Ein furioser Cryptex-Geburtstag mit schalem Nachgeschmack
Die hannoverschen Folk-Proggies Cryptex hatten geladen – nicht zu einem einfachen Konzert, sondern zu einem kleinen Privatfestival mit drei Bands, Wintergrillen und Freibier zum 10. Bandjubiläum. Zusammen mit dem Lemmy Gedenkkonzert am Tag zuvor Grund genug für Norbert zwischen den Jahren mal wieder für ein paar Tage einen Abstecher in seine Heimatstadt zu machen – zumal beide Locations nur wenige Fahrradminuten von seinem Geburtshaus entfernt sind. Und so schloss er nun am 29. Dezember kurz vor sechs im Nieselregen sein Fahrrad vor dem Musikzentrum ab, gespannt, was ihn erwarten würde. Mit den Vorbands hatte ich mich nicht sonderlich intensiv befasst. Zwei Alben von Marius Tilly hatte ich in der Vergangenheit reviewt. In der Erinnerung ist wenig geblieben, bestenfalls ein durchwachsener Eindruck. Prog-Bands mit „Crystal“ im Namen gibt es etliche. Ob die an diesem Abend aufspielenden Crystal Breed zu denen gehören, die mir schon mal über den Weg gelaufen sind, da war ich mir unsicher. Von Denmantau hatte ich definitiv noch nichts gehört. Die Überlegung sich mit einer ersten Portion des angekündigten Freibiers auf den Auftritt von Tilly einzustimmen, erwies sich schnell als Makulatur. „Das Freibier gibt’s bei der Aftershow-Party,“ lies mich die freundliche Dame am Merch-Stand wissen. Nun ja, erst die Arbeit, dann das Vergnügen – und ich war ja nicht gekommen, um mich zu besaufen. Ziemlich pünktlich um 6 Uhr stand Marius Tilly mit seiner Band auf der Bühne Meine Erwartungen zu erfüllen, war für Marius Tilly nicht sonderlich schwer, da ich kaum welche hatte. Und wenn ich das nächste Konzert von ihm nun auch nicht gerade als große Priorität auf dem Zettel habe, hat er mich doch recht positiv überrascht. Schlaksig ohne jedes Rockstar-Gepose kommt er auf die Bühne, die ihm, ein bisschen zu groß zu sein scheint, nimmt sie mit Hilfe seiner Band aber bald in Besitz. Dabei bleibt aber klar, dass er nicht nur Namensgeber, sondern auch Mittelpunkt des Geschehens ist. Sein Gebräu aus Rock, Garage, Psychedelic und Jam Rock passt bestens in die Retro-Welle, die ihren Höhepunkt zwar wohl schon überschritten hat, aber noch mächtig virulent ist. Vielleicht kann sich Marius Tilly ja noch eine Scheibe vom angeschnittenen Kuchen abschneiden. Dem bereits anwesenden Publikum schien’s jedenfalls zu gefallen. Wenn eine Progband sich den Kristall in den Namen steckt, rechne ich in der Regel mit etwas kristallinen, klareren Progklängen irgendwo zwischen Eloy, Elegy und Labyrinth. Damit liegt man bei Crystal Breed aber eher neben der Spur. Einen besseren Hinweis gibt die Optik von Keyboarder Corvin Bahn, dem ich am liebsten einen silbernen Umhang gegeben hätte. (hatte ich leider gerade nicht dabei) Dann wäre der gute Mensch aus einiger Entfernung glatt als Rick Wakeman durch gegangen. Und streckenweise klangen Crystal Breed auch, als hätten sich Dream Theater den Yes-Recken in die Keyboard-Burg geholt. In diesen Momenten, wenn sie lauter und härter wurden, kamen die Vier am besten. In den ruhigeren Minuten schächelte es etwas, was dieses Mal nicht – wie so oft – an dem begrenzten Gefühl des Sängers lag. Niklas Turmann konnte da ganz gut überzeugen. Es fehlte einfach an den Kompositionen, die den unüberhörbaren Fähigkeiten der Musiker auch in ruhgen Momenten die adäquate Bühne bieten würden. Gut geplant, ist halb gewonnen. Das gilt gerade für einen geschickten Festivalaufbau. Und der ist Cryptex gut gelungen. Während der Retro Rock von Marius Tilly und der Prog Metal von Crystal Breed durchaus in das recht weite Stilspektrum der Geburtstagskinder passen, sind Denmantau eine völlig andere Baustelle. Party Musik mit einer Trompete im Mittelpunkt ist angesagt. Aber das ist gut so. Das bringt Abwechslung in den Ablauf und Denmantau bringen die Masse endgültig auf Betriebstemperatur. Mainman Paul Weber stürmte von Start weg über die Bühne, dass die ADHS-Diagnose eigentlich nur noch Formsache ist. Stefan Pomplun pumpte das Ganze mit seinem Bass durch die Boxen, dass dem Publikum – nicht nur in den ersten Reihen – gar nichts anderes übrig blieb, als das Tanzbein zu schwingen. Schweißtreibend! Und wie nennt man das Baby? Paul Weber schlägt mir in der Umbaupasue zum Cryptex-Gig "Bohemian Dance Rock" vor. Das kann man so stehen lassen.
