James LaBrie
Beautiful Shade Of Grey
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Was den Instrumentalisten von Dream Theater recht ist, kann ihrem Sänger nur billig sein – nämlich das Musizieren in anderen Bands bzw. Soloprojekten. So rief James LaBrie schon in den Neunzigern eine Combo namens Mullmuzzler ins Leben und spielte mit selbiger zwei Alben ein, bevor irgendjemandem dämmerte, dass dieser Bandname vielleicht nicht der Weisheit letzter Schluß sei. Ergo firmierte das Ganze ab 2005 schlicht und einfach unter dem Namen James LaBrie als Soloprojekt und brachte über die Jahre hinweg drei Alben und eine EP hervor, deren Titel I Will Not Break sich im nachhinein als geflunkert herausstellt, denn in den Soloaktivitäten trat tatsächlich eine längere Unterbrechung ein, die erst endete, als der Sänger auf dem Flughafen in Glasgow zufällig Paul Logue von Eden’s Curse traf, und da die beiden kurze Zeit später pandemiebedingt plötzlich viel Zeit hatten, kamen sie überein, gemeinsam ein Album zu schreiben, das zum neuen Soloalbum LaBries deklariert werden sollte. Einen passenden Keyboarder brachte der sowohl Gitarre als auch Baß spielende Logue aus seiner Band in Gestalt von Christian Pulkkinen mit, einen Gitarristen hatte LaBrie mit Marco Sfogli schon seit Jahrzehnten an seiner Seite, und auf der Suche nach einem Drummer wurde der Sänger gar in der eigenen Familie fündig, in Gestalt seines Sohnes Chance.
Dieses Quintett hätte natürlich problemlos eine weitere Progmetalscheibe einspielen können – aber wer eine solche erwartet, der irrt: LaBrie und seine Mitstreiter liefern ein Akustikrock-Album ab, in dessen regulärem Teil nur Sfogli gelegentlich in der Soloarbeit die Elektrische anwirft. Der Opener „Devil In Drag“ ist am Ende der Scheibe nochmal in einer „Electric Version“ zu hören und macht dort klar, was aus diesem Songmaterial auch hätte werden können, nämlich kernigerer Stoff irgendwo zwischen Melodic Rock, Progrock und Hardrock – und manchem Hörer, der die Stammband des Vokalisten schätzt, wäre das wohl auch lieber gewesen. Läßt man sich aber auf die akustische Herangehensweise ein, offenbart sich bald, dass das Songmaterial auch auf diese Manier funktioniert und es in den Songs eine Menge Interessantes zu entdecken gibt, egal ob wir nun eine (relativ gesehen) zügigere Nummer wie „Devil In Drag“, einen beschwingten Quasi-Hit wie „Supernova Girl“ oder eine scheinbare Ballade wie „Give And Take“ vor uns haben, wobei man sich in der letzteren ein wenig an das hektisch-harte, spanisches Kolorit andeutende, aber auch nur mit der Akustischen umgesetzte Hauptsolo gewöhnen muß, das der entspannten Stimmung von Strophen und Refrain einen Kontrapunkt entgegensetzt, der im Finale nochmal wiederkehrt. Auch das folgende „Sunset Ruin“ bietet keine völlige Entspannung, da Chance hier in den Strophen eine etwas ungewöhnliche Betonung einbaut und die zum Solo hinführende Bridge etwas mehr Dramatik beinhaltet. Die Streicherteppiche in dieser Nummer sind echt, wenngleich das Booklet nur je eine Person für Celli und Violinen angibt, die dann offenkundig linienseitig multipliziert worden sind. Klar, das dynamische Spektrum ist begrenzt, und so mancher Hörer wird sich vielleicht gewünscht haben, das nur knapp dreieinhalbminütige „Hit Me Like A Brick“ wäre eine lockere Speednummer geworden – aber auch der Midtempogroover, der letztlich entstanden ist und der ab der zweiten Strophe ein paar proggige Rhythmusverschiebungen hineinzaubert, macht zweifellos Hörspaß. Und dass LaBries Stimme zu einem nicht metallisch krachenden instrumentalen Unterbau prima paßt, weiß der geneigte Anhänger ja spätestens seit „Wait For Sleep“, „The Silent Man“ oder „Space-Dye Vest“. „Wildflower“, der einzige von Logue im Alleingang geschriebene Song, geht dann tatsächlich mal wieder in zügigeres Midtempo über, wobei die Streicher hier offenbar aus Pulkkinens Konserve kommen. Generell fällt allerdings auf, dass der Keyboarder akustisch ziemlich weit im Hintergrund steht – Beautiful Shade Of Grey ist ganz klar ein Gitarrenalbum geworden, nur halt eins mit hauptsächlich akustischen Gitarren.
