Play Latin #2
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Marcelo Machado
Tropicália
Mr. Bongo Films/ harmonia mundi
DVD- Dokumentarfilm
87 min
Beginnen wir unsere zweite Ausgabe von Play Latin mit einer DVD mit wegweisendem Material für diese Kolumne. Dass die hierzulande wohl bekanntesten brasilianischen Sänger wie Gilberto Gil und Caetano Veloso aus der Tropicália-Bewegung hervorgingen, dürfte hinreichend bekannt sein. Diese nur zwei Jahre (1968/69) dauernde kulturelle Bewegung ist bis heute die Wurzel der besonderen Kreativität brasilianischer Popmusik. Sie umfasste aber auch die Kunst-, Film-, Theater- und Literaturszene. Künstler aller Gattungen hatten damals Kontakt untereinander. So geht der Begriff Tropicália auf eine Ausstellung des Künstlers Hélio Oiticica zurück, ergab aber auch 1968 den Titel eines Albums der zu dieser Bewegung zählenden Musiker. Tropicália verband Aspekte der traditionellen Musik Brasiliens mit Einflüssen aus Amerika, Afrika und Europa. Immer wieder ist davon zu lesen, wie damals insbesondere Gil, Veloso, die Beatband Os Mutantes und Gal Costa mit schrillen Klamotten bei Liederfestivals und Musikshows im Fernsehen auftraten, dabei einerseits Begeisterung bei den von der Hippie-Welle erfassten Jugendlichen auslösten, andererseits auch von den Traditionalisten böse angefeindet wurden, die elektrifizierte Klänge als Verrat am Kulturgut ablehnten. Im nun erschienenen Dokumentarfilm Tropicália von Marcello Machado kann man jetzt diese Momente im Original sehen. Beeindruckend ist zu sehen, wie die Gesangswettbewerbe im Brasilien der 1960er eher einem Fußballevent glichen, während zeitgleich beim deutschen Schlagerfestival im Baden-Badener Kurhaus das Publikum in feinster Abendgarderobe den Sängern höflich Applaus spendete. Man sieht im Film die psychedelischen Performances von Oiticica, aber auch Bilder von den Demonstrationen zum Tod des von der Polizei 1968 erschossenen Studenten Edson Luis, dessen Tod in Brasilien eine ähnliche Wirkung hatte wie neun Monate zuvor der Tod von Benno Ohnesorg in Berlin. Gil und Veloso reihten sich in diese Demonstrationen ein, was später mit dazu führte, dass sie ins Exil abgeschoben wurden. Allerdings galt ihre politische Botschaft nie einer bestimmten politischen Gruppe, was sich auch in Spannungen der Künstler mit der Studentenbewegung auswirkte.
Der Film selbst ist eine tropicálistische Collage, der wie ein eigenes psychedelisches Film-Kunstwerk wirkt. Faszinierend gemacht, voller wertvoller Originalaufnahmen und für die geschichtliche Erkenntnis wichtiger Aussagen der Zeitzeugen, ist er jedoch schwer zu konsumieren: Er liegt nur im portugiesischen Original mit englischen Untertiteln vor und hat ein recht schnelles Schnitttempo. Dennoch ist er für an der brasilianischen Musik Interessierte unverzichtbar. Musikalisch überraschen die Fernsehauftritte der Tropicálistas, die damals schon Kassettenrekorder ans Mikro hielten und selbstgebaute Echogeräte und ein Theremin einsetzten. Für Musiker, die eigentlich zwischen Folklore und Beat einzuordnen waren, erstaunlich avantgardistisch.
