Billy Joel
Piano Man (Review-Serie, Teil 3)
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Info |
Musikrichtung:
Rock / Songwriter
VÖ: 05.11.2021 (1973)
(Columbia / Legacy / Sony)
Gesamtspielzeit: 42:51
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Billy Joel-Vinyl-Review-Serie 2022, Teil 3: Piano Man
Fast 34 Jahre lang hat mir mein Plattenspieler (ein C.E.C. 215 ST), den ich am 29. März 1988 bei dem kleinen Hifi-Händler UNI Hifi im hannoverschen Uni-Viertel gekauft habe, gute Dienste geleistet. Ende 2021 hat er sich entschieden in den Ruhestand zu gehen. (Damit hat er eine ähnlich lange Lebensarbeitszeit erreicht, wie ich (Ausbildungszeiten nicht mitgerechnet), wenn ich bis zum offiziellen Rentenalter im Dienst bleiben sollte.)
Was diese Bemerkung als Einleitung zu der Review von Piano Man soll? Anlässlich der Besprechung der Neuveröffentlichung dieses Albums im Rahmen des 9-LP-Boxsets The Vinyl Collection, Vol. 1 ist Piano Man das Album, das meinen neuen Plattenspieler (dieses Mal ein Dual DT 255 USB) entjungfert hat. Und wenn Ihr die folgenden Zeilen lest, versteht Ihr, dass dieses Album diese Ehre mehr als verdient hat.
Bevor Billy Joel sein Major-Debüt Piano Man aufnehmen konnte, hatte er sein Leben radikal verändert. Unzufrieden mit seiner Situation in New York, insbesondere mit den Bedingungen seines Plattenvertrags, legte er den kompletten Kontinent zwischen sich und seine Heimat und lies sich in Kalifornien nieder. Dort schlug er sich einige Monate als Bar-Pianist durch.
Aber der Karriere-Schub kam von einem anderen Ort. Joel hatte die Möglichkeit bei dem Radio-Sender WMMR in Philadelphia ein Konzert zu spielen. Auf dem Programm stand unter anderem das noch unveröffentlichte „Captain Jack“, das in der Folge das in der gesamten Geschichte dieses Radio-Senders am häufigsten gewünschte Musikstück wurde. So kam es, dass die Scouts von Columbia von sich aus auf Billy Joel zukamen und ihm einen Plattenvertrag anboten – und sie waren nicht die einzigen. Letztlich habe er sich für Columbia entschieden, weil es das Label von Bob Dylan war, so Billy Joel in den Liner Notes zur aktuellen Vinyl-Ausgabe.
Betrachtet man dieses Album als das eigentliche Debüt, dann schlägt Billy Joel von Start weg gewaltig auf. Vier 100-Punkte-Songs, davon drei auf der ersten LP-Seite sind ein Statement, das sich unmöglich überhören lässt. Und vom Rest sind bestenfalls zwei Stücke so reduziert, dass sie nicht Best of-fähig wären – und sie verstecken sich ganz verschämt in der Mitte der zweiten LP-Seite – bevor dann das bereits erwähnte „Captain Jack“ das Album mit einem ersten opus magnum Joels beendet.
Die erste Seite wir gerahmt von zwei Stücken, die man geradezu als Liebeserklärung an die neue Heimat, den amerikanischen (wilden) Westen, betrachten kann. Der Opener ist ein echtes Gebet, gesprochen von einem Mann, der im Beten nicht gerade geübt ist, wie er im vierten Vers erklärt. Der Herr möge seiner fernen Geleibten beistehen, damit ihr nichts Übles geschieht, fleht Joel mit ungestümer Western-Power begleitet von Banjo und Fiddle.
Am Ende greift der New Yorker ein genuines Stück Wild West Geschichte auf und erzählt mit viel Sympathie die Legende von Billy the Kid. Er sagt selbst, er habe damit den Soundtrack zu einem Film geschrieben, der nie gedreht wurde. Und damit hat er Recht. Man hat durchgehend das Gefühl vor der großen Leinwand zu sitzen, die Prärie vor Augen - von dem ruhigen Streicher-Intro mit Hufgeklapper bis zum Ende, wo er sich selbst mit Billy the Kid parallelisiert. Aus dem „boy with a six-gun in his hand” aus Wheeling, West-Virgina wird ein „boy with a six-pack in his hand” aus Oyster Bay, Long Island (Dort ist Joel aufgewachsen.). Genial!
