Henning Dedekind sieht im „Krautrock“ einen international wirksamen musikalischen Impuls made in Germany
Henning Dedekind hat ein Buch über den Krautrock geschrieben. Das ist schon vom Ansatz her ein schwieriges Unterfangen. Denn was ist Krautrock eigentlich? Stilistisch gibt es keinen Weg zu einer Definition. Blues, Reggae, Rock’n’Roll und andere „echte“ Stile sind identifizierbar, auch wenn die Grenzen nicht klar zu ziehen sind. Beim Krautrock gibt es diese Möglichkeit nicht. Und so zieht Dedekind seine eigenen Grenzen, die unter anderem dazu führen, dass viele Bands, die für mich den eigentlichen Reiz des Krautrocks ausmachen, bei ihm praktisch nicht stattfinden: Triumvirat, Hoelderlin, Jane und Novalis, um nur einige zu nennen. Von meinen Krautrocklieblingen sind eigentlich nur zwei häufiger im Focus - vor allem Kraan und in deutlich geringerem Maße Eloy. Grobschnitt werden nur gelegentlich erwähnt. Zu meiner großen Überraschung fehlen auch Guru Guru fast völlig, obwohl sie eigentlich in Dedekinds Beuteschema passen müssten. Aber wie sieht das denn nun aus? Im Prinzip nennt er nur ein wesentliches Kriterium. Krautrock-Bands zeichnen sich für ihn durch den Ansatz aus, dass sie sich von anglo-amerikanischen Vorbildern fast vollständig abnabeln. Damit fallen Bands wie Lake, Epitaph und Birth Control, die mit „Gamma Ray“ immerhin eines der bekanntesten Stücke im Krautrock-Imperium erschaffen haben, von vorneherein durchs Netz. Immerhin werden diese Bands zumindest in den kommentierten Listen der Krautrock-Protagonisten am Ende des Buches (S. 257 – 328) erwähnt, die den Rahmen dann aber auch sehr weit stecken. Udo Lindenberg, die Scorpions und Ton Steine Scherben z.B. hätte ich nie zum Krautrock gezählt. Hans-Joachim Irmler (Faust) geht noch wesentlich radikaler an den Krautrock heran. Dedekind zitiert ihn: „Was man gemeinhin (!; NvF) unter Krautrock versteht, das sind vielleicht fünf Bands. Später hat man da alles mögliche noch dazu gepackt.“ (S. 20) Ursache für die Unschärfe des Begriffes Krautrock ist seine Genese. Auch wenn sein Ursprung nicht 100%ig geklärt ist, stammt er definitiv aus England und war ursprünglich ein abschätziger Spott-Begriff, für etwas, das es eigentlich nicht geben kann – Rockmusik, gespielt von deutschen Musikern, eine Ansicht, die letztlich auch in Deutschland weitgehend geteilt wurde. Mit Musik Geld verdienen konnten vor allem Bands, die englische Beat-Musik 1:1 nachspielten. Sie wurden mit der „Erfindung“ der Discotheken praktisch überflüssig. Hans-Jürgen Klitsch hat die entsprechenden Szenen in seinem fast 500-seitigen Wälzer Shakin‘ all over sehr ausführlich beschrieben. Deutsche Bands, die aus diesem engen Rahmen ausbrachen, hatten kommerziellen Erfolg kaum zu befürchten. Das wiederum führte dazu, dass sie ohne Scheu experimentieren konnten, da sie keine Angst haben mußten, dadurch im größeren Maße potenzielle Käufer zu vergraulen. Das dürfte mit einer der Gründe sein, dass die deutsche Musikszene in den späten 60ern und frühen 70ern fast noch bunter und schillernder war als in den Mutterländern der Rock- und Pop-Musik. Dedekind schnappt sich mit seinem Ansatz, etwas zugespitzt formuliert, die besonders experimentierfreudige Spitze dieses Eisbergs. Auf seinem Radarschirm erscheinen so vor allem Bands, die sich von klassischen Songstrukturen verabschiedet haben. Er schreibt ihnen den Verdienst zu mit diesen innovativen Ansätzen eine unglaubliche Wirkung gerade auch in England und den USA gehabt zu haben. Martin Jenkins bestätigte das 1996 in der Washington Post: „Global betrachtet ist die Geschichte der populären Musik während der letzten 25 Jahre von nur drei Nationen bestimmt worden: den USA, Großbritannien und – Deutschland.“ (S. 216) Zu Beginn verortet Dedekind diesen Aufbruch, der zugleich ein radikaler Bruch mit dem Gegebenen war, in der gesellschaftspolitischen Situation der Nachkriegs-BRD, in der eine neue Generation neue Wege suchte und dabei ganz bewusst mit der Restauration und Verdrängungsmentalität bezüglich der NS-Vergangenheit brach. Der Krautrock erscheint dabei paradoxerweise, als so etwas wie die Entnazifizierung der Kultur, obwohl er doch vor allem mit der “Sieger-Kultur“ Englands und der USA brach. „Es gibt keine schönere Art, den Krieg zu verlieren,“ erklärte 1975 die britische Zeitung Sounds süffisant. Zwei weitere Impulse, die nach Dedekinds Auffassung die Entwicklung des Krautrocks maßgeblich geprägt haben, sind zum einen Erfahrungen mit bewusstseinserweiternden Drogen. Der Untertitel seines Buches lautet dementsprechend „Gegenkultur, LSD und kosmische Klänge“. Dazu kommt die Entwicklung von elektronischen Musikinstrumenten wie Mellotron, (Mini)-Moog und Synthesizer, die völlig neue Klänge erzeugen konnten. Der Bogen, den Dedekind dann spannt ist klassisch. Auf die (künstlerisch) goldenen Jahre der Anfangszeit, in der die finanzielle Situation der Musiker genau das Gegenteil von golden war, folgten erste vereinzelte Erfolge. Nach und nach ging die Situation, dass deutsche Rockmusik von vorneherein zur kommerziellen Erfolgslosigkeit verurteilt war, verloren. Der Niedergang war nicht mehr aufzuhalten. Auch deutsche Rockmusiker orientierten sich nun mehr und mehr daran, was sich verkaufen lässt. Das Interesse an dieser frühen undomestizierten Erscheinungsform wächst aktuell mehr, als dass es nachlässt. So wurde Dedekinds erstmals 2008 erschienener Band 2021 in einer vollständig aktualisierten und erweiterten Auflage bei Zweitausendeins neu veröffentlicht. Norbert von Fransecky |
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