Die verschwundene Heilige Handgranate von Antiochia: Das Musical „Monty Python’s Spamalot“ am Theater Altenburg-Gera
Cocos nucifera besitzt durchaus weltgeschichtliche Bedeutung, wird aber kontrovers beurteilt: Sie sorgt mit ihren Früchten (und diversen anderen nutzbaren Teilen) dafür, dass sich in bestimmten Arealen überhaupt erst Menschen ansiedeln konnten – der Inhalt dieser Früchte aber wurde und wird vom Rezensenten genauso verschmäht wie diverse daraus hergestellte Produkte, welche unter Markennamen wie Raffaello oder Bounty vertrieben werden („Mein Bounty ist über dem Ozean“, wußten schon J.B.O. vor einem Vierteljahrhundert). Trotzdem freute sich der Damals-Noch-Nicht-Rezensent, wenn zu DDR-Zeiten in einem Westpaket eine oder gar mehrere dieser Früchte, also Kokosnüsse, enthalten waren: Der weiße Inhalt landete auf dem Kompost, die Schalen aber, in zwei Teile zersägt, wurden ins Aquarium befördert, wo sie den Welsen der Gattung Ancistrus als Versteckplätze dienten und die faserige Außenhülle von ihnen mit Vorliebe abgeraspelt wurde. Von all dem (also von fast all dem – die Passage mit der Ansiedlung der Menschen ausgenommen) konnte die britische Komikertruppe Monty Python nichts ahnen, als sie in den Siebzigern einen Film namens „Die Ritter der Kokosnuß“ drehte – statt dessen hob sie den kulturgeschichtlich hochgradig bedeutenden Aspekt aufs Tapet, dass die Früchte von Cocos nucifera schon im England des Jahres 932 bekannt waren, als sich ein später Klon von König Artus auf die Suche nach dem Heiligen Gral machte, aber nicht auf Pferde zurückgreifen konnte und daher, um seine Würde zu wahren, die Hufgeräusche mit späterhin üblich gewordenen theatralischen Mitteln umsetzen mußte. Dieser Film setzte dem anarchistischen Humor der BBC-Serie „Monty Python’s Flying Circus“ noch eins drauf (man schaue auf Youtube trotzdem unbedingt mal das Philosophie-Finale zwischen Deutschland und Griechenland an), steht im kollektiven Gedächtnis aber ein wenig im Schatten des Folgestreifens „Das Leben des Brian“, wiewohl er natürlich trotzdem Quell vergnüglicher Stunden ist und bleibt. Eric Idle, einer der sechs Original-Pythons, machte sich anno 2004 dann an die Arbeit, um den Stoff als Musical umzusetzen, was nicht jedem seiner noch lebenden Ex-Mitstreiter gefiel. Konzipiert als Verarschung des üblichen Broadway-Musical-Betriebs, kam es zu dem erstaunlichen Ergebnis, dass das „Monty Python’s Spamalot“ getaufte Werk am Broadway trotzdem von einem zum nächsten Erfolg eilte – das wäre also ungefähr so, als würde der Rezensent eine Volksmusik-Parodie-Scheibe einsingen und mit dieser Florian Silbereisen & Co. von der Spitze der Volksmusik-Charts verdrängen. Das Werk fand alsbald auch in anderen Teilen der Welt Verbreitung, hauptsächlich in solchen, wo das Besorgen von Früchten der Cocos nucifera kein großes Problem mehr darstellte, und auch das Theater Altenburg-Gera setzte es aufs Programm, zunächst in Gera und ab April 2020 auch im Theaterzelt Altenburg, der Ausweichspielstätte, da das Theater dort derzeit saniert wird. Der Rezensent sieht die zweite Vorstellung in Gera, einen Tag nach der Premiere – der Publikumszuspruch ist ähnlich hoch wie die Ummauerung der französisch besetzten Gralsburg. Spannende Fragen gibt es nun prinzipiell deren zwei: Was hat Idle von der Filmhandlung ins Musical übernommen, und was macht die Kreativfraktion in Altenburg-Gera aus der Musicalvorlage? Auffällig ist zunächst, dass die Artus-Handlung in eine Rahmenhandlung eingebettet wird, die in der hiesigen Inszenierung noch ein wenig strukturimmanenter als in der Idle-Fassung hervortritt – ein Theater will ein Musical über Finnland aufführen, wird aber gezwungen, das Artus-Stück zu spielen, in das dann schrittweise alle hineinfinden, wobei als Spielort dann auch tatsächlich ein Theater dient, und zwar eine Requisitenkammer, aus der sich die Protagonisten jeweils reichlich bedienen, passend in die Handlungszeit oder eben auch nicht, wie es die Pythons vorgemacht haben, so dass beispielsweise in Kamelot dann neben Wikingern auch Pandas auftauchen. So entspinnt sich ein wunderbarer Eklektizismus, dazu enorm temporeich, so dass man beim nur einmaligen Anschauen keinerlei Chance hat, alles wahrzunehmen und zu begreifen, selbst wenn man den Film gut kennt. Teils sind Dialoge und Handlungen 1:1 übernommen (das Briten-Bashing der französischen Burgbesatzer etwa kann man fast originalgetreu mitformulieren und stolpert nur an wenigen Stellen – seltsamerweise wurde die Anspielung „Wenn es nach mir ginge, kömmt ihr nie in Europäische Gemeinschaft“ weder im Originaltext noch als Adaption übernommen, obwohl der Brexit-Wahnsinn reichlich Stoff dafür geboten hätte), die auffälligste Neuzutat hingegen ist eine Rolle, die im Film zwar verbal erwähnt wird, aber nicht in Erscheinung tritt: die Fee aus dem See, die