Mike Del Ferro ft. Ceumar
Impressions Of Brazil
Challenge Records
56:32 min
Brazil Jazz
Das Trio des Pianisten Mike Del Ferro hat sich auf Impressions Of Brazil mit der Sängerin und Gitarristin Ceumar zusammengetan. Ihr Brasiljazz wechselt zwischen kammermusikalisch gediegen, temporeich oder perkussiv. Insgesamt ist das ein gutes Beispiel dafür, dass die Grenzen zwischen MPB und Jazz in der brasilianischen Musik meist verfließen. Insgesamt strahlt die Musik der Band für Brasilien jedoch zu milde Temperaturen aus. Die gefühlte 7924. Version vom „Girl from Ipanema“ ist auch dabei. Die Erben von Tom Jobim wird es freuen.
Verschiedene
Café Latino
Putumayo/ Exil Musik
40:11 min
Latin
Ob die Musiker auf der Kompilation Café Latino wissen, dass sie "Kaffeehaus-Musik" spielen, ist unbekannt, aber im Café entspannt man sich und das kann man mit dieser Sammlung sehr gut: Relaxte Latin-Music mit R&B-Touch. Putumayo hat das mal wieder zusammengestellt, das Weltmusik-Label des ehemaligen Modedesigners Dan Storper, das es nun seit 20 Jahren gibt. Die Kompilation passt sehr im Sinne der Reihe: Irgendwo zwischen Hintergrundmusik und neugierig machen auf Musik außerhalb der Industriestaaten. Es gibt aber immer was zu entdecken: Der herausragende spanische Sänger und Gitarrist Miquel Gil klingt hier wie eine Low Tempo-Fassung von Flamenco mit griechischen Anleihen und zeigt damit, dass Flamenco vielleicht dann wieder interessant ist, wenn er sich mit ungewöhnlichen bzw. mediterranen Elementen verbindet.
Verschiedene
Latin Lounge
Putumayo/ Exil Musik
37:03 min
Latin
Auf Latin Lounge, dem nächsten Putumayo-Sampler, gibt’s im Grunde die gleiche Musik, aber mit dezent unterlegtem programmiertem Beat. Wir sind hier im Reich der Smooth Latin Sounds. Ausgerechnet der Titel, der am wenigsten Latin-mäßig hier reinpasst, überzeugt dabei noch am ehesten: Der Inder Deepak Chopra lässt klassische indische Poesie in englischer Übersetzung von einer Mexikanerin singen. Das klingt nach akademischem Konzept, wirkt aber tatsächlich sehr sexy mit Sprechgesang, viel Hall und sündigem Saxophon. Vinicius Cantuaria und Bill Frisell haben sich ebenso in die Latin Lounge verirrt, was aber bei genauem Hinhören durchaus passt.
Klazz Brothers & Cuba Percussion
Classic meets Cuba II
Sony Classical
64:06 min
Latin-Classic-Crossover
“Rhythmen schöner Götterfunken” könnte es am Anfang von Classic meets Cuba II heißen, der nach elf Jahren entstandenen Fortsetzung des Erfolgsalbums der Klazz Brothers & Cuba Percussion. Nach wie vor ist dies eine erfrischende Veröffentlichung auf dem Markt mit kubanischer Musik. Neu ist das Konzept nicht, denkt man an Verbindungen von Klassik mit Jazz oder Rock, hier aber geht die Initiative von Klassik-Musikern aus und sie verbinden das nicht nur mit Latin, sondern auch mit Jazz, Funk oder Rock-Elementen. Die ungewöhnliche Melange gebiert Titel wie „Rock Me Rachmaninoff“, was aber nicht auf einen Falco-Einschlag hinweist, sondern eher in Richtung Police geht. Auch der „Cuban Summer“ a. k. a. „Die Vier Jahreszeiten“ von Vivaldi, ist tempo- und abwechslungsreich und Klassik-Titel als Cha Cha Cha hört man auch nicht alle Tage. Diesmal ging man eher an schwerere Komponisten heran: Beethoven, Tschaikowsky und Grieg. Die Struktur mancher klassischen Kompositionen verführt dazu, Latin-Stücke voller Komplexität mit Tempiwechsel und Breaks zu generieren. In der Mitte des Albums wird etwas zu sehr an den Originalen geklebt. Hier hätte man der Perkussion mehr Spielraum geben sollen. Dafür entschädigt Chatschaturjans "Säbeltanz" zum Schluss umso mehr.
