Ziesak, Ruth
Geistliche Arien des norddt. Barock
SCHLICHT ERGREIFEND
Die Kunst des Sich-Zurücknehmens, der diskreten und uneitlen Darbietung, durch die es erst möglich wird, feinste Nuancierungen herauszuarbeiten, sind es, die die Sopranistin Ruth Ziesak auszeichnen. Diese Eigenschaften kommen ihr bei dem hier eingespielten Repertoire zugute. Die geistlichen Barockarien der Komponisten, die im 17. Jahrhundert im protestantischen norddeutschen Raum tätig waren, bedienen sich nämlich ebenfalls einer zurückhaltenden musikalischen Sprache, bei der das Wort und seine Verständlichkeit im Vordergrund stehen, der Affekt nur beinahe schüchtern eingesetzt wird. So erscheint etwa Christian Geists Vertonung des Vaterunser gerade in seiner Schlichtheit stark. Zugleich nimmt man mit Interesse zur Kenntnis, dass eine Verzierung der Gesangslinie allein bei den Zeilen "und führe uns nicht in Versuchung, sondern erlöse uns von dem Übel" stattfindet - treffender könnte man die religiös motivierte Ablehnung sinnlicher Genüsse nicht aufzeigen. Bei Samuel Ebarts "Miserere" liegt der Fall ein wenig anders: Das Stück ist überraschend schwärmerisch und inbrünstig aufgeladen, wirkt fast romantisch pietistisch. Ruth Ziesak widersteht der Versuchung, dabei zum opernhaften Vortragston zu wechseln, sondern leuchtet das religiöse Empfinden in ganz zarten Farben aus. Dieses Verfahren macht sich auch bei Franz Tunders Geistlichem Konzert bezahlt, das im übrigen mit einem fein ausdifferenzierten Instrumentalsatz aufwartet. In dem Konzert "Aus der Tiefe rufe ich zu dir" von Christoph Bernhard, darf die Solistin dann ihre virtuosen Fähigkeiten in den hohen Lagen ausspielen, denn Bernhards Werk ist deutlich von italienischen Vorbildern beeinflußt. Ihre Stimme wird selbst hier nie schneidend, sondern behält durchweg einen schmeichelnden Ton.
In der Instrumentalbegleitung vermag die Berliner Barock-Compagney ohne Abstriche zu gefallen. Ihre Detailfreudigkeit und Präzision entsprechen der sängerischen Darbietung. Dem Ensemble kommt aber auch darüber hinaus eine wesentliche Rolle zu, werden die Vokalstücke doch jeweils durch eingeschobene Instrumentalwerke getrennt, die rund die Hälfte der Spielzeit ausmachen. Hier erscheint die Barock-Compagny stellenweise etwas übereifrig. Wenngleich beispielsweise Buxtehudes Musik gewiß nicht allezeit gefällig erscheinen muß, so ist es doch andererseits unnötig, sie derart aufzurauen, wie es hier bei der Sonata B-Dur geschieht, die dadurch kantig und zerrissen wirkt. Auch in Reinckens Suite Nr. 6 finden sich solche Passagen, wohingegen Vierdanks "Passamezzo" und Thomas Baltzars "Airs für Solo-Violine" sensibler begegnet wird.
Das kammermusikalisch dichte, reine Klangbild sorgt dafür, dass der Hörer die Kunst Ruth Ziesaks und die Vielfalt dieser zunächst oft unscheinbar wirkenden Musik in vollen Zügen genießen kann.
Sven Kerkhoff
Trackliste |
1 Ch. Geist (ca. 1640-1711) - Vater unser 05:56 2 D. Buxtehdude (1637-1707) - Sonate B-Dur op. 1 Nr. 4 f. Violine, Viola da gamba und B.C. 07:58 3 Samuel Ebart (1655-1684) - Miserere, Christi, mei 08:26 4 J. Vierdank - Passemezzo e la sua Gagliarda f. 2 Violinen und B.C. 09:19 5-7 F. Tunder (1614-1667) - Ach Herr, lass deine lieben Engelein 07:16 8-12 J.A. Reincken (1623-1722) Suite Nr. 6 A-Dur f. 2 Violinen, Viola da gamba und B.C. 13:23 13 Ch. Bernhard (1628-1692) - Aus der Tiefe rufe ich zu dir 05:54 14-17 Th. Baltzar (ca. 1630/31-1663) - Airs für Solo-Violine 09:00 18 Ch. Geist (ca. 1640-1711) - Wie schön leuchtet der Morgenstern 04:15 |
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Besetzung |
Ruth Ziesak, Sopran
Berliner Barock-Compagney: Georg Kallweit / Birgit Schnurpfeil, Violine Jan Freiheit, Viola da gamba / Violone Robert Sagasser, Violone Raphael Alpermann, Orgel Björn Colell, Laute
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