Jim McNeely - Frankfurt Radio Big Band featuring Chris Potter
Rituals
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Der amerikanische Pianist, Orchesterleiter, Arrangeur und Komponist Jim McNeely(Jahrgang 1949) hat mit seiner aktuellen Produktion Rituals mit der Frankfurt Radio Big Band zusammengearbeitet. Dazu hat sich der Saxofonist Chris Potter gesellt. Dieser bestreitet auf jedem der zehn Songs alle Soli, gar ganz allein auf der sechsteiligen Komposition "Rituals" von McNeely. Auf "Dawn" hören wir als Solisten zusätzlich Steffen Weber und Tony Lakatos, auf "Wine Dark Sea" sind es Heinz-Dieter Sauerborn und auf "Okinawa" Axel Schlosser. Die Tracks 7-10 wurden von Potter auch komponiert.
McNeely kann auf einen wichtigen Eckpfeiler seiner Entwicklung zurückgreifen, wurde er doch 1978 Mitglied des Thad Jones/Mel Lewis Orchestras. Stan Getz, Phil Woods, David Liebman und Bobby Watson waren weitere bedeutsame Stationen seines Werdegangs. Seit Herbst 2011 arbeitet er als Chefdirigent der hr-Bigband des Hessischen Rundfunks in Frankfurt am Main.
Rituals soll eine Hommage an "Le Sacre Du Printemps" (Das Frühlingsopfer) von Igor Strawinsky sein. Dieses seinerzeit umstrittene Werk zeichnete sich durch sein rhythmischen und klanglichen Strukturen aus, durchsetzt mit zahlreichen Dissonanzen. Zur Entstehung von Rituals führte der Produzent der hr Big Band, Olaf Stötzler, aus: Das Werk ist entstanden durch einen Auftrag der Alten Oper Frankfurt, die 2013 ein Strawinsky-Festival gemacht hat. Damals gab es ein Musikfest um ein zentrales Werk der Klassik, in diesem Fall "Le Sacre Du Printemps". Die Idee war, Jim McNeely damit zu beauftragen, für Chris Potter dieses Werk zu schreiben. Es ist aber keine Jazz-Version von "Le Sacre du Printemps", sondern ein neues Werk. Es ist inspiriert von der Ton- und Klangsprache von "Le Sacre du Printemps". Die Aufführung war ein großer Erfolg, weshalb Potter und die hr Big Band sich entschlossen haben, das Ganze auch noch einmal in einer Studio-Aufnahme auf Tonträger zu bannen.
Aufgrund dieses Hintergrundwissens wird der Zugang zur Musik dieser Platte erleichtert. Die sechsteilige Suite "Rituals" beginnt mit Flöten und einem recht, im Sinne der Hommage wohl, dissonanten Ausdruck, Bläser, Schlagzeug, in der Tat ein wildes Durcheinander, in einem Tusch mündend, aus dem sich Chris Potter mit seinem Saxofon erhebt, und das Arrangement der Big Band umspielt das lautmalerisch. So stelle ich mir in der Tat Szenen eines Filmes vor, der dazu läuft. Ein wenig kommt mir hierbei auch "Peter und der Wolf" in den Sinn. Deutlich jedoch bemerkt man die Inspiration von Strawinsky, die sich durch die ganze Komposition zieht. McNeely hat dem originalen Werk im Übrigen noch einen zusätzlichen Satz spendiert, den er "Rebirth" nannte.
Die Präsenz von Chris Potter ist allgegenwärtig, und er spielt mit Hingabe und voller Kraft. Muss er auch, um sich gegen das wuchtige Orchesterarrangement durchzusetzen. Doch es kann auch sanfter klingen, bereits beim 2.Satz - "Adoration II" - schwelgen Band und Solist in sanfter Anmut dahin, ich versuche, einfach zu spüren - und spüre etwas, das mir bekannt vorkommt, nur in anderer Form. Und das ist diese gewisse Spiritualität, wie sie von Teilen der Musik von John Coltrane ausging. Doch das betrifft nur die ruhigen Momente, auch in den grundsätzlich ruhigeren Songs kommt es immer wieder zum Anschwellen der Stimmung und zu mächtigem Druck.
Gar recht frei wird es, wenn Potter wild und frech ausholend, die "Adoration III" solo einleitet, und danach wird das großorchestrale Gewitter wieder aufgefahren. Ja, das hört sich nach einer wahren Herausforderung für die Frankfurt Radio Big Band an. Und diese wird angenommen und gnadenlos und mit ungezügelter Kraft umgesetzt. Allein dieses Wechselspiel zwischen lyrischen und zarten Momenten und lospreschenden Attacken wirkt äußerst herausfordernd für Hörer*innen, man sollte gewappnet sein. Aber wenn man auf diesen Zug aufspringt, dann wird man festgezurrt und muss unweigerlich mitrasen.
Die restlich vier Songs stammen von Chris Potter, "Dawn" und "Wine Dark Sea" aus dem für ECM Records eingespielten Album "The Sirens", "The Wheel" aus "Underground (Sunnyside) und "Okinawa" aus "This Will Be" (Storyville). Hier nun wurden sie von McNeely neu arrangiert für den Klangkörper des Orchesters. Sie tragen natürlich auch die Handschrift des Saxofonisten und sind mehr am Jazz angelehnt, ohne die klassische Komponente der Suite. Gleichwohl hat es McNeely hervorragend verstanden, den Songs durch die neuen Arrangements ein neues und anderes Leben einzuhauchen, die orchestralen Arrangements stehen den Songs gut zu Gesicht.
Alles in Allem ist es allen Akteuren gelungen, mit Rituals etwas ganz Besonderes zu schaffen, etwas, dass sich deutlich abhebt von vielen anderen Produktionen. Musikalisch bewegt es sich zudem zwischen den Stühlen Klassik und Jazz, in einer ein wenig anderen als üblichen Ausprägung. Letztlich ist diese Platte ein Volltreffer!
Wolfgang Giese
Trackliste |
1 Rituals – Adoration I (6:58)
2 Rituals – Adoration II (5:12)
3 Rituals – Adoration III (2:16)
4 Rituals – Sacrifice I (7:40)
5 Rituals – Sacrifice II (6:36)
6 Rituals – Rebirth (4:21)
7 Dawn (7:46)
8 The Wheel (8:45)
9 Wine Dark Sea (8:32)
10 Okinawa (10:22)
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Besetzung |
Jim McNeely (arranger)
Chris Potter (saxophones)
Frank Wellert (Trompete, Flügelhorn)
Thomas Vogel (Trompete, Flügelhorn)
Martin Auer (Trompete, Flügelhorn)
Axel Schlosser (Trompete, Flügelhorn)
Günter Bollmann (Posaune)
Peter Feil (Posaune)
Christian Jaksjø (Posaune)
Manfred Honetschläger (Bassposaune)
Heinz-Dieter Sauerborn (Saxofone, Flöte, Klarinette, Piccolo)
Oliver Leicht (Saxofone, Flöte, Klarinette, Piccolo)
Tony Lakatos (Tenorsaxofon, Flöte)
Steffen Weber (Saxofone, Flöte, Klarinette)
Rainer Heute (Baritonsaxofon, Bassklarinette)
Peter Reiter (Klavier)
Martin Scales (Gitarre)
Thomas Heidepriem (Bass)
Jean Paul Höchstädter (Schlagzeug)
Christine Chapman (French Horn - #1-6)
Miroslava Stareychinska (Harfe - #1-6)
Claus Kiesselbach (Perkussion - #1-6)
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