Musik an sich


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Joachim Witt - Pathos und Emotion

Nur ein paar Tage nach dem Release seines neuen Albums Pop stand Joachim Witt uns für ein Telefoninterview zur Verfügung - offensichtlich mitten im Promotionstress, denn gerade erst kam der Ex-NDW'ler von einer Autogrammtour in Dresden zurück in die norddeutsche Heimat. Mit reichlich wetterbedingter Verspätung. Dennoch präsentiert er sich in guter Stimmung und wir reden über sein frisch gepresstes Werk.

Das sich, dem Titel entsprechend, sehr zugänglich präsentiert. Viel mehr Melodien und Harmonien als auf den Vorgängern - vielleicht ein Zeichen von neu gewonnener Ausgeglichenheit?

"Schwer zu sagen. Ich fühle mich nicht unbedingt ausgeglichener, ich habe einfach einen guten Lauf gehabt. In der Phase des Arbeitens sind mir andere, etwas rundere Songs eingefallen. Ich glaube, dass es eher mit der momentanen Stimmungslage zusammenhing. Und mit dem kreativen Vermögen, das zu der Zeit vielleicht etwas stärker war als bei Eisenherz."

Trotz der "runden Songs" sind Witts Texte nach wie vor sehr verschlüsselt und vor allem pathosbeladen. Wieso nicht einfach gerade heraus das schreiben, was dem Hörer mitgeteilt werden soll?

"Ich habe eben meinen eigenen Stil. Gerade das mögen viele, eben weil es sich von anderen Stilistiken abhebt. Ich bin schon darauf angewiesen so zu schreiben, wie ich denke, und bin mir sicher, dass es so für mich der richtige Weg ist - selbst, wenn es dann nicht jeder sofort versteht.
Aber es ist auch schön, wenn etwas Raum für eigene Interpretation bleibt - das macht ja zum Beispiel auch einen guten Film aus.

Das Texten ist für Witt immer die schwerste Hürde - wegen der Überwindung zum mentalen Exibitionismus oder dem eigenen künstlerischen Anspruch?

"Es ist in erster Linie der Anspruch sich keine Peinlichkeiten zu leisten - was auch immer wieder mal vorkommt - und eine gewisse Kunstform zu finden. Das gelingt nicht in jeder Phase des Lebens, aber den Anspruch habe ich. Diesmal ist es mir leichter von der Hand gegangen, etwa so wie bei Bayreuth I. Es hat mich nicht negativ angestrengt.
Aber grundsätzlich fällt mir die Musik leichter. Texte sind gewissermaßen Gedankenarbeit, Musik hat noch mehr mit Gefühl zu tun. Man arbeitet mit Klangteppichen und akkustischen Signalen, das ist natürlich eine spontanere Befriedigung der Sinne. Insofern mache ich das jedesmal lieber. Die gedankliche Auseinandersetzung mit Texten ist in meinen Augen eine ganz andere Art von Kreativität."

Apropos Peinlichkeiten: Es scheint gerade dieser besondere, pathosbeladene Stil zu sein, der Witt auch sehr viel Kritik einbringt - wer einmal durch Internetforen und -magazine gesurft ist sieht, dass es mitunter geradezu "trendy" zu sein scheint seine Musik niederzumachen. Wie geht man als Musiker und Künstler damit um?

"Ich polarisiere sehr, das habe ich immer schon gemacht. Das ist nicht unbedingt ein Nachteil, weil man dadurch auch ein starkes Profil hat. Sich abzugrenzen und eine ganz eigene und persönliche Sache zu machen ist so wie bei Beziehungen: Als potentieller Beziehungspartner gefällt dir auch nicht jeder, man tut sich mit dem zusammen, der einem gefällt - so ist es mit der Musik auch. Ich bin nicht jemand, der es jedem recht machen will. Damit hätte ich auch meine Kreativität verfehlt. Es geht mir darum, das kreative Profil, das mir mitgegeben wurde, so zu nutzen, dass es ehrlich und direkt ist.
Viele haben auch einfach immer noch ein Problem mit der deutschen Sprache. In manchen Kreisen, in denen die Menschen völlig amerikanisiert sind und meine Sachen schwer nachvollziehen können, ist solche Musik, wie ich sie mache, natürlich gegen alle Hörgewohnheiten. Insofern haben diejenigen, die mit mir ein Problem haben, vielleicht auch einfach nur ein Problem mit ihrer persönlichen Emotionalität. Meine Musik ist sehr emotionsgeladen, was diejenigen, die es nicht gewohnt sind, oft geradezu als körperliche Unannehmlichkeit empfinden. Ich habe, was diesen Faktor angeht, sehr viel Nachsicht.
Kritik muss ich immer von irgendeiner Seite erwarten, das ist ganz normal und natürlich."

War es nicht sogar so, dass Witt zu Beginn seiner Karriere erschrocken über die positiven Reaktionen auf seine Musik war und eigentlich überhaupt nicht gemocht werden wollte?

"Das sehe ich heute anders. Damals gehörte es zum guten Ton Opposition zu sein. Es war ja auch eine gesellschaftliche opposotionelle Bewegung, deren Sprachrohr die Musik war. Die Bands, die zu dieser Bewegung gehörten, haben sich auch allesamt sehr eckig und kantig verhalten. Das war ein Zeitphänomen. Wir leben heute in einer anderen Zeit.
Das heißt nicht, dass man heute mit allem zufrieden sein kann oder sollte, aber es äußert sich jetzt anders."

Zurück zu Pop: Besonders überraschend ist die Coverversion des Alexandra Hits "Mein Freund der Baum".

"Das war eine einfache Stimmungsentscheidung. Ich fand die Nummer schon immer gut und bin zufällig wieder darauf gestoßen. Die ganze Kraft und Aussage dieses Songs kam meiner Art, Musik zu machen, sehr entgegen. Und da ich mich auch gerne mal an fremden Songs probiere habe ich das einfach in Angriff genommen. Das ist gewissermaßen natürlich alles Geschmackssache, aber ich glaube, dass ich es in meinem Sinne gut hinbekommen habe."

Dem kann ich nur zustimmen. Bleibt noch zu klären, wie es mit einer zukünftigen Tour aussieht - die Homepage schweigt sich bislang schließlich aus.

"Wir haben Ende Mai sechs Termine in einigen großen Städten: Hamburg, Berlin, Erfurt, Leipzig und Bochum. Außerdem wollen wir gerne auf ein paar Festivals spielen. Falls sich die CD weiterhin gut entwickelt machen wir eine flächendeckende Tournee im Herbst."

Und zum Schluss: Was hat eigentlich ein Joachim Witt, der mit 55 Lenzen längst nicht mehr zu den jüngsten Vertretern seiner Zunft gehört, musikalisch noch alles vor? Wie lange eigentlich noch Alben veröffentlichen und auf Tour gehen?

"Ich bin immer noch sehr auf dem Weg. Ich weiß nicht einmal, ob ich meinen musikalischen Zenit schon erreicht habe. Das einzige, was mich beschäftigt, ist möglichst lange gesund zu bleiben. Im Moment erfreue ich mich zum Glück noch sehr guter Gesundheit, so dass ich meine ganze Energie auf die Musik richten kann. Ich möchte noch sehr viel ausprobieren und habe noch sehr viel zu sagen."

Ein schönes Schlusswort. Wir danken für das Gespräch.

Hendrik Stahl