Und dann ist da noch das Stück, das für viele zum Signature-Song des Pianisten geworden ist. Das eher ruhige „Piano Man“ blickt auf seine Monate als Barpianist zurück und begeistert nicht zuletzt durch die Beobachtungsgabe und die Fähigkeit einzelne Barbesucher mit wenigen Worten in ihrer ganzen Existenz zu erfassen. Da ist der Mann an der Bar „making love to his tonic and gin”. Und er denkt zurück and die „the days when I wore a younger man’s cloth”.
Danach folgt eine Nummer mit tollem Honky Tonk Piano. Billys Stimme klingt dabei so bedient, wie sich der Typ fühlt, der in dem Song nach einer durchzechten Nacht über sein Leben nachdenkt. „You’re my Home“ ist noch nicht „Just the Way you are“, aber eine wunderschöne Ballade, die aus dem simplen Liebeslied eine echte Perle macht.
Seite zwei beginnt mit dem mehr als soliden „Worse come to worst“, in dem sich ein durch die Maschen Gefallener den Rat gibt, das harte Leben leicht zu nehmen und von der Frau in New Mexico zu träumen. Die Mariachi-Klänge haben fast etwas von eine Reggae. Es folgen die beiden bereits erwähnten relativen(!) Low Lights. In „Stop in Nevada“ wird eine Frau, die aus ihrem alten Leben aussteigt und ihr Glück in Kalifornien sucht, zum alter ego von Billy Joel. Es folgt eine Ballade über die Schwierigkeiten das, was man wirklich fühlt, in einer Beziehung zu kommunizieren.
Mit dem dynamischen „Somewhere along the Line” nimmt das Album noch einmal Fahrt auf, bleibt aber sehr nachdenklich, indem es einem das Leben in vollen Zügen genießenden jungen Mann daran erinnert, dass nur eine relativ kurze Zeitspanne zwischen ihm und einem alten Mann liegt. Und dann kommt das alles überragende „Captain Jack”, eines der ganz großen Epen Billy Joels, die auf den folgenden Alben zur Regel werden und in „Scenes from an italian Restaurant“ auf The Stranger 1977 ihren Höhepunkt haben werden.
Im gewissen Sinn ist „Captain Jack” eine Fortsetzung vom „Piano Man“. Wieder scheint Billy an seinem Piano zu sitzen. Dieses Mal beobachtet er einen jungen Mann, dessen Leben nicht recht in die Spur kommt. Besonders drastisch formuliert. „Your Sister is gone out. She’s on a Date. And you sit at home and masturbate.” Bei der Prüderie der USA ist es geradezu erstaunlich, dass das ein Renner im Radio werden konnte.
Aber der junge Mann hat seinen Ausweg gefunden. Er geht auf die Piste und „Captain Jack will get you high tonight and take you to your special Island.” Bei diesen Zeilen kocht der Song dann gewaltig auf. Es dürfte kaum ein Zweifel bestehen, dass Captain Jack den Nachnamen Daniels trägt.
Am Ende macht Billy Joel deutlich, dass dieser Weg nirgendwohin führt. Und wieder gelingt es ihm mit wenigen Worten eine ganze menschliche Existenz lebendig werden zu lassen. „Your 21 and still your Mother makes your Bed. And that’s too long.” Ein Stück, das in einer Liga mit Epen wie John Miles‘ „Music“ oder Queens „Bohemian Rhapsody“ spielt. Grandios!
Die Ausstattung des Vinyls ist nahezu identisch mit der des Vorgängers Cold Spring Harbor. Nur steckt in dem einfachen Steckcover dieses Mal kein unbedrucktes weißes Papier-Innencover, sondern eine schwarze Hochglanz-Hülle, die einseitig mit den Credits bedruckt ist. Texte fehlen erneut, sind aber im Booklet des Box-Sets enthalten.
Norbert von Fransecky
Trackliste |
Seite 1
1 Travellin' Prayer (4:10)
2 Piano Man (5:37)
3 Ain't no Crime (3:20)
4 You're my Home (3:14)
5 The Ballad of Billy the Kid (5:35)
Seite 2
6 Worse comes to Worst (3:28)
7 Stop in Nevada (3:40)
8 If I only had the Words (to tell you) (3:35)
9 Somewhere along the Line (3:17)
10 Captain Jack (6:55) |
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Besetzung |
Billy Joel (Voc, Keys)
Larry Carlton (Git)
Richard Bennet (Git)
Dean Parks (Git)
Wilton Felder (B)
Emory Gordy (B)
Ron Tutt (Dr)
Rhys Clark (Dr <10>)
Michael Omartian (Akkordeon, Produktion)
Eric Weissberg (Banjo)
Fred Heilbrun (Banjo)
Billy Armstrong (Fiddle)
The Creamers (Back Voc)
Susan Steward & Co (Back Voc)
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