Speed Limit
Anywhere We Dare
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Böse Zungen könnten behaupten, Speed Limit wären ihrem Namen nun auch noch in einer zweiten Weise gerecht geworden – sie reizen die Spielgeschwindigkeitsmöglichkeiten im traditionsorientierten Metal nach wie vor nicht aus, und sie brauchten zudem mehr als ein halbes Jahrzehnt, um die neue Scheibe Anywhere We Dare fertigzustellen: Der Vorgänger Moneyshot (siehe Rezension auf www.crossover-netzwerk.de) erschien anno 2011, das neue Werk nun anno 2017, und zum Rezensionszeitpunkt Anfang 2020 stellt es auch immer noch das aktuelle Werk des Quintetts dar. Gut, zwei der fünf Leute sind neu in der Band, was sicherlich die Arbeitsabläufe anpassungsbedürftig gemacht hat – andererseits aber sind die Neuen zwei relative Jungspunde, die auch einen gewissen Gehalt an frischer Energie eingebracht haben dürften. Und der eine, Drummer Hannes Vordermayer, sorgt auch gleich dafür, dass die Schlagzahl in den neuen Songs hier und da tatsächlich ein wenig höher liegt als früher – noch nicht im Opener und Titeltrack, der eher durch die Gitarrenleadgirlanden auffällt, die hier allerorten aufgehängt wurden, aber in „Sober Truth“ kommen schon ein paar schnelle Stakkati zum Vorschein, und „Sweet Morphine“ flitzt gleich von Anfang an mit flottem Ufta-ufta los, wird allerdings auch durch schleppende Parts und ein großes atmosphärisches Break aufgebrochen. Neun der elf Songs dauern mindestens fünf Minuten (die anderen beiden landen auch noch oberhalb von viereinhalb Minuten, und das sind übrigens die beiden Balladen der Scheibe), und Speed Limit nutzen die Zeit für im Traditionsmetalmaßstab relativ vielschichtige Arrangements, ohne jedoch die Grundfesten des Stils zu verlassen. Mit dem Achtminüter „No More Ace To Play“ versuchen sie sich zudem an einer großen Hymne, die sie auch strukturell eher simpel halten, was dann ausgerechnet im längsten Song der Scheibe die relativ gesehen größte songwriterische Geradlinigkeit hervorruft, wenngleich auch hier ein großes bombastisches Break und ein flotterer Einschub zum Tragen kommen. Speed Limit behalten zudem die Praxis von Moneyshot bei, bei den Credits jeweils den Grundideengeber zu nennen, auch wenn an der weiteren Ausarbeitung die ganze Band beteiligt war, und in klassischer Metal-Manier wird zudem aufgeschlüsselt, welcher der beiden Gitarristen welches Solo spielt, wobei zumeist der Grundideengeber eines Songs in diesem auch soliert, was jedoch nicht sklavisch durchgehalten wird. Dem Hörer kann’s in gewisser Weise auch egal sein – sowohl Joe Eder als auch Chris Angerer sind Könner ihres Faches, sowohl für griffiges Riffing als auch für interessante Soli gut. Wo es hier und da noch Reserven gibt, ist die Komponente, die Melodielinien des Sängers auf den instrumentalen Unterbau anzupassen, wenngleich der zweite Neuzugang, Manuel Brettl, prinzipiell einen guten Job macht, auch wenn er im hohen Schlußschrei von „No More Ace To Play“ ein paar Centwerte zu tief landet, und eine interessante Stimmfarbe besitzt, die ihn aus dem Stand für jede Epic-Metal-Band qualifiziert. Besagte Farbe erinnert ein wenig an Marc Distelkamp, der ab dem Viertling Fear bei Insania sang, auf besagtem Album allerdings von den Melodielinien her noch viel weiter entfernt vom instrumentalen Unterbau lag als Brettl an einigen wenigen Stellen von Anywhere We Dare, und mit zunehmender interner Abstimmung wird sich dieses kleine Problem bei Speed Limit auf einer zu erhoffenden nächsten Scheibe sicherlich nicht mehr in dieser Form stellen (auf dem Insania-Folgewerk Never 2L84H8 hatte das schließlich auch geklappt). Dass Brettl grundsätzlich zu den Fähigen seines Faches gehört, zeigt er nicht zuletzt auch in der Halbballade „Sign Of The Times“, wo er eine noch etwas andere Stimmfarbe einbringt. Hocherfreut ist der Rezensent zudem, dass sich Speed Limit eines Wunsches aus