Wunder auf Guaraní: Danny Plett auf Vorweihnachtstour in Geithain
„Musik und Schauspiel im Advent“ hatte ein Programm am 1.12.2002 im Geithainer Bürgerhaus geheißen, in dem unter Federführung von Danny Plett ein Einpersonenstück mit modernen Arrangements althergebrachter Advents- und Weihnachtslieder sowie diversen Eigenkompositionen gemischt worden war. Ebenjener Danny Plett steht als einziger der damaligen Mitwirkenden auf den Tag genau 20 Jahre später abermals in Geithain auf der Bühne, diesmal aber in der Nikolaikirche, wo er auch bei seinem bisher letzten vom Rezensenten erlebten hiesigen Auftritt am 17.5.2017 gastiert hatte. Die Struktur des Auftritts ähnelt dem von 2017, indem zuerst die südamerikanische Begleitband Ágape alleine loslegt und drei Songs in Quintettbesetzung darbietet, wobei sich der Keyboarder und die Sängerin die Lead Vocals teilen. Schon der Opener „Immanuel (Mein wunderbarer Friedefürst)“ macht klar, wo in den folgenden knapp zwei Stunden Nettospielzeit der stilistische Hase entlanglaufen wird: Pop im besten Sinne des Wortes, allerlei Randbereiche integrierend und hier zwischen treibendem Midtempo und atmosphärischen Passagen changierend, dazu einiges an Dramatik auffahrend. Auf einer Leinwand werden die Texte eingeblendet, hier in Deutsch und Spanisch – im folgenden „Trce Libertad“ setzt es für das Publikum dann auch gleich eine Mitsingaufforderung, mit spanischem Text wohlgemerkt, also in einer Sprache, deren Kenntnis in der Ex-DDR-Provinz eher mäßig ausgeprägt sein dürfte. Aber man wächst bekanntlich mit seinen Aufgaben und wird dann prompt mit einem textlich nicht übersetzten fetten Groover belohnt, der in Spanisch und Guaraní, einer Sprache der Eingeborenen Paraguays (aus diesem Land stammen der Keyboarder, der Bassist und der Gitarrist, während der Drummer Brasilianer ist und die Sängerin aus Uruguay kommt), gehalten ist und diverse Leckereien, die man in dem südamerikanischen Binnenstaat üblicherweise bei der großen weihnachtlichen Familienfeier serviert, aufzählt. Noch reizvoller wär’s vermutlich gewesen, wenn man diese Leckereien auch noch als Bilder eingeblendet hätte, aber andererseits soll ja die Aufmerksamkeit eigentlich etwas anderem gelten ... Nach diesen drei Songs erweitert sich die Formation zum Septett: Eine weitere Sängerin namens Angelika stößt dazu, und Plett selbst humpelt mit einer Krücke auf die Bühne – „Sport ist Mord“ , verkündet er launig, als er kurz vor Setende darauf eingeht, was mit ihm passiert ist, wobei kurioserweise vorher während der Bandmitgliedervorstellung bei fast allen Bühnenaktiven zur Sprache gekommen ist, dass sie gerne ins Fitneßstudio gehen. Spiel- wie sangestechnisch fit sind sie jedenfalls allesamt auch, und dank der Kompetenz von Heinrich Reisich am Mischpult kann man das auch durchhören, obwohl die Nikolaikirche durchaus nicht leicht zu beschallen ist und schon ein geringes Zuviel beispielsweise vom Drummer etliche Mitstreiter ins klangliche Abseits stellen würde. Dieser Gefahr entgeht der Zuhörer an diesem Abend und darf sich gleich zu Beginn über die starke Ballade „Eines Nachts wie heut“ freuen, in der nur Pletts einleitender Spoken-Words-Teil ein wenig zu bemüht wirkt und die Nummer ihre Qualitäten erst später offenbart, dann fast progressive musikalische Welten ankratzend. „Engel bringen frohe Kunde“, hierzulande eher als „Hört der Engel helle Lieder“ geläufig, lebt vom Geschick des Lichtmanns, der einzelne orangefarbige Tupfer durch den Kirchenraum wandern läßt, während das Arrangement selbst nach hinten heraus immer lebendiger wird. Zwischen den Songs gibt es diesmal kein Schauspiel und auch keinen Ausdruckstanz, sondern längere Ansagen Pletts zu verschiedenen Themen, an dieser Stelle beginnend mit Corona-Witzen, später über die Qumran-Rollen bis zur Minipredigt über Hans Christian Andersens Armutsschilderungen aus dem 