Musik an sich


Reviews
Carter, E. (Aitken)

100th Anniversary Release (Div. Kammermusik)


Info
Musikrichtung: Neue Musik Ensemble

VÖ: 09.01.2009

(Naxos / Naxos CD DDD + Bonus-DVD / 2006-2007 / Best. Nr. 8.559614)

Gesamtspielzeit: 63:59



GEBURTSTAGS-STÄNDCHEN

Elliott Carter feierte im Dezember 2008 seinen 100. Geburtstag und das Label Naxos gratuliert mit einer 100th Anniversary Release, die mit einer Bonus-DVD auftrumpft. Auch sonst hat sich das Budget-Label im Carter Jahr hervorgetan, als es dem Jubilar mit einer herausragenden Einspielung einiger seiner Streichquartette durch das Pacifica Quartet die Reverenz erwies (ein 2., komplettierender Teil soll folgen).
Carter gehört zu den bedeutendsten amerikanischen Komponisten des 20. und jetzt auch 21. Jahrhunderts. Und wie viele seiner US-Kollegen hat er mit einer gesunden Mischung aus Eigensinn und Pragmatismus seinen Weg verfolgt. Erst 1951 fand er mit dem 1. Streichquartett zu seinem persönlichen Stil, jenseits der damals in Mode kommenden seriellen (Stockhausen, Boulez) oder aleatorischen (Cage) Techniken. Und seit den 80er Jahren (bei anderen Komponisten würde man hier von „Spätwerk“ sprechen!) ist er noch einmal so richtig produktiv geworden, hat in schneller Folge Kammer-, Orchester-, und Konzertmusik und schließlich mit über 90 Jahren seine erste Oper komponiert.

An der Oberfläche ist Carters Musik eher von einer freien Atonalität geprägt, im (wesentlich wichtigeren) Hintergrund laufen komplexe rhythmische Prozesse ab. Carters Metier ist die Zeit bzw. die Vielschichtigkeit gleichzeitig ablaufender Ereignisse und Prozesse, die ihren eigenen Zeit-Raum und –Horizont konstruieren. Als klassisches Beispiel führt Carter gerne die Ballszene aus Mozarts Don Giovanni an: Drei Ensembles spielen drei unterschiedliche Tänze in unterschiedlichen Tempi, durchkreuzen und ergänzen einander. In Carters Musik werden die unterschiedlichen Zeit-Schichten meist durch charakteristische Intervalle, Gesten und Rhythmen gekennzeichnet.
Typisch für Carters Kombi-Stil auf der aktuellen CD sind vor allem das erste und letzte Stück: Mosaic für Ensemble und Dialogues für Klavier und Ensemble stammen aus jüngerer Zeit und zeigen, wie Carters Musik in den letzten Jahren an Durchsichtigkeit gewonnen hat. Obwohl die Gesten, Figuren und Schichtungen gut nachvollziehbar sind, verlangt die Musik ein aufmerksames Ohr, das auch Dissonanzen nicht abgeneigt ist. Alles befindet sich in steter Bewegung und Neu-Organisation. Der Ausdruck ist stilisiert und hält den Hörer in beobachtender Distanz. Carters Klangsinnlichkeit ist eher die der zackigen Linie oder klaren, scharf gezeichneten Form. Klangfarben, auch wenn sie subtil ausgehört sind, markieren mehr die Vorgänge als dass sie atmosphärisch wirksam würden.
Das gilt auch für die übrigen Werke der Platte, allesamt klein besetzte Miniaturen für ein oder zwei Instrumente, in denen sich auch der gelegentlich schräge Humor Carters zeigt. Sie erfahren durch die Mitglieder des New Music Concert Ensemble geschliffene Darbietungen, die wegen der intensiven Betreuung des Komponisten bei der Einstudierung Authentizität beanspruchen dürfen. Über die Proben und Aufführungen informiert die DVD, die überdies den trotz seines Alters hellwachen Komponisten sowie den Ensemble-Leiter und Flötisten Robert Aitken bei der Arbeit und während eines Podium-Gespräches zeigen. Es gibt leider keine Untertitel.



Georg Henkel



Trackliste
1Mosaic (2005)11:56
2 Scrivo In Vento (1991)5:32
3 Gra (1993)4:18
4 Enchanted Preludes (1988)6:00
5 Steep Steps (2001)2:40
6 Figment No. 1 (1994)6:16
7 Riconoscenza per Goffredo Petrassi (1984)5:51
8 Figment No. 2 (2001)3:58
9 Rhapsodic Musings (1999)3:14
10 Dialogues (2004)14:14
Besetzung

New Music Concerts Ensemble

Robert Aitken: Leitung & Flöte


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