T.N.T. / Vanguard

Deflorator/All Night Long


Info
Musikrichtung: Hardrock

VÖ: 13.07.2018

(Karthago / Soulfood)

Gesamtspielzeit: 71:46

Internet:

http://www.karthagorecords.de


Normalerweise lautet die Strategie bei der „Heavy Metal Classics“-Serie des Karthago-Labels, Wiederveröffentlichungen alter Alben mit Bonusmaterial auszustatten und somit die heute mögliche Spielzeit einer CD etwas weiter zu füllen, als das mit dem originalen Albummaterial der Regelfall gewesen war. Bei der vorliegenden CD ist das etwas anders: Sie vereint das Deflorator-Album von T.N.T. und die Single All Night Long von Vanguard, wobei von ersteren genau die neun damaligen Albumsongs enthalten sind, die beiden Singletracks der letzteren aber noch um sechs Bonussongs späterer Demoaufnahmen ergänzt werden und die CD somit auf knapp 72 Minuten Spielzeit kommt. Mag der editorische Purist diese Vorgehensweise auch seltsam finden und klagen, unter welchem Buchstaben er diese Scheibe denn nun in seine Sammlung einreihen soll (er könnte natürlich auch gleich drei der 500 Exemplare kaufen und eins bei T wie T.N.T., eins bei V wie Vanguard und das dritte nochmal bei V, jetzt aber wie Various Artists oder, wenn er lieber das Kürzel ansetzt, V.A. einsortieren) – der „normale“ Freund des deutschen Achtziger-Hardrocks wird es begrüßen, hier mehr oder weniger gleich das Gesamtwerk von zwei Bands auf einer CD erwerben zu können.