seiner Moneyshot-Rezension angenommen haben: Die süßlichen Backing Vocals, die bisweilen an manche von ihm gar nicht geschätzten Produktionen aus dem Hause Barfly Music erinnerten und nicht so richtig zu manchem eher kantigem Song passen wollten, sind auf Anywhere We Dare spurlos verschwunden – statt dessen gibt es hintergründig eingemischte Chöre klassischeren Zuschnitts („Sign Of The Times“) oder auch herzhaftere, zugleich aber unauffälligere Arrangements („Step Out Of The Line“), bisweilen auch ganz normalen hardrocktypischen Stützgesang unter den Refrains, und damit ist’s dann auch gut. Vom generellen Stil her bleiben die Österreicher Traditionalisten, und auch wenn sie die Grundhärte auf dem neuen Werk etwas nach oben geschraubt haben, so sollte es für einen Anhänger von Moneyshot unproblematisch möglich sein, auch Anywhere We Dare zu mögen, sofern er nicht gerade auf die melodicrockigen Tendenzen jenes Werkes steht, denn die sind der gestiegenen gewissen Kernigkeit gewichen, ohne dass Speed Limit freilich zum noch urwüchsigeren Metal ihres Debütalbums Unchained zurückgegangen wären oder gar zu dem Sound, den Hel Lennart, der neben Angerer auf dem Minialbum Prophecy die zweite Gitarre spielte, später mit seiner eigenen neuen Band zu fabrizieren begann, übergewechselt wären – das sind nämlich Belphegor, wo der Mann unter seinem bürgerlichen Namen Helmut(h) Lehner agiert, die große Provokationskeule schwingt und schon immer der Allergrößte, -schnellste und -extremste war. So etwas haben Speed Limit nun ganz und gar nicht nötig – sie konzentrieren sich darauf, einfach nur gute Musik zu machen und dabei ihren traditionsmetallischen Wurzeln treu zu bleiben. Da lugt an einigen wenigen Stellen auch mal kurz der Blues um die Ecke, der traditionelle Hardrock ist nicht fern, und der traditionsorientierte Metal erinnert hier und da immer noch ein wenig an Stormwitch (nicht deren Frühwerke wohlgemerkt – die taugten eher zu Unchained-Zeiten als Vergleich), ohne diese freilich zu kopieren. Und textlich stutzt man in „Retired Hero“ in der zweiten Strophe ein wenig – stammt der Song noch aus Zeiten, als sich Ritchie Blackmore einer Rainbow-Neuauflage kategorisch verwehrte? Zumindest 2017, als Anywhere We Dare veröffentlicht wurde, war die Situation ja schon ganz anders geworden. Wer mag, kann ja mal genau analysieren, ob Eder hier auch musikalisch das eine oder andere Rainbow-Zitat eingeschmuggelt hat. Nach hinten heraus verliert Anywhere We Dare leider ein wenig an Reiz und ist mit über einer Stunde Spielzeit einen Tick zu lang ausgefallen: „Bridges“ und „Dealing With Danger“ bieten nur noch Variationen von bereits Gehörtem, und einzig die Akustikballade „Affinity Of Souls“ als Abschluß der Scheibe läßt nochmal aufhorchen, auch mit einer gepfiffenen Melodielinie übrigens, an die man sich nach einigen Durchläufen auch irgendwie gewöhnt – und man ist dankbar, dass Speed Limit den Fehler des Vorgängeralbums, die Abschlußballade mit einer fürchterlichen Schlagzeugprogrammierung auszustatten, nicht wiederholt haben. Generell sollte das Album Genrefreunden gut reinlaufen, auch wenn es keine Bäume ausreißt, was sicher auch nicht der Ansatz von Speed Limit war. Jedenfalls freut sich der Rezensent durchaus, wenn es bis zur nächsten Scheibe nicht wieder viele, viele Jahre dauert.
Roland Ludwig
Trackliste |
1 | Anywhere We Dare | 5:15 |
2 |
Sober Truth | 6:53 |
3 |
Sweet Morphine | 5:17 |
4 |
No More Ace To Play | 7:58 |
5 |
Step Out Of The Line | 5:50 |
6 |
Sign Of The Times | 4:39 |
7 |
Good Year For Bad Habits | 6:22 |
8 |
Retired Hero | 5:16 |
9 |
Bridges | 5:35 |
10 |
Dealing With Danger | 5:08 |
11 |
Affinity Of Souls | 4:48 |
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Besetzung |
Manuel Brettl (Voc)
Joe Eder (Git, Keys)
Chris Angerer (Git)
Chris Pawlak (B)
Hannes Vordermayer (Dr)
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