Musik an sich


Reviews
Purcell, H. (Dantone)

The Fairy Queen


Info
Musikrichtung: Barockoper

VÖ: 06.11.2003

(Arts / Klassik Center Kassel) 2 CD DDD / AD 2001 / Best. Nr. 47679-2

Gesamtspielzeit: 132:26

Internet:

Arts



SOMMERNACHTSTRAUM AUS RAVENNA

Die Engländer haben das Musical erfunden. Während man im 17. Jahrhundert erst in Italien und dann auch anderswo konsequent einen dramatischen Text im Ganzen in Gesang verwandelte, blieb es auf der Insel bei einer eigenwilligen Mischung von Sing- und Sprechtheater. Bei dem, was man heute als Semi-Opera bezeichnet, handelt es sich im Grunde um sehr üppige musikalische Dekorationen und Einlagen, die als dramatisch mehr oder weniger effekt- und sinnvolle Schauspielmusiken die Bühnenhandlung bereicherten. Vor allem die Nebenfiguren und Kollektive wurden mit Gesang und Musik bedacht, während die Hauptfiguren Sprechrollen blieben.
So auch bei der Fairy Queen, einer verballhornten Fassung von Shakeperares 'Sommernachtstraum'. Das geniale Original entsprach nicht mehr dem Zeitgeist, man liebte es weniger drastisch und anzüglich, dafür bunter, revueartiger und sentimentaler. Die anonyme Light-Version des Dramas könnte man getrost vergessen, wäre da nicht die wunderbare Musik von Henry Purcell (1659-1695). 1692 uraufgeführt, ist sie ein Höhepunkt aus der Feder des 'Orpheus Britannicus', der sich von den wunderbaren Erscheinungen und skurrilen Figuren zu hinreißender Musik inspirieren ließ: farbig und eingängig, mit Chören, Ensembles, komischen, ergreifenden und pathetischen Einlagen, Songs und Tänzen. Englischer und französischer Stil verbinden sich dabei auf originelle Weise.
Da macht es auch nichts, wenn nur 'niedere' Figuren, vor allem die Feen und Waldgeister und diverse Allegorien musikalische Auftritte haben - Purcells verlieh ihnen eine so individuelle, ausdrucksvolle Stimme, er spielte so gekonnt mit Stimmungen und komponierte so in sich geschlossene Tableaus, dass man heute nur noch die Musik (die immerhin über 2 Stunden dauert) aufführt und eine etwaige Inszenierung ganz darauf abstellt.

Es versteht sich, dass sich kaum ein Ensemble der Alte-Musik-Szene dieses wirkungsvolle Stück Musiktheater entgehen läßt. Entsprechend ist keine Repertoirelücke zu beklagen. Dennoch: Eine ordentlich gemachte Einspielung ist immer willkommen. Und hier enttäuscht dieser Live-Mitschnitt vom Ravenna-Festival 2001 nicht. Grundsätzlich neue Perspektiven oder Nie-Gehörtes darf man allerdings nicht erwarten. Die Einspielung repräsentiert mit ihrem guten vokalen und instrumentalen Niveau eher den aktuellen Mainstream historischer Aufführungspraxis. Das größte Lob hat dabei die Accademia Bizantina verdient. Unter Ottavio Dantone mischt sie in Purcells englisch-französische Melange einen Schuss Italianitas hinein, wenn sie die Partitur mit Energie zum Klingen bringt und dabei vor allem auf die virtuosen Streicher setzt (in anderen Aufnahmen gibt es dann und wann auch noch Flöten zu hören, auf welche man hier verzichtet hat). Die Tänze werden weniger als 'erzählende' Stücke, sondern geradlinig und rhythmisch aufgefaßt, die Chöre und Arien eloquent begleitet.
Zu Beginn ist freilich ein Tribut an den 'Kaltstart' einer Live-Produktion zu entrichten. Erst im Laufe des 2. Akts haben die Instrumentalisten und Sänger sich warmmusiziert. Beim jungen Chor und dem Solisten-Ensemble gibt es keine besonders herausragenden Leistungen zu vermelden. Die Solisten üben sich darstellerisch leider etwas zu sehr in Diskretion. Dafür besticht das solide Teamwork.

Beim Beiheft des Rezensionsexemplars waren übrigens Seiten verloren gegangen bzw. doppelt und falsch geheftet.



Georg Henkel



Trackliste
CD 1: 65:19

01-02 First Music
03-04 Second Music
05-08 Act 1
09-20 Act 2
21-30 Act 3

CD 2: 67:07

01-12 Act 4
13-30 Act 5
Besetzung

Carolyn Sampson - Gillian Keith - Rebecca Outram (Sopran)
William Towers (Counter Tenor)
Andrew Carwood - Robert Murray (Tenor)
Michael Bundy (Bass)

New English Voices
Accademia Bizantina

Ltg. Ottavio Dantone


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