Artus’ Herrschaft legitimiert, was von der arbeitenden Bevölkerung hier wie da in Zweifel gezogen und statt dessen die klassenlose Gesellschaft gepredigt wird. Die Fee wird im Musical zur zweiten Hauptrolle neben Artus, und da es sich um eine Broadway-Produktion handelt, müssen sich die beiden am Ende natürlich auch kriegen, was freilich noch zum Problemfall wird. Zunächst aber bleibt die Laune über anderthalb der zwei Akte prächtig, man amüsiert sich prima über den Trojanischen Hasen, der hier als überdimensionaler Lindt-Goldhase von den Franzosen abtransportiert wird, bekommt in Filmclips weltgeschichtliche Meilensteine wie die Einfügung von Donald Trumps Konterfei in Mt. Rushmore demonstriert, freut sich über die ihr Scherflein zum Gelingen beitragende achtköpfige Band und die u.a. Cancan tanzenden Eleven des Thüringer Staatsballetts und lacht schon beim Lesen des Programmhefts Tränen, als man feststellt, dass Theaterintendant Kay Kuntze die Rolle von Gott spielt, der Artus auf die Suche nach dem Heiligen Gral schickt, diesen dabei aber mit ungenauen Informationen abspeist – auch diese köstliche Szene ist per Videoeinspielung realisiert, ebenso wie der wörtlich genommene Fingerzeig Gottes, also Kuntzes kurz vor Schluß, wo der Gral denn nun zu finden sei (am vom Rezensenten besuchten Abend liegt er im Parkett rechts, Reihe 4, Platz 5). Außerdem verdient sich Programmheftredakteurin Sophie Oldenstein für den Absatz am Übergang von Seite 8 zu Seite 9 ein Sonderlob. Interessant ist zudem, dass das Theater diese Aufführung komplett mit eigenen Kräften stemmt, ohne jegliche Gastdarsteller – schon per se keine leichte Aufgabe, aber mehr noch, da bis auf Markus Lingstädt als Artus und Michaela Dazian als Fee die anderen sechs Darsteller in mannigfache Rollen schlüpfen müssen, wie das auch schon im originalen Film der Fall war. Sängerisch ragt Michaela Dazian aus der allesamt mindestens gutklassigen Schar hervor – sie rechtfertigt die Präsenz ihrer Rolle mit einer sehr starken stimmlichen Leistung. Soweit, so gut – aber da gibt es noch einen Knackpunkt: Monty Python waren immer für den einen oder anderen Tabubruch gut. Die Kontroverse um „Das Leben des Brian“ ist so manchem vielleicht noch in Erinnerung, aber das, worüber man sich damals ereiferte, ruft heute oftmals nur noch ein müdes Lächeln hervor, im Falle von „Die Ritter der Kokosnuß“ speziell die Anspielungen auf die Homosexualität von Herbert. So schraubte auch Idle im Musical bestimmte Aspekte einen Deut schärfer, darunter die homosexuelle Konstellation, und zwar dahingehend, dass auch noch Sir Lancelot homosexuell ist – aber das, was am Broadway 2004 noch als Skandälchen durchgehen konnte, ist im Deutschland des Jahres 2019 längst kalter Kaffee, und so fühlte sich Regisseur Manuel Kressin bemüßigt, abermals an der Schraube zu drehen, was nunmehr zu der Peinlichkeit führt, dass Mario Radosin als Sir Lancelot einen Homosexuellen spielen muß, der optisch als Metaller kostümiert ist, obwohl das Outing von Rob Halford, Gaahl und diversen anderen Protagonisten dieser Szene auch schon wieder viele Jahre her und das Thema im Metal längst „durch“, also zur Normalität geworden ist und daher nicht mehr für scheinbare Tabubrüche taugt. An dieser Stelle kippt die Inszenierung plötzlich vom Kultigen ins Peinliche – noch eins draufsetzend mit dem Fakt, dass das Happy End zumindest in der Altenburg-Geraer Fassung völlig unironisch, völlig unpythonesk daherkommt, wenn man nicht den Fakt, dass es im Musical im Gegensatz zum Film ein Happy End gibt (im Film wird die dezimierte Tafelrunde bekanntlich verhaftet, und der Historiker überlebt nicht), schon als pythonesk bezeichnen will. Ach ja, und in Eric Idles Musical kommt die allerwichtigste, in die Populärkultur eingegangene Requisite vor, in der Altenburg-Geraer Fassung aber fehlt sie unerklärlicherweise: die Heilige Handgranate von Antiochia ... (Zumindest hat der Rezensent sie nicht entdeckt und ein Bekannter, der am Abend zuvor die Premiere gesehen hat, auch nicht.) Die genannten Knackpunkte bringen einige Zuschauer offensichtlich markant um ihre gute Laune, während sich das Gros nicht daran stört – rings um den Schlußchor „Always Look On The Bright Side Of Life“ (den gibt es hier schon in Idles Fassung, und man darf lange diskutieren, warum und weshalb) toben weite Teile des Saals vor Begeisterung, aber eben nicht alle. Markantes Beispiel: Ein Stück links neben dem Rezensenten bemerkt eine Dame spitz zu der vor ihr aufgesprungenen und stehende Ovationen erweisenden Geschlechtsgenossin: „Sie sind nicht durchsichtig!“ In der Gesamtbetrachtung bekommt eine herausragende Idee hier und da einen seltsamen Beigeschmack, was den Unterhaltungswert guter Teile der Inszenierung freilich nicht schmälert. Roland Ludwig |
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