Ohne Gitarren geht’s freilich auch: „Conscience Calling“ entpuppt sich als knapp einminütige Chornummer aus der Feder von LaBrie und Henning Pauly, die a cappella bleibt und den Vokalisten sozusagen zum Einmann-Chor macht, und das Intro von „What I Missed“ wird zunächst nur vom Piano bestritten, bevor dann doch die Sechssaitige hinzutritt. Der Song gestaltet sich relativ dramatisch und ist derjenige, der wohl am stärksten an Dream Theater erinnert, aber auch ein wenig an Savatage, während das Trans-Siberian Orchestra aus den Kunststreichern im Hintergrund eine bombastische Orchesteruntermalung gestrickt hätte. „Am I Right“ stellt mit knapp sechs Minuten den längsten Song der Scheibe dar und führt mit weiblichen Vocals von Theresa Thomason (und ein paar Backings von Dennis Ward) noch ein zusätzliches Element ein, übrigens auch räumlich: Pandemiebedingt konnten sich die Musiker nicht treffen, um die CD einzuspielen, und so kamen zwei Studios in Kanada und je eins in den USA (dieses für Thomasons Gesang), in Schottland, Finnland und Italien zum Einsatz, ehe Mix und Mastering schließlich in Schweden erfolgten.
Besagtes „Am I Right“ schraubt den Bombastfaktor (im gegebenen Rahmen natürlich) noch einmal nach oben und besitzt damit eine Art Schlußwirkung, was in bezug auf das eigene Material des Hauptkonzeptes auch so gedacht gewesen sein könnte. Es folgen allerdings noch zwei Songs, zunächst einer, bei dem man bei einem Blindfoldtest spontan überrascht ist, wie sehr die Akustikgitarren und das Arrangement nach Led Zeppelin klingen und wie nahe LaBrie in den höheren Lagen stimmlich an Robert Plant herankommen kann – bis es einem spätestens beim Refrain wie Schuppen von den Ohren fällt: Das ist tatsächlich eine Led-Zeppelin-Coverversion, nämlich „Ramble On“, umgebaut in den vorherrschenden Stil des Albums, also die Elektrische auch hier nur einige Leads einwerfen lassend – und dass das funktioniert, verwundert nicht, schließlich waren Zep ja selbst Meister des Einsatzes der Akustischen.
Beautiful Shade Of Grey endet dann wie erwähnt mit der elektrischen Version von „Devil In Drag“, die verdeutlicht, was eine kleine Instrumentierungsänderung aus dem gleichen Songgerüst macht, wobei die Akustische im Hintergrund weiter mitmischt, der Verzerreffekt auf der Stimme in den Strophen allerdings nicht hätte sein müssen – da paßt die natürliche Stimme in der Akustikversion besser. Das angedüsterte Intro wurde in der elektrischen Version wegrationalisiert. Vielleicht hören wir irgendwann auch mal noch andere Songs des Albums auf elektrifizierte Weise. Bis dahin müssen wir uns aber mit der Akustikvariante begnügen, die für das eine oder andere Ohr sicher gewöhnungsbedürftig daherkommt, LaBrie aber andererseits auch für das Tom-Petty-Publikum interessant machen könnte, wenn man es irgendwie schafft, diesem das Material nahezubringen. Der eine oder andere Refrain kommt jedenfalls eingängig genug daher, um auch mainstreamseitig zu zünden. Das Album steckt in einem hübsch gestalteten Digipack, wobei einige optische Parallelen zu Dream Theaters A View From The Top Of The World vermutlich kein Zufall sind. Wer die ziemlich harte Linie, die LaBries Hauptband überwiegend fährt, nicht so prickelnd findet, aber LaBries markante Stimme generell mag, könnte hier jedenfalls interessanten Stoff entdecken, wenngleich auch der Rezensent zugeben muß, dass ihm das Material hier und da zu nahe an der Laid-back-Grenze lagert und ein flotter Akustikrocker irgendwo in der Albummitte der inneren Dynamik sehr zuträglich gewesen wäre.
Roland Ludwig
Trackliste |
1 | Devil In Drag | 5:37 |
2 | SuperNova Girl | 4:22 |
3 | Give And Take | 4:44 |
4 | Sunset Ruin | 5:10 |
5 | Hit Me Like A Brick | 3:22 |
6 | Wildflower | 3:54 |
7 | Conscience Calling | 0:48 |
8 | What I Missed | 4:53 |
9 | Am I Right | 5:52 |
10 | Ramble On | 4:55 |
11 | Devil In Drag (Electric Version) | 4:34 |
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Besetzung |
James LaBrie (Voc)
Paul Logue (Git, B)
Marco Sfogli (Git)
Christian Pulkkinen (Keys)
Chance LaBrie (Dr)
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