Musik an sich


Artikel
Händels späte Oper Xerxes als "Sex-Rex" in Düsseldorf




Info
Künstler: Händel, G. F. (Junghänel/Herwich)

Zeit: 26.01.2013

Ort: Düsseldorf

Besucher: ausverkauft

Veranstalter: Deutsche Oper am Rhein Düsseldorf

Fotograf: Hans Jörg Michel / Pressestelle der Deutsche Oper am Rhein

Internet:
http://www.operamrhein.de/de_DE/events/repertoire/865275/opera

Mutig war es einst von Georg Friedrich Händel, seinem Londoner Publikum mit "Xerxes" eine doppelbödig-ironische Variante der langsam aus der Mode kommenden Oper Seria zu bieten: Der Titel-"Held" ein leicht depperter, vorwiegend mit amourösen Abenteuern beschäftigter König, den niemand wirklich ernst nimmt. Die beliebten Verwechselungsspielchen und Wirrungen mehr oder weniger Selbstzweck zur Ausstellung der verschiedenen Affekte. Das Ganze über weite Strecken eher eine Karikatur der überkommenen Oper.
Händel scheiterte 1738 mit diesem Experiment. Die Deutsche Oper am Rhein hingegen kann im Jahre 2013 damit - wie zuvor schon die Komische Oper Berlin - einen grandiosen künstlerischen Erfolg verbuchen.

Dieser ruht auf drei Säulen: Der vor Ideen überquellenden, frechen Inszenierung durch den gebürtigen Norweger Stefan Herheim, dem quicklebendigen Spiel der unter der Leitung von Konrad Junghänel über sich hinauswachsenden Neuen Düsseldorfer Hofmusik und dem sängerisch wie darstellerisch in Höchstform auftrumpfenden Valer Barna-Sabadus.
Die Regie greift Händels Idee des "Theaters im Theater" auf und setzt sie konsequent fort. Händel nämlich bricht mit der Konvention, indem er an einigen Stellen die Figuren sich an das Publikum wenden lässt, diesem gleichsam erklärt, warum nun dieser oder jener Affekt dargestellt werden müsse, was selbigen nicht unbedingt glaubwürdiger macht, sondern mit einem Augenzwinkern garniert. Herheim erweitert dies, indem er das Publikum buchstäblich hinter die Kulissen und Maskeraden schauen lässt. Die Drehbühne zeigt - im oft raschen Wechsel - mal die Tristesse und nüchternen Aufbauten hinter der Bühne, mal in Art einer traditionellen, puppentheaterhaften Guckkastenbühne die gestaffelten Pappmachékulissen selbst. Die Figuren agieren in opulenten Kostümen, aber von Anfang an ist klar: Hier ist alles Show, alles Schein, alles Emotion um der Emotion willen. Man kann dies übrigens auch als kritischen Kommentar zu den Inszenierungen unseres Medienzeitalters lesen.

Doch Herheim ist zu klug, um einen solchen Ansatz aufzunötigen oder ihn herauszuschreien. Vielmehr nutzt er diese Basis, um mit geradezu kindlicher Freude ein Feuerwerk komischer Ideen abzubrennen und das Publikum über drei Stunden abwechselnd vom Lachen ins Staunen und wieder zurück zu werfen: Mal reißt ein Kanonschuss bilderbuchmäßig ein Loch in die Kulissen, mal wird durch ständiges Umarrangieren von Leuchtbuchstaben aus XERXES der SEX-REX, mal stören störrisch blökende Schafe das idyllische Arkadien, mal klettert der Protagonist durch den Orchestergraben ins Publikum. Da Rezitative und Arien, bis auf wenige Ausnahmen, in deutscher Sprache vorgetragen werden, bekommt das Ganze noch zusätzlich Lust- und Singspielcharakter. Der Garten der Lüste, um den die Gedanken und Aktionen der Figuren kreisen, hält von Sodomie über Travestie bis zum Facesitting und allen sonstigen Praktiken ein reiches Angebot bereit. Aber Herwich ist nicht Bieito und begnügt sich insoweit stets mit launigen Anspielungen und Andeutungen. Bisweilen ist der Grat zwischen Unterhaltung und Klamauk zwar sehr schmal, doch gleitet die Oper nie ins Groteske ab. Allerdings geht zumindest im ersten Teil durch die vielen komischen Einfälle einiges von der händel´schen Doppelbödigkeit verloren, erscheint plötzlich keine einzige der Emotionen mehr echt. Die Musik spricht hier - zumindest beim Paar Romilda-Arsamenes - eigentlich eine andere Sprache. Doch kommt dieser Aspekt in der zweiten Hälfte durchaus noch zu seinem Recht, wenngleich die einmal gestreuten Zweifel an der Authentizität der Gefühle die Figuren und der Zuschauer nie mehr vollständig verlassen. Grandios der Einfall, das Ganze "Affentheater" für den Schlusschor schon einmal hinter dem Vorhang verschwinden und die Chorsänger - bereits in Alltagskleidung - schulterzuckend die Moral von der Geschicht´ vortragen zu lassen.

In der Titelrolle brilliert der Countertenor Valer Barna-Sabadus mit viel Spielwitz und einer koloratursicheren Stimme, die der junge Sänger bei Bedarf geschickt anzuschärfen versteht, ansonsten aber einen Ton von großer Süße pflegt. Das Objekt seiner Begierde, die schöne Romilda, gibt Heidi Elisabeth Meier mit strahlkräftigem, silberreinem Sopran, während Anke Krabbe deren frecher Schwester Atalanta einen herrlich mädchenhaft kecken Ton verleiht und diesen bei passender Gelegenheit auch einmal ins Exaltierte überzieht. Die verschmähte Braut Amastris hat in Katarina Bradic eine Sachwalterin von latenter Aggressivität, die in jedem Moment ausstrahlt, dass sie den Popanz Xerxes an Stärke leicht übertreffen könnte, - wenn, ja wenn sie ihm nicht so sinnlos verfallen wäre.
Terry Wey in der Rolle von Xerxes´ Bruder benötigte am Premierenabend etwas Zeit, um sich frei zu singen, trumpfte aber spätestens mit der Arie "Amor, tyrannischer Amor" groß auf. Hagen Matzeit und Torben Jürgens zeigten in den Rollen des verwirrten Feldherrn Ariodates und des geistig schlichten Dieners Elviro nicht nur sängerisches, sondern auch viel komisches Talent.

Getragen wurde das Geschehen musikalisch von einem Orchester, das Händel auf Spitzenniveau bot: Alert, schlank, pointiert und dennoch geschmeidig. Schöner kann man sich das nicht wünschen.

Das Publikum, anfangs noch geschäftsmäßig reserviert und mit der Frage beschäftigt, ob man sich in einer Barockoper eigentlich so ungeniert amüsieren darf, ließ sich mehr und mehr mitreißen und feierte die Premiere am Ende mit stürmischem Applaus.


Sven Kerkhoff



 << 
Zurück zur Artikelübersicht
 >>