Kibardin Quartett
Am Samowar – Tango-Geschichten aus Russland
Querstand /Harmonia Mundi
45:06 min
Russischer Tango
Wenn russische Klassik zu kubanischer Musik werden kann, dann kann russische Folklore auch zu Tango werden. Was dem Argentinier das Bandoneon und ist dem Russen das Bajan (das russische Knopfakkordeon) und in der Musik beider Länder dominieren Inbrunst und Komplexität. Da geht also was. Für die russische Variante des Tangos stand der 2007 verstorbene Bajan-Virtuose Efim Jourist, dessen Musik nun das Kibardin Quartett auf Am Samowar – Tango-Geschichten aus Russland wieder zum Erklingen bringt. Tatsächlich ist diese Musik wirklich „sexy“: Da wird sanft gestreichelt und wild geliebt, jubiliert und geschluchzt, getanzt und entspannt zurückgelehnt. Tango-Liebhaber sollten sich diese bemerkenswerte Aufnahme unbedingt sichern.
Verschiedene
The Rough Guide To Voodoo
63:17 min
Erol Josué
Régléman
55:30 min
beide Network Worldmusic/ Harmonia Mundi
Latin
Geheimnisvolle, ferne Trommeln, beschwörende Gesänge mit wilden Schreien, so stellt man sich gemeinhin Musik zur Geisterbeschwörung bei Voodoo-Ritualen vor. Wer das beim The Rough Guide To Voodoo erwartet, wird eher enttäuscht sein. Zwar ist viel Chormusik und Perkussion auf dieser Sammlung zu hören, aber die Musik ist gar nicht so düster wie man annehmen könnte. Die Sammlung vereint Voodoo-Musik aus Haiti mit Musik aus ähnlichen Wurzeln wie Santeria auf Kuba, Candomblé in Brasilien, davon inspirierte Musik aus Afrika sowie die Thematisierung von Voodoo in der Musik von New Orleans. Die Beispiele sind mehrheitlich eher von intensiver, ja eher fröhlicher Melodik, obwohl es gerade von den angeführten Interpreten wie Baden Powell und Dr. John durchaus wesentlich mystischere Stücke gibt. Nur manchmal, wie teilweise bei Bata Ketu, entsteht die gewünschte Atmosphäre mit Dschungelgeräuschen und Berimbau. Aber vielleicht sitzt man so nur den Klischees auf, die man von Voodoo-Musik hat. Die Begräbnismusik aus New Orleans dient ja auch nicht dazu, Räucherstäbchen und Kerzen beim Abhören anzuzünden.
Wie immer hat der Rough Guide auch eine zeitgemäße Variante des Genres im Paket: Die Musik des haitianischen Voodoo-Priesters Erol Josué auf seinem Album Régléman. Er experimentiert mit teils komplexen Verbindungen von traditionellen Gesängen, elektronischen Sounds und popmusikalischem Einschlag. Da mischen sich manchmal Sprechstimmen und Gebete wie Geister in den Gesang hinein. Eine erstaunliche Musik, der es gelingt, trotz sehr traditionsbezogenem Rückgriff innovativ und unverbraucht zu klingen.
Luis Frank Arias & Guillermo Rubalcaba
Noches Cubanas En El Cafe Del Mar
Connector Records/ in-akustik
50:13 Min
Kuba
Der äußerst umtriebige kubanische Sänger Luis Frank Arias kommt zusammen mit dem Buena Vista-Pianisten Guillermo Rubalcaba auf dem Album Noches Cubanas En El Cafe Del Mar arg schwülstig daher. Der romantische Liederabend ist vielleicht was für den Weihnachtsabend unter Palmen, gibt es doch als Bonus „Stille Nacht“ Noches De Paz noch dazu. Nur für Fans.
Hans-Jürgen Lenhart
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