Gegen 22 Uhr, nur eine Viertelstunde hinter dem angepeilten Zeitplan, war dann Zeit für anderthalb Stunden Geburtstagsparty. Und eins ist schon nach wenigen Minuten überdeutlich: Auch wenn die des Öfteren gezogenen Vergleiche mit Queen ein wenig zu deutlich über das Ziel hinausschießen, eine Parallele ist unübersehbar. Beide Bands haben eindeutig eine Diva im Line up, die die Aufmerksamkeit zu einem hohen Prozentsatz für sich reklamiert. Dabei hat sich das Image von Simon Moskon seit der 2012 mitgeschnittenen Live-DVD Live at de Bosuil grundlegend verändert. Damals tobte er mit wilder Mähne Rauschebart und Schottenrock über die Bühne, als hätte eine Grunge-Band den positiven Lebensgeist von Hair in sich aufgesaugt. Nun erscheint er ganz in schwarz mit hellen Schuhen und geordneter Kurzhaarfrisur. Ich war mit einer gesunden Portion Skepsis in den Abend gegangen, denn das zweite Studio-Album Madeleine Effect, das nach der DVD aufgenommen worden ist, kommt erheblich verhaltener über den Deich, als das grandiose Debüt.
Ein Blick auf die Playlist hätte mich beruhigen können. Mit zehn Titeln waren zwei Drittel des Debüts am Start. Madeleine Effect wurde nur mit halb so vielen Stücken bedacht, und auch da bevorzugt aus der von mir in der damaligen Review positiv hervorgehobenen Anfangsphase des Albums. Dazu kamen zwei Stücke von der ersten der beiden nur digital erschienenen Rain Shelter Sessions-EPs, unter anderem das Savatage-Cover „Gutter Ballet“, das einen Höhepunkt im Zentrum der Show darstellte. Aber das eigene Material der Band konnte sich gut mit dem Klassiker messen. Stilistisch sind die Niedersachsen dabei breit aufgestellt. Allein das von Queen und Savatage abgesteckte Hard Rock-Metal-Feld bietet ins sich bereits etliche Möglichkeiten. Aber dann gab es Momente, in denen ich mich eher an die frühen Sachen der Mittelalterrocker Subway to Sally erinnert fühlte. Und der Folk-Anteil von Cryptex ist auch nicht zu verachten. Das kann bis in die angepunkten Gefilde von Fiddler’s Green gehen. Neben dem Chef vom Dienst ist der zweite Eye Catcher einmal nicht der Gitarrist, sondern Bassist Marc Andrejkovits, der wild über die Bühne poggte, ein Hüne von Mann, der mit seiner langen Jacke oft aussah wie einem Sergio Leone Western entsprungen. Und mit seinem strahlenden Grinsen hatte er dann tatsächlich eine Ausstrahlung wie Terence Hill. Dass man nicht in jedem Moment voll abgehen konnte, liegt in der Natur der Sache, dass Cryptex ihren Anspruch eine Prog-Band zu sein ernst nehmen. Das führt bei der einen oder anderen Komposition zu einer komplexeren Struktur, die dann auf Kosten der Eingängigkeit führt. An dieser Stelle sind dann möglicherweise doch eher Bands wie Yes Vorbild, anstatt von Queen. Dennoch war die Stimmung Spitze. Cryptex wurden von ihrem Publikum nach allen Regeln der Kunst abgefeiert – und das zu Recht. Dann gab es auch noch Geburtstagsstimmung auf der Bühne - mit Torte und Konfetti. Alles prima also! Die Band sollte man, bei allem was jetzt noch gesagt werden muss, unbedingt im Blick behalten. Es gibt derzeit wenig andere Prog-Acts mit einem derart lebendigen Potenzial.
Dass die Blicke des Publikums nach Ende der Show zum Teil etwas irritiert waren, lag nicht an dem was auf der Bühne geboten wurde. Bereits vor dem Zugabenblocks bat Simon Moskon darum, der Band 30 bis 45 Minuten zu geben, bis sie zur After Show Geburtstagsparty erscheinen würden. Beim letzten Abgehen wurde das dann sogar auf 45 Minuten bis 1 Stunde verlängert. Immerhin, das Freibier wurde schon für die Wartezeit auf die Band frei gegeben. Und da wurde es peinlich! 200 Flaschen ständen ab sofort bereit, strahlte Moskon in die Menge. 200 Drittelliter für ein sicherlich doppelt so großes Publikum machte die großzügige Geburtstagsgeste zum Armutszeugnis. Insbesondere die treusten Fans, die bis zuletzt am Bühnenrand geklebt hatten, hätten kaum eine Chance gehabt, zu den ersten 200 zu gehören, die an der Theke aufschlugen. Aber offenbar hatte die Ankündigung vielen die Lust auf’s Feiern verleidet. Denn der Strom in Richtung Ausgangstür war schnell deutlich stärker, als der zum Bierchen. Herzlichen Glückwunsch! Norbert von Fransecky |
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