Martin Popoff beleuchtet Black Sabbath bis zum ersten längerfristigen Ausstieg Ozzys




Info
Autor: Martin Popoff

Titel: Sabotage! Black Sabbath in the Seventies

Verlag: Wymer Publishing

ISBN: 978-1-912782-31-4

Preis: € 16,99 GBP

292 Seiten

Internet:
http://www.martinpopoff.com

Die meisten Interessierten werden dieses Buch als erstes lesen und dann als zweites „Born Again! Black Sabbath in the Eighties and Nineties“ vom gleichen Autor, was nicht nur der originalen Veröffentlichungsstruktur (2018 bzw. 2019) entspricht, sondern natürlich auch der Bandkarrierenchronologie. Beim hier tippenden Rezensenten war die Lage kurioserweise umgekehrt: Erst fand sich das Buch über die Achtziger und Neunziger hier ein (als Zufallskauf bei einem großen deutschen Metalmailorder) und wurde auch auf diesen Seiten rezensiert, worüber ein Gespräch mit demjenigen der Cousins stattfand, der u.a. die 5-LP-Box The Ozzy Osbourne Years besitzt, über die auch der Damals-Noch-Nicht-Rezensent in den Neunzigern das Material der Siebziger-Alben von Black Sabbath kennenlernte (jedenfalls der ersten sechs – Songs von Technical Ecstasy und Never Say Die enthält die Box nicht, und während letzteres später in der Leipziger Stadtbibliothek aufgespürt werden konnte, fehlt ersteres seltsamerweise hier bis heute), sofern er es nicht schon über eine 10-Track-Best-Of-LP, die sich schon etwas früher im Besitz des gleichen Cousins befand, kannte, welchselbige „Paranoid“, „N.I.B.“, „Changes“, „Sabbath Bloody Sabbath“, „Iron Man“, „Black Sabbath“, „War Pigs“, „Laguna Sunrise“, „Tomorrow’s Dream“ und „Sweet Leaf“ enthielt, also achtmal heftigeren Stoff, darunter sozusagen die größten Hits, und mit „Changes“ und „Laguna Sunrise“ zwei der eher ungewöhnlichen Balladen. Von besagtem Cousin erhielt der Rezensent nach dem Telefonat als Geburtstagsgeschenk dann auch noch den ersten Band des Popoff-Biographiewerks, über den nun hier auch noch einige Worte folgen sollen.

