Musik an sich


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Stravinsky, I. (Gielen)

Canticum Sacrum – Agon – Requiem Canticles


Info
Musikrichtung: Klassische Moderne

VÖ: 19.09.2008

(Hänssler Classics / Naxos / CD DDD 2004-2007 / Best. Nr. 93.226)

Gesamtspielzeit: 57:28



STRENGE EXERZITIEN

Leichte Kost sind diese drei späten Kompositionen Igor Stravinskys bestimmt nicht. Drahtig und sehnig gibt sich die kompromisslos auf das Wesentliche reduziert Musik nicht nur im Ballett Agon, sondern auch bei den geistlichen Werken, dem kubistisch zerklüffteten Canticum Sacrum und den aphoristischen Requiem Canticles.
Die vor allem beim Ballett sehr große Orchester-Besetzung, aus der dann mit schönstem Understatement praktisch immer nur kleine Sub-Ensembles gebildet werden, wirkt fast wie feine Ironie. Immerhin hatte Stravinsky mit seinem Sacre du Printemps 1913 eine der bis dahin größten Orchesterbesetzungen auf das Podium gebracht und voll ausgereizt. Trotz einiger kraftvoller Klangmassierungen geben sich die späten Werke da viel zurückhaltender. Was die Orchestrierung angeht, so experimentiert der Komponist immer wieder erfolgreich mit Zusammensetzungen, die auf dem Papier unmöglich aussehen. Z. B. bettet er das Tenor-Solo Surge aquilo aus dem Canticum in ein Ensemble aus Flöte, Englischhorn, Harfe und Flageolett-Töne dreier Kontrabässe ein!

Die Schönbergsche Zwölftontechnik, die sich der damals schon 70jährige Stravinsky soeben erschlossen hatte, lieferte ihm das Rüstzeug, um seine Vorstellungen musikalischer Abstraktion und orchestraler Pointierung zu verwirklichen. So richtig warm geworden ist die Musikwelt mit seinen späten seriellen Kompositionen aber nicht und auch auf Platten sind sie eher selten zu finden. Man warf dem Komponisten Opportunismus vor und kritisierte die Ergebnisse als epigonal. Dabei handhabt Stravinsky die sperrige Technik mit individuellem Geschick und schreibt schließlich doch wieder seine unverkennbar eigene Musik, die sich weniger durch Emotionalität oder gar expressionistische Ausbrüche denn durch starke physische Wirkung auszeichnet.
Trotzdem befriedigt bei diesem Triptychon das Ballett Agon am Ende doch am meisten. Hier hat der Komponist eine konstruktivistische, aber rhythmisch vibrierende Tanzmusik geschrieben, bei der sich französische Tanzmodelle des Barock und zwölftönige Architektur überraschend gut vertragen. Die durchsichtige, überaus farbige Instrumentierung unterstützt den athletischen Charakter der Musik, so dass man sich eine mögliche Choreographie gut vorstellen kann.

Michael Gielen, das SWR Vokalensemble Stuttgart und das SWR Sinfonieorchester Baden-Baden und Freiburg erweisen sich als ausgesprochen inspirierte Anwälte dieser späten Stücke, die sie mit der gebührenden Prägnanz, aber auch mit bestechender Verve zu Gehör bringen.



Georg Henkel



Trackliste
01-08 Canticum Sacrum (1956) 19:28
09-24 Agon (1954-57) 23:00
25-33 Requiem Canticles 15:00
Besetzung

Stella Doufexis: Mezzosopran
Christian Elsner: Tenor
Rudolf Rosen: Bariton / Bass

SWR Vokalensemble Stuttgart
SWR Sinfonieorchester Baden-Baden und Freiburg
Michael Gielen: Leitung


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