geworden. Von straightem Hardrock, über akustische Spielereien, Boogie und Blues sowie Prog- und Orchster-Rock ist einiges dabei, das den Fan erfreut. Die größte Schlagkraft beweist dabei LP Nummer 1. „Custard Pie“, „The Rover“ und auch „Houses of the Holy“ sind drei kräftige, durchaus eingängige Rocker mit guten Grooves, die im Led-Zeppelin-Kanon leider immer wieder etwas übersehen werden. Dabei stand die Band hier noch voll im Saft und schaffte es mühelos gute Songs zu schreiben. „Trampled Under foot“ passt auch hier rein, bringt aber eine Portion Funkiness mit sich. Dreh- und Angelpunkt sind allerdings andere Songs. Zum einen der schmierige Blueser „In My Time of Dying“. Die Tempo-Variationen und der manchmal fast gestöhnte Gesang Plants lassen an ein Liebesspiel denken. Sieht man es profaner tobt sich die Band und vor allem Gitarrist Page mit seinen Slide-Einlagen auf intensive Art und Weise aus. Das jammige Flair ist jedenfalls grandios. Auf der anderen Seite steht das allseits bekannte „Kashmir“, das mit seinem Groove und dem orchestralen Sound sowie den arabisch beeinflussten Melodielinien die Massen in seinen Bann zog. Ganz egal ob abgedudelt oder nicht: zweifelsohne ein Klassiker.

Die zweite LP wird da noch etwas bunter. Bereits das eröffnende „In the Light“ ist eine tolle Nummer, bei der Led Zeppelin Prog-Luft schnuppern. So ausgedehnt und atmosphärisch bekam man das Luftschiff selten zu hören. Sicherlich ein großer Verdienst des stillen John Paul Jones. Absolut reduziert ist dagegen das sanfte Akustikgitarren-Instrumental „Bron-Yr-Aur“. Zur Akustikgitarre wird sogar mehrfach gegriffen, wenn auch nicht mehr so eindringlich. Das lüstern gesungene „Black Country Woman“ ist noch etwas unspektakulär. Dafür dampft „Boogie with Stu“ regelrecht. Und das vor allem wegen der lässigen Boogie-Woggie-Einlagen des Pianisten Ian Stewart. Gewohnten Hardrock gibt es natürlich mit „The Wanton Song“ und „Sick Again“ auch. Nur nicht so stark wie auf der ersten Scheibe. Für die wirklich unterhaltsamen Momente sorgen andere Titel. Zum Beispiel der anfangs balladesk daher kommende Lovesong „Ten Years Gone“. Aber auch der entspannte, helle Softrock von „Down by the Seaside“ oder „Night Flight“ können überzeugen. Letzterer Titel passt mit seinem opulenten Rocksound optimal in die damalige Zeit.

Am Ende ist Physical Grafitti ein weiterer, unumstößlicher Klassiker von Led Zeppelin. Es sollte das letzte wirklich große Album bleiben, bevor die Band fünf Jahre später das Zeitliche segnete. Es ist beileibe keine Geldverschwendung sich diese Platte(n) ins Haus zu holen. Für den Fan bleibt am Ende natürlich noch die Frage, ob sich die Anschaffung der 3-CD-Version mit beiliegender „Companion Disc“ lohnt. Sieben der 15 Albumsongs werden hier in alternativen Versionen präsentiert. Einen „neuen alten“ Titel bekommt man nicht vorgesetzt. Am aufschlussreichsten ist dabei die als „Everybody Makes It Through“ betitelte Arbeitsversion von „In the Light“. Hier war das Ganze noch ein waschechter Rocksong. Interessant, auch wenn das Endergebnis wesentlich mehr fasziniert. „Trampled Under Foot“ (hier „Brandy & Coke“), „Boogie With Stu“, „In My Time of Dying“ und auch „Kashmir“ (hier „Driving Through Kashmir“) erscheinen als Rohmixe, die nahe an den Albumversionen sind. Mal bekommt man etwas andere Texte („Kashmir“, „Brandy & Coke“) zu hören, mal lässt Page tiefer in Sachen Overdubs blicken („Houses of the Holy“) oder der Mix legt seinen Fokus auf andere Instrumente („Boogie With Stu“, „Kashmir“). „Sick Again“ bekommt man dagegen als kürzeres Instrumental vorgesetzt, was durchaus interessant ist.

Wie immer richtet sich das Ganze an knallharte Fans. Aber so ist die erweiterte Edition eine hübsche geworden. Man hat sich bemüht das Artwork so genau wie möglich dem Original nachzuempfinden. Das heißt, man kann die Einleger auch so in die Kartonhülle stecken, dass einem immer wieder andere Personen aus den Fenstern des Covers entgegen lächeln. Hach, das war schon toll damals, als sich Bands und Labels noch richtig Mühe mit den Plattenhüllen gaben…

CD1:
1. Custard Pie (4:16)
2. The Rover (5:39)
3. In My Time Of Dying (11:08)
4. Houses Of The Holy (4:04)
5. Trampled Under Foot (5:36)
6. Kashmir (8:39)

CD2:
1. In The Light (8:48)
2. Bron-Yr-Aur (2:06)
3. Down By The Seaside (5:15)
4. Ten Years Gone (6:34)
5. Night Flight (3:38)
6. The Wanton Song (4:08)
7. Boogie With Stu (3:52)
8. Black Country Woman (4:24)
9. Sick Again (4:44)

Companion Disc:
1. Brandy & Coke (Trampled Under Foot - Initial Rough Mix) (8:48)
2. Sick Again (Early Version) (2:22)
3. In My Time Of Dying (Initial Rough Mix) (10:48)
4. Houses Of The Holy (Rough Mix With Overdubs) (3:51)
5. Everybody Makes It Through (In The Light Early Version/In Transit) (6:29)
6. Boogie With Stu (Sunset Sound Mix) (3:39)
7. Driving Through Kashmir (Kashmir Rough Orchestra Mix) (8:41)



Mario Karl



 << 
Zurück zur Artikelübersicht
 >>