Die Grundstruktur beider Bände ist naturgemäß identisch: Die Basis bildet „Black Sabbath: Doom Let Loose“, Martin Popoffs 2006er Bandbiographie, die nach ihrem Abverkauf massiv überarbeitet und wegen des Umfangszuwachses in (mindestens) zwei Bände geteilt wurde, eben den 70er- und den 80er-/90er-Band, wohingegen ein möglicher dritter Band über die Zeit ab der 1997er Reunion mit Ozzy bis heute nicht erschienen zu sein scheint. Eine kurze Einleitung schildert Popoffs eigenen Zugang zum Stoff der Band – er lernte das erste Material 1971 als Achtjähriger (!) kennen, und seine erste selbstgekaufte Sab-LP war Vol. 4, anno 1972 erschienen. Danach folgen neun Kapitel: eins zu jedem Studioalbum (Live At Last bleibt auch hier erstaunlicherweise außen vor und kommt daher außer in diversen Nebensätzen weder im Siebziger-Band, als es mitgeschnitten wurde, noch im Achtziger-Band, als der Tonträger erschien, vor) sowie ein einleitendes, das die Zeit bis zur Umbenennung der Earth geheißenen Band in Black Sabbath am 30.8.1969 in Worcestershire behandelt. Damit sind wir logischerweise außerhalb des Titelzeitraums, aber das sollte außer Erbsenzählern niemanden stören, denn die Vorgeschichte ist natürlich fürs Verständnis dessen, was dann ab 1970 auch in konservierter Form über die Musikwelt hereinbrach, hochgradig wichtig. Popoff beginnt dementsprechend mit Schilderungen der Situation im Birmingham der unmittelbaren Nachkriegszeit, wo Osbourne, Iommi, Butler und Ward alle innerhalb von anderthalb Jahren 1948/49 geboren wurden und im gleichen Stadtviertel aufwuchsen – Iommi und Osbourne gingen sogar gemeinsam zur Schule, vertrugen sich dort aber überhaupt nicht. Das Viertel Aston war noch stärker industriell geprägt als das sowieso schon industriell geprägte Birmingham, und zudem war es einer der am stärksten von deutschen Luftangriffen getroffenen englischen Orte, so dass in der Kindheit der späteren Quartettmitglieder Ruinen genauso allgegenwärtig waren wie die Zeugnisse des industriellen Schaffens in positiver wie negativer Bedeutung – prägende Elemente für den Realismus, den vor allem Haupttexter Terence Michael „Geezer“ Butler in die Lyrics der Band einbrachte, teils indes durchaus symbolistisch verschleiert, wie später in den Albenkapiteln zu jedem Song noch ausführlich dargelegt wird. So dienen die schwarzen Messen im Text von „War Pigs“ als Vergleich für die Zusammenkünfte von Generälen im Krieg (wir sind hier im Jahr 1971, also noch mitten im Vietnamkrieg), und erstaunlicherweise gibt es von der Band nur genau zwei auf den ersten Blick tatsächlich okkulte Nummern: „N.I.B.“, das sich aber als Parodie entpuppt (der Satan verliebt sich in eine Frau und wird dadurch moralisch gebessert), und „Black Sabbath“, eine Warnung von Texter Osbourne an Butler, sein Interesse an Magie nicht zu weit zu treiben. Popoff beschreibt anschaulich, wie die Band das düstere Image marketingtechnisch geschickt überhöhte, aber damit zugleich auch Publikumskreise anzog, die das Image für echt hielten. Wie auch im Achtziger-Neunziger-Band läßt er über weite Strecken des Buches die Protagonisten und einige Menschen aus ihrem Umfeld selbst erzählen, hat dazu Dutzende von Interviews geführt und scheitert schon hier an der Aufgabe, in jedem Fall klarzumachen, wer gerade erzählt – bisweilen wird die konkrete Quelle tatsächlich angegeben, aber nicht selten halt auch nicht, und nicht immer läßt sich dann logisch erschließen, wer gerade spricht. In den meisten Fällen kann man dem Faden aber folgen und stellt fest, dass Popoff auch hier schon geschickt vermeidet, in gewissen Streitfällen Position zu beziehen. Die Geschichte, wie Black Sabbath zu ihrem ersten Plattenvertrag kamen, gibt es beispielsweise aus drei verschiedenen Mündern: von Butler, vom ersten Bandmanager Jim Simpson und von Olav Wyper, dem damaligen Chef von Vertigo Records – und alle drei unterscheiden sich markant und stimmen nur in wenigen Details überein. So kann man sich selbst einen Reim auf die Tücken der Oral History machen, was die Lektüre natürlich nicht weniger erbaulich macht – man merkt eben nur, dass man alles mit Vorsicht genießen muß, was nicht durch knallharte Fakten belegt ist.
Solche knallharten Fakten stellen natürlich die acht Alben dar, wobei auch hier interessante Diskrepanzen zutagetreten, was beispielsweise die Aufnahmedauer des selbstbetitelten Debütalbums angeht. In der Manier des akribischen Chronisten arbeitet Popoff auch die verwirrenden Strukturen auf, die z.B. bestimmten Intros oder Outros eigenständige Songtitel gaben (das hatte abrechnungstechnische Gründe – man wurde besser bezahlt, wenn man mehr als eigenständig deklarierbare Songs auf der Platte hatte), und beim selbstbetitelten Debüt tritt zudem der Fall auf, dass die originale europäische Veröffentlichung als Opener der B-Seite das bereits zuvor als Single erschienene Crow-Cover „Evil Woman“ enthält, die einige Monate später erschienene US-Lizenzpressung aber an dieser Stelle die Single-B-Seite „Wicked World“. Ansonsten beleuchten die Albenkapitel die einzelnen Songs, die Touraktivitäten und viele andere Dinge, geben bisweilen auch seitenlang Analysen über den Status der Band z.B. in den USA wieder und sind wie gewohnt