Provokation statt Authentizität - Peter Wicke seziert Rammstein




Info
Autor: Peter Wicke

Titel: Rammstein. Provokation als Gesamtkunstwerk

Verlag: Hannibal

ISBN: 978-3-85445-783-1

Preis: € 25

240 Seiten


Das am 19. September 2024 erschienene Buch über Rammstein ist in einer Zeit entstanden, in dem die Medienkampagne wegen des angeblichen Missbrauchs etlicher Frauen durch Sänger Till Lindemann allgegenwärtig war. Dem musste sich Autor Peter Wicke stellen. Das tut er in einem ersten Kapitel, in dem er deutlich macht, dass die Berichte durchgehend so genannte Verdachtsberichterstattungen waren, die lediglich auf unbewiesenen Behauptungen beruhten und so keinerlei Aussagen darüber ermöglichten, ob an den Vorwürfen etwas dran war.

Das Kapitel passt zur Struktur des Buches, die keine klassische Biographie ist, sondern das Phänomen Rammstein anhand verschiedener Themen untersucht. Das kann der Humor in den Texten der Band sein, ihre (ost)deutsche Identität oder ihr Verhältnis zu rechter Politik. Auch ihre Videos, die Bühnenshow, die notwendige Technik, die auf Tour ganze Sattelschlepper-Konvois in Bewegung setzt, sind Themen einiger Kapitel. Die Detail-Kenntnisse, die Wicke dabei zeigt, sind erstaunlich.

Dass die Provokation zu einem der Hauptelemente des Rammstein-Images gehört, macht der Autor bereits im Titel seines Buches deutlich. Dass dabei die Elemente Sex und Gewalt Schlüsselrollen spielen, ist für ihn offenbar kein Problem. Warum auch? Das gehört zur DNA vieler Bands der unterschiedlichsten Stilrichtungen. Etwas dünnhäutiger ist er beim Provokationselement rechts und deutsch. Aber wer das R dermaßen rollt, heldische halbnackte Heroen präsentiert und Leni Riefenstahl-Zitate in seinen Videos unterbringt, provoziert ganz offensichtlich mit dem, was in Deutschland (vor #metoo) das Unsagbarste war.

Hier einen klaren Graben zu ziehen, ist ein offensichtliches Interesse von Peter Wicke. Daher dürfte es kein Zufall sein, dass die Böhsen Onkelz, die andere extrem erfolgreiche Band, die ebenso gezielt mit Provokationen arbeitet, nur gelegentlich am Rande erwähnt wird, obwohl die Parallelen der beiden Bands mit den Händen zu greifen sind.

Um der Kritik an Rammstein als Sexisten, Gewaltbefürworter und menschlichen Monstren die Spitze zu brechen, nimmt Wicke sie definitorisch aus der Rock- und Metal-Szene hinaus. Der Begriff der Authentizität oder Street Credibility spielt im Bereich von Metal und Punk eine wichtige Rolle. Die Bands müssen das verkörpern, was sie sind. Es darf keinen Unterschied zwischen dem Musiker auf der Bühne und dem Privatmenschen geben.

Wicke verortet Rammstein daher eher im Bereich der Oper, wo völlig klar ist, dass die Sänger eine Rolle spielen, die nichts mit dem zu tun hat, was sich im Privatleben abspielt. Dieser Sprung wäre nicht nötig gewesen. Zumindest im Rock und Metal gibt es Legionen von Bands, bei denen völlig klar ist, dass ihre Bühnen-Identität nach der Zugabe endet. Alice Cooper, Gwar, Manowar und Kiss sind da nur die Spitze des Eisbergs.


Norbert von Fransecky



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