Ein Rock’n’Roll-Feuerwerk nach Schweizer Art: China live in Augsburg
Auf China bin ich erst vor kurzem durch einen Arbeitskollegen gestoßen. Er hat mir die beiden Alben China und Sign In The Sky empfohlen, die beide wahre Hardrock-Perlen der 80er-Jahre darstellen. Ich wusste nicht, dass die Band noch aktiv ist und war wirklich erstaunt, als ich zufällig auf der Homepage des Spectrum den Auftritt entdeckt habe. Auf den Internetseiten von China steht, dass sie in dieser Besetzung 2023 schon etliche Konzerte in der Schweiz gespielt haben. Als Vorbereitung für den heutigen Abend habe ich mir die oben erwähnten Scheiben reingezogen. Im Spectrum sind vielleicht 250 Leute da, vom Altersschnitt 50 aufwärts. China starten pünktlich um 20 Uhr mit dem bekannten Intro des Debüt-Albums und starten mit „Dead Lights“. Der Sound passt, die Musiker sind bis in die Haarspitzen motiviert. Das Augsburger Publikum ist gespannt und empfängt die Musiker mit viel Applaus. Die gut gelaunten Schweizer Originale haben sichtlich Spaß auf der Bühne und wirken locker, spielfreudig und bestens auf den Gig vorbereitet. Was mich und einige andere auch zu Beginn irritiert ist das Fehlen von Sänger Hardy. Ist er krank? Die Band spielt weiter, ohne das Fehlen des Sängers zu kommentieren. Gitarrist Claudio Matteo übernimmt den Gesang. Dabei lässt er zwischendurch eine feine Schweizer Präzisionsgitarre mit handwerklich gut gemachten Solos aufblitzen, die er sich mit Gitarrist Freddy Scherer teilt. Zu Beginn klingt Matteos Stimme noch ein bisschen dünn, was sich nach ein paar Nummern jedoch schon komplett gebessert hat. Etwas ungewohnt ist es, die beiden Gotthard-Urgesteine Freddy Scherer an der Gitarre und Marc Lynn am Bass auf dieser kleinen Bühne zu sehen. Das scheint dem Duo völlig egal zu sein. Mit viel Elan und hochkonzentriert stellen sie sich in den Dienst der Band und geben Vollgas. Die Songs atmen den Spirit der 80er Jahre durch und durch. Matteo kündigt unter großem Jubel an, dass an dem Abend eine Zeitreise in die 80er unternommen wird. Er hat den Schalk im Nacken und die Lacher stets auf seiner Seite. Vor den Konzerten in Deutschland habe man sich bandintern darauf verständigt, bei den Ansagen möglichst akzentfrei zu sprechen. Dies erzählt er mit einem Grinsen im Gesicht und dem breitesten Schwizerdütsch das man sich vorstellen kann. Hier ist nichts durchgestylt oder einstudiert. Es wirkt spontan und von einer Begeisterung getragen, die ich so schon lange nicht mehr auf einer Bühne beobachten konnte. Mit dem Enthusiasmus einer Nachwuchsband lassen die Eidgenossen einen Song nach dem anderen vom Stapel. Der neue Song „Love Someone“, zu dem es ein cooles Video gibt, klingt einfach nur stark. Die Musiker freuen sich, neues Material präsentieren zu können. Trotzdem habe ich den Eindruck, dass der Band ein weiterer Sänger neben Matteo gut zu Gesicht stehen würde. Auf einmal geht auf der Bühnenseite der Vorhang auf und Sänger Werner „Hardy“ Hartmeier stürmt mit Mikrofonständer die Bühne. Er rockt wie ein Verrückter und reißt das Augsburger Publikum vollends mit. Nach dem Stück fragen seine Kollegen, wo er denn war. Er meinte nur, dass er sich draußen bei einem Würstchenstand mit Essen versorgt hätte. Das Publikum lacht sich kaputt, die Musiker auch und das Konzert geht weiter. Das Ganze wirkt so authentisch, dass ich mir die Frage stelle: Kann das sein? Hardy ist ein unglaublich sympathischer Typ und ein Vollblutrocker, der kurz von der Bühne runterhüpft und das Bad in der Menge sichtlich genießt. Er heizt die Fans an und motiviert alle vor und auf der Bühne bis in die verbliebenen Haarspitzen. Soundmäßig klingen die Stücke ohne Keyboard anders als auf den beiden ersten Scheiben. So hört sich manches eher nach Krokus oder AC/DC an, was jedoch überhaupt nicht schadet. Die Essenz der Stücke wird geradezu freigelegt und durch diese Änderung auf das Wesentliche reduziert. „Back To You“ glänzt mit überragenden Backing-Vocals. Das Stück wurde von Fernando von Arb, dem legendären Krokus-Gitarristen, geschrieben. Auch hier ist die Partystimmung am obersten Level. „Hot Loving Nights“ lässt keine Pause entstehen und schiebt den nächsten Kracher gleich hinterher. Mit „So long“ wird eine Mega-Ballade präsentiert, die für Gänsehautatmosphäre sorgt. Solche Stücke werden heute leider nicht mehr geschrieben. Danach treibt einem das neue „Ran Out Of Love“, eine ordentliche Rock’n’Roll – Dampfwalze, sofort wieder sämtliche Gefühlsduseleien aus. Scherer erzählt von den Anfangstagen der Band. Er meint, dass es für ihn als Musiker die geilste Zeit seines Lebens war, als junger Bursche in den Musikland-Studios in München Musik aufzunehmen. Die ganze Welt stand ihnen damals offen. Das Ganze klingt sehr authentisch und macht deutlich, wie lange die Musiker schon in diesem Geschäft unterwegs sind. Ihr Überhit „In The Middle Of The Night“ beendet unter großem Jubel das reguläre Set. Hier wird aus allen Rohren gefeuert, das Publikum ist mit voller Begeisterung dabei. „All I Do Is Wait“ vom 1995er Natural Groove-Album bringt das Quintett wieder zurück auf die Bühne. Das Stück wurde sogar hin und wieder auf MTV gezeigt! Als letzte Zugabe wird CCR’s Proud Mary“ zu einer ordentlichen Rocknummer umfunktioniert. Matteo bringt hier erst eine akustische Einleitung, bevor die Band dann loslegt und zum Abschluss ein wahres Rock’n’Roll-Feuerwerk vom Stapel lässt. Danach ist Feierabend, 105 Minuten purer Rock’n’Roll alter Schule enden leider schon viel zu schnell. Das Augsburger Publikum ist großartig. Es gab viel Beifall zwischen den Songs, ziemlich schnell war auch vor der Bühne was los. Man merkt den Musikern an, dass es ihnen richtig viel bedeutet, wieder gemeinsam auf der Bühne zu stehen. Sie meinten, dass sie künftig mehr in Deutschland touren wollen. Nach dem Konzert ist Sänger Hardy der erste am Merchandise-Stand. Die Frage mit der Würstchenbude lässt mir keine Ruhe und ich frage ihn, ob das gestimmt hat. Er lacht sich fast kaputt und meint, dass dies schon so beabsichtigt war. Ein wirklich cooler Typ! Der Rest der Band springt auch noch im Spectrum herum und ist für Fotos und Autogrammwünsche zu haben. Bleibt zu hoffen, dass die Band ihre Ankündigung wahrmacht und tatsächlich künftig mehr live in Deutschland spielt. Ich bin dabei! Stefan Graßl |
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