Artillery
The Face Of Fear
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In ihrer dritten Aktivitätsperiode haben es Artillery mittlerweile auf mehr Alben gebracht als in der ersten und zweiten zusammen – und solange zu erhoffende weitere neue Werke die Qualität von The Face Of Fear zumindest halten können, soll das dem Rezensenten durchaus recht sein, wenngleich zumindest eine markante Veränderung ansteht: Von den gitarrespielenden Stützer-Brüdern ist Morten zwischenzeitlich überraschend verstorben, und so bildet The Face Of Fear seinen Schwanengesang. Zwar lag das Gros des Songwritings für dieses Album in den Händen von Bruder Michael, aber einen bzw. auf der vorliegenden Special Edition zwei Songs steuerte auch Morten bei, und das sind zwei der besten und auch strukturell auffälligsten: „Crossroads To Conspiracy“ überzeugt gleich an zweiter Position mit intelligentem Aufbau, großem verschlepptem Part mit schicksalhaft wirkendem Gong und einem eindringlichen Refrain, der schnell ins Ohr geht und dort so schnell nicht wieder zu lösen ist. „Doctor Evil“ hingegen wurde als einer der beiden Bonustracks der Special Edition verwendet und fällt nicht nur soundlich, sondern auch stilistisch ein wenig aus dem Rahmen, indem unter dem Thrash-Überbau hier klassischer Hardrock lauert, was eine durchaus interessante Kombination ergibt. Wer das 2013er Album Legions besitzt, kennt den letztgenannten Song schon und kann ergründen, inwieweit sich die aktuelle Neueinspielung von der damaligen Fassung unterscheidet.
In welcher Form Artillery auf zukünftigen Tonkonserven mit dem neuen Gitarristen Kraen Meier arbeiten, darf also gespannt abgewartet werden – die Stützer-Brüder waren naturgemäß auch prima aufeinander eingespielt, wenngleich Morten in Teilen der ersten und der zweiten Aktivitätsperiode der Band nicht Gitarre, sondern Baß gespielt hatte. Dass Michael das Songwriting aber auch im Alleingang stemmen könnte, daran besteht erstmal kein Zweifel, wenn man sich das hier gebotene Material anhört. Der Thrash Artillerys ist nahe am Power Metal gebaut, sauber produziert, jederzeit zugänglich und doch mit immenser Energie ausgestattet, wenngleich sich die Tempoattacken von Josua Madsen nicht durchs ganze Album ziehen – aber sie sitzen paßgenau dort, wo sie Wirkung entfalten, und eine Nummer wie „Through The Ages Of Atrocity“ überzeugt im Tempomanagement, was die Kombination aus Midtempo-Hauptteil, geschickt verschlepptem Refrain und einigen Speedeinlagen angeht, ohne Wenn und Aber. Dass der Einfall, in den Strophen phasenweise alle Instrumente bis auf die Drums schweigen zu lassen, fast ein wenig holprig anmutet, sei da gern verziehen. Die Musik Artillerys verträgt auch ungewöhnliche Elemente, was schon der eröffnende Titeltrack mit den eigentümlich rhythmisch schwingenden Passagen im ringsum thronenden melodischen Geballer beweist. Als großer Trumpf der aktuellen Besetzung darf zudem Sänger Michael Bastholm Dahl gewertet werden – der Mann kann singen, also tut er es auch, und da die Stützers um seine Talente wissen, geben sie ihnen auch entsprechend Raum zur Entfaltung, wodurch der Vokalist zu einem der entscheidenden Faktoren wird, die Band vom puren Thrash in Richtung Power Metal zu rücken, was allerdings auch die entsprechend notwendige instrumentale Untermauerung braucht. Auch in diesem Sektor versagen die Stützers freilich nicht, und so wird selbst eine Fast-Halbballade wie „Pain“ zum integralen Bestandteil von The Face Of Fear, nachdem „New Rage“ in der Einleitung schon angedeutet hatte, dass Artillery auch in dieser Richtung Kompetenzen aufweisen, wobei letztgenannter Song in der Gesamtbetrachtung auch zu Trivium gepaßt hätte, was als Kompliment zu verstehen ist. Die sehr energiegeladenen harten Passagen von „Pain“ machen allerdings klar, dass die Ausflüge in diese Richtung durchaus Grenzen haben und die Dänen nichts erzwingen müssen – bis sie ins Formatradio passen, wird noch geraume Zeit ins Land ziehen. Hätten sie freilich das zweiminütige Instrumental „Under Water“ noch etwas ausgebaut und um eine merkfähige Melodielinie ergänzt, wer weiß ... Was generell auffällt, ist der Hang der Gitarristen zu nahöstlich anmutenden Tonfolgen, was freilich nichts Neues im Artillery-Schaffen darstellt, aber hier doch in einer etwas ungewöhnlichen gehäuften Form auftritt. Das Ganze wird freilich immer so geschickt ins umliegende Geschehen eingebunden, dass nichts erzwungen wirkt. Und solange die Band die Klasse hat, so einen begeisternden Power-Metal-Part wie in „Preaching To The Converted“ zu schreiben, darf sie sowieso alles. Mit „Mind Of No Return“ - das ist der andere Bonustrack der Spedial Edition – gönnen sich die Dänen sogar noch einen Blick in ihre allerfrüheste Geschichte: Der Song stammt aus der Embryonalphase der Band, und zwar vom ersten Demo We Are The Dead (1982 oder 1983 erschienen – die Angaben in der Encyclopedia Metallum divergieren), mitgeschrieben noch von Ur-Sänger Per Onink, der dann durch Carsten Lohmann ersetzt wurde, bevor fürs Debütalbum Flemming Ronsdorf das Mikrofon übernahm. Das Solo von „Mind Of No Return“ wirkt trotz des coolen Baß-Solospots für Peter Thorslund auch in der Neueinspielung noch ein wenig so, als wisse die Band noch nicht, wie sie ihre Kreativität verpacken kann, aber dass die Dänen das zwischenzeitlich gelernt haben, davon legen die aktuellen Songs eindrucksvoll Zeugnis ab. Von „Thrash with class“ sprach man bei solchen Alben früher gern, und dieses Prädikat darf auch heutzutage noch ausgepackt werden, wobei The Face Of Fear in der Summe deutlich lebensbejahender rüberkommt, als die düstere Gestaltung assoziieren könnte.
Roland Ludwig
Trackliste |
1 | The Face Of Fear | 3:58 |
2 | Crossroads To Conspiracy | 4:25 |
3 | New Rage | 4:01 |
4 | Sworn Utopia | 3:57 |
5 | Through The Ages Of Atrocity | 5:00 |
6 | Thirst For The Worst | 4:18 |
7 | Pain | 4:12 |
8 | Under Water | 2:07 |
9 | Preaching To The Converted | 3:58 |
10 | Mind Of No Return | 3:46 |
11 | Doctor Evil | 5:50 |
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Besetzung |
Michael Bastholm Dahl (Voc)
Michael Stützer (Git)
Morten Stützer (Git)
Peter Thorslund (B)
Josua Madsen (Dr)
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