hochgradig informativ. Von den Musikern kommen Butler und Ward am meisten zu Wort, Iommi etwas seltener und Osbourne kaum einmal – die Interviewliste im Anhang nennt nur drei Interviews mit ihm, hingegen sieben mit Iommi und je neun mit Butler und Ward, was auch ungefähr den Statement-Anteilen im Text entspricht, wobei Butler wegen seiner Eigenschaft als Haupttexter allerdings häufiger zu Wort kommt als Ward. Wie im Folgeband finden sich auch hier zudem zwei Bildblöcke mit historischen Fotos sowie Abbildungen von Plakaten, Coverraritäten etc. – man sieht dort so Obskuritäten wie die singaporesische Version der „Paranoid“-Single oder die sowjetische Pressung der Sabbath Bloody Sabbath-LP: ein kurioser Beweis, was beim „Großen Bruder“ so alles möglich war, woran man in der DDR nicht ernsthaft denken konnte.
Zwei Dinge sind strukturell interessant: Zum einen bewahrheitet sich die Theorie aus dem Review zum Folgeband, Ozzys Ausstieg bzw. Rauswurf werde sicher im Siebziger-Band ausführlich thematisiert, nicht – detaillierter behandelt wird sein erster Ausstieg nach Technical Esctasy, aber das Never Say Die-Kapitel endet mit drei eher kompakten Absätzen zum Status der Band nach diesem Album. Keine Überleitung in Richtung des Folgebandes (der arbeitstechnisch schon geplant gewesen sein muß, denn sonst hätte die Teilung des Materials ja keinen Sinn ergeben), keine Zusammenfassung, nichts – dieses etwas abrupte Ende ist die zweite Überraschung. Und Popoff läßt auch sonst markante Lücken, beispielsweise über den nur peripher erwähnten Rechtsstreit mit dem ersten Manager Jim Simpson (der auch interviewt worden ist), während der folgende Streit mit dem zweiten Manager Patrick Meehan (der nicht interviewt wurde) zumindest etwas ausführlicher abgehandelt wird und dem Außenstehenden deutlich macht, in welche Fallstricke ein Musiker geraten konnte, wenn er sich einfach nur ums Musikmachen kümmern wollte und keinen Blick für geschäftliche Dinge hatte – ein zeitloses Problem, wenngleich die Erfahrungslage heutzutage natürlich eine andere ist als in den Siebzigern, als man nicht mal eben googeln konnte, ob denn schon jemand vor dem gleichen Problem gestanden hat, sondern das Problem allenfalls mit Alkohol oder Härterem zu verdrängen versuchen konnte, was auch die Black-Sabbath-Musiker in reichlichem Umfang taten und in ihren eigenen Statements rückblickend und zumindest etwas altersweise schonungslos offenlegen.
Die Informationsdichte des Buches ist ähnlich hoch wie im Folgeband, allerdings aufgrund der diversen erwähnten „Statusbetrachtungen“ nicht ganz so hoch. Trotzdem ergeben sich erstaunliche Erkenntnisse. Butler äußert sich beispielsweise auf S. 61 zu seinen paranormalen Fähigkeiten, also z.B. Dinge zu träumen, die dann wirklich passieren, und führt u.a. aus, dass er das siebente Kind eines siebenten Kindes sei. Da horcht der Metalhistoriker natürlich auf, denn genau dieses Konzept hatten Iron Maiden auf Seventh Son Of A Seventh Son behandelt. Zufall?
Zu erwähnen bliebe dann auch noch der durchaus eigentümliche Zugriff des Autors auf das Songmaterial, geprägt natürlich massiv durch den Umstand, dass er es schon während seiner Jugendzeit kennenlernte und dadurch manche Songs eine spezielle Bedeutung für ihn bekamen, die ein Hörer, der die Band z.B erst in den Achtzigern, Neunzigern oder noch später und in höherem Alter kennengelernt hat und sich die alten Alben rückwärts erschließen mußte, so nicht gewinnen konnte. Im Vorwort nennt Popoff seine 25 Alltime-Favoritensongs von Black Sabbath (aus der gesamten Schaffensperiode), und mit „Die Young“ steht da der erste Nicht-Siebziger-Track erst auf Platz 12, während sich weiter vorn auch Obskuritäten wie „Swinging The Chain“ (letzter Song auf Never Say Die und einer von nur zweien aus den Siebzigern, auf denen nicht Osbourne, sondern Ward singt) finden. Auch die Albenwertungsliste spricht für ausgeprägte Individualität, landet das selbstbetitelte Debüt doch dort nur auf Platz 14, noch hinter Dehumanizer, während etwa Born Again auf Rang 7 steht, auch noch vor Vol. 4 und Paranoid. Aber dass der Rang des einzigen Ian-Gillan-Albums dem eines in der Allgemeinheit stark unterbewerteten Werkes entspricht, ist ja schon im Folgeband ausführlich thematisiert worden, für den besagtes Werk auch den Titel hergegeben hat. Der erste Band hingegen ist nach dem auf Platz 1 der Autorenwertrangliste stehenden Album benannt, das sich ihm 1975 übrigens noch schwerer erschlossen hat als der ihm schon schwer im Magen liegende Vorgänger Sabbath Bloody Sabbath, so dass dieses „another weird album“ seine Zeit zum Wachsen gebraucht, aber auch genutzt haben dürfte.
So bleibt am Ende nur ein Urteil: Die Erfinder des Heavy Metal werden auch in diesem Buch umfassend, wenngleich nicht allumfassend gewürdigt – die Lektüre lohnt sich für den Englischkundigen, der auch verstehendes Lesen beherrscht (oder ein Wörterbuch bzw. eine Sprach-App für die diversen über den Durchschnittswortschatz hinausgehenden Termini bereithält), allemal. Und so stellt sich nur noch die Frage an den Autor: Kommt der dritte Band (über die Zeit ab 1997), und wenn ja, dann wann?


Roland Ludwig



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