19. Jahrhundert reichend, aber am Ende immer auf den theologischen Grund für das Weihnachtsfest rekurrierend. In „Tochter Zion“ muß man sich angesichts des harmonisch ungewohnten Klanggewandes erst hineinhören und -denken, aber das lohnt sich, und das exzellente Oberstimmenarrangement ab der zweiten Strophe setzt dem Ganzen die Krone auf. Aber auch in den Eigenkompositionen verstecken sich gute Ideen, etwa im recht zurückhaltenden „Wunder über Wunder“ (trotz des besagten Gestus Titeltrack der 2004er Plett-Weihnachts-CD gewesen) oder im kuriosen „The Winter Shop“, das Pletts Tochter Lindsay mit 8 Jahren geschrieben hat und das wie ein Mix aus „Jingle Bells“ und jodellastigem Folk klingt. „Oh Messiah“ wiederum stellt sich in der Schlußbetrachtung als die am stärksten rockende Nummer des Konzerts heraus, läßt Gitarrist Alejandro auch mal raumgreifender arbeiten, schraubt sich im massiven Midtempo nach vorn und wird in bester Siebziger-Manier nach hinten heraus durch immer neue Wendungen und Ideen verlängert, wobei auch hier saubere Satzgesänge positiv hervorstechen, an denen interessanterweise nur noch Plett und die beiden Damen beteiligt sind, während der Ágape-Keyboarder seine Mikrofonpflichten in den Plett-Sets komplett abgegeben hat. Die soeben gewählte Formulierung assoziiert, dass es eine weitere Set-Teilung gibt, und das trifft auch zu – leider dramaturgisch etwas unglücklich gewählt: Nach „Oh Messiah“ kommt nämlich noch eine Ansage samt bildlicher Familienmitgliedervorstellung Pletts, und dann wird die Pause eher unvermittelt eingeläutet. Auch wenn es nach der Pause mit der Familienvorstellung weitergeht (die zweijährige Enkelin fehlte noch), wirkt diese Struktur ein wenig seltsam, wenngleich die Kleinheit gleich den sinnbildlichen Stoff für die nächste Ansage und das nächste Songdoppel abgibt, nämlich „Little Drummer Boy/From A Little Prayer“, das durch erfreulich unsüßliche Herangehensweise und ein geschickt dramatisiertes Arrangement inclusive kleinem Drumsolo positiv auffällt. Auch „O du fröhliche/Freue dich, Welt“ kommt in verwobener Form, und man staunt, wie gut das zweitgenannte, oft Händel zugeschriebene, aber von Lowell Mason zumindest in seine heute bekannte Form gebrachte Stück in den Weihnachtsklassiker paßt. Der Ballade „Immanuel“ folgt mit „O komm, o komm, du Morgenstern“ ein weiteres ungewöhnliches Arrangement, nämlich mit leicht mystischer Vernebelung und asiatisch beeinflußter Harmoniegestaltung, wobei seltsamerweise nicht der Nahe, sondern der deutlich fernere Osten die Orientierung abgibt, was auch mit den eingesampelten Sitar-Klängen übereinstimmt, die man hier nun wirklich nicht erwartet hätte, wenngleich die Idee rein musikalisch durchaus interessant anmutet. Leider nimmt Plett im letzten Konzertviertel Tempo und Dynamik etwas arg heraus, sowohl im letzten Setblock aus „Hölzchen, Schwefelhölzchen“, „Wer liegt in der Krippe?“ und der dazwischen angesiedelten Kurzpredigt als auch in den beiden Zugaben, wobei die erste, „Go Tell It On The Mountains“, jede Menge Potential für einen flotten Groover geboten hätte, wenngleich auch die A-Cappella-Variante, vom Publikum gern unterstützt, durchaus Charme besitzt. „Stille Nacht“ kommt dann wieder in der im Osten weniger geläufigen Textvariante und bringt die Mitsingenden ungewollt ins Stolpern, wie das auch vor 20 Jahren schon der Fall gewesen war. Aber trotz dieses wenig dynamischen Schlusses bleibt der positive Gesamteindruck des Konzertes definitiv erhalten und zum Schluß nur eine Frage offen: Wem drückt diese internationale Musikergemeinschaft (Plett hat mehr als 20 Jahre in Deutschland gelebt, ist aber Kanadier und mittlerweile wieder in sein Heimatland zurückgekehrt, freilich in einen Ort namens Steinbach) bei der während der Tour laufenden Fußball-WM die Daumen? Roland Ludwig |
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