T.N.T. eröffnen die CD, wobei es sich natürlich nicht um die Norweger handelt, an die man im hardrockenden Kontext bei diesem Bandnamen als erstes denkt. Aber selbst im deutschen Maßstab gab es in den Achtzigern zwei Bands dieses Namens, wobei die aus dem Siegerland sich alsbald erst in Breaker und dann, als sie feststellten, dass es auch eine Formation dieses Namens schon gab, in Accu§er umbenannten, unter welchletzterem Namen sie dann recht bekannt wurden und noch heute (wieder) existieren. Diejenigen T.N.T., um die es hier geht, stammten hingegen aus Fulda, waren nur zwei Jahre lang aktiv, und das 1984 auf SL Records, einem Gama-Unterlabel, erschienene Deflorator-Album blieb ihr einziges Tonzeugnis, wobei als Special Guest hier Hermann Frank, weiland Opt-in-opt-out-Mitglied bei Accept, an der Gitarre Erwähnung findet, obwohl T.N.T. planmäßig zwei Bediener dieses Instruments in der Band hatten. Die eher knappen Liner Notes im Booklet lösen dieses Rätsel nicht, zumal das Backcover der LP leider so übel reproduziert wurde, dass man nur mit allergrößter Mühe was darauf lesen kann. Fest steht, dass zwei der fünf Musiker noch in anderen Kontexten arbeiteten: Drummer Jürgen Fechter gehörte später zu einer der letzten Achtziger-Besetzungen von Viva, ist allerdings auf keinem ihrer Alben zu hören und hat außerdem schon in den Mittsiebzigern mal kurz bei den Scorpions gespielt, nämlich in der Phase zwischen Jürgen Rosenthal und Rudy Lenners, aber auch dort ist er auf keiner Tonkonserve verewigt. Diesbezüglich eindeutiger dokumentiert ist die andere Personalie: Gitarrist Jörg Hargesheimer spielte nach T.N.T. bei Vice, die mit Made For Pleasure und Second Excess zwei Alben vorlegten, von denen speziell letzteres hochgradig interessant war, während ersteres als bisweilen etwas verkrampfter Versuch, als süddeutsche Band US-Haarsprayrock zu spielen, durchging (aber mit dem Refrain des Titeltracks auch Jahrzehnte später noch im Hirn des Rezensenten festhängt). Von den anderen drei Musikern kann zumindest der Rezensent spontan keine weiteren Betätigungsfelder lokalisieren. Fest steht allerdings, dass der offenbar von AC/DC inspirierte Bandname im Gitarrensound doch die eine oder andere Spur hinterlassen hat (höre etwa „Golden Gate“) und T.N.T. schon 1984 trotz einer speedigen Nummer wie dem B-Seiten-Opener „Nightmare“ weit davon entfernt waren, im Wettkampf der Härtesten und Schnellsten mithalten zu können. Das wollten sie offenbar auch gar nicht, obwohl man anhand des blutigen Covers durchaus in diese Richtung hätte denken können. Zum Rezensionszeitpunkt behauptet die Encyclopedia Metallum übrigens, das Album sei aufgrund des Covers auf dem Index gelandet, wozu die Liner Notes keine Aussage machen – aber wenn das stimmen sollte (und diverse weitere Netzfundstellen bestätigen das – die Indizierung wurde demzufolge 2010 nach 25 Jahren nicht verlängert), wäre es natürlich ein weiterer Grund, wieso aus T.N.T. nie etwas Größeres geworden ist, denn zur „verbotenen Kultband“ taugten sie in Zeiten, wo Venom schon drei Alben draußen und die Debüts von Metallica und Slayer mächtig Staub aufgewirbelt hatten, auch ganz und gar nicht, selbst im beschaulichen Fulda wohl eher nicht. Wir hören hier vielmehr gediegenen Hardrock an der Grenze zum Melodic Metal (oder umgekehrt), der zweifellos gut gemacht ist, aber keine Bäume auszureißen in der Lage ist, zumal Sänger Martin Busch zwar kein Schlechter seines Fachs ist, aber gerade im erwähnten Speedie „Nightmare“ hörbar zu kämpfen hat, wie er seinen vorwärtspreschenden Kollegen etwas Adäquates liefern soll, während er etwa in „Golden Gate“ durchaus unter Beweis stellt, dass er eine klare Melodielinie in halbhohen Gefilden halten kann, wenn es drauf ankommt, wohingegen er im anderen Speedie „Friday Is Payday“ mit seinem erzählenden Gestus abermals etwas bemüht wirkt. Im Titeltrack hingegen hören wir eine Art gepreßtes Flüstern, das erstaunlich gut in diese schleppende Nummer paßt, die ein wenig an „China White“ der Scorpions erinnert (zwei Jahre zuvor auf dem Blackout-Album erschienen, also ist eine Einflußlinie durchaus nicht ausgeschlossen). Und die balladeske Einleitung von „Far Away“ (das ist natürlich kein Scorpions-Cover) geht auch ganz ansprechend aus der Kehle, wobei die Leadgitarre bei allem Einfühlungsvermögen durchaus hier und da ein paar Centwerte neben der Ideallinie agiert. Das songwriterische Highlight hingegen ist das ebenfalls als Ballade anhebende und im zweiten Teil an Härte gewinnende „Morning Light“, das in seiner Kombination durchaus Geschick verrät, wenngleich natürlich auch hier zu den Großen der Szene ein markanter Abstand bleibt, was in übertragenem Sinne für das ganze Album gilt. Scorpions-Anhänger könnten durchaus trotzdem Gefallen daran finden. Kuriosum am Rande: Als Produzenten des in Kirchheim/Teck aufgenommenen Albums fungierten ein gewisser A. Hargesheimer (sicherlich mit Connections zu Gitarrist Jörg) und ein gewisser G. Jauch ...

Vanguard aus Baden-Württemberg machten 1985/86 beim Top-of-the-Pops-Wettbewerb in der Schweiz mit, gewannen die Aufnahme eines Songs in einem der CBS gehörenden Tonstudio in Luzern und bekamen von CBS auch einen Plattenvertrag angeboten, den sie aber ablehnten. Statt dessen brachten sie in Eigenregie die Single All Night Long heraus, die A-Seite der in Luzern eingespielte Song, die B-Seite das im rb-Tonstudio Haslach aufgenommene „We Rock“ – gesponsert wurde die Veröffentlichung übrigens u.a. von der Pilsstube Kanönle in Hornberg, der Heimatstadt der Band (genau, die mit dem sprichwörtlichen Hornberger Schießen, und zum Schießen ist natürlich auch der Name des Sponsors). Allerdings schaffte es Vanguard-Chefdenker Rainer Pfundstein über die gesamte Existenzzeit der Band von 1985 bis 1989 nicht, ein halbwegs festes Line-up zusammenzuhalten, und so konnte trotz diverser Demoaufnahmen kein weiterer Karriereschritt getan werden, so dass Pfundstein und zwei weitere Mitglieder der letzten Vanguard-Besetzung letztlich unter dem neuen Namen Big Mama ins Coverrockgeshäft einstiegen, in dem sie auch heute noch aktiv sind.
Zur Zeit der Aufnahmen für die Single hatten Vanguard einen Keyboarder in der Besetzung, und „All Night Long“ geriet zur Halbballade mit typischer gewisser Härtung gegen Ende hin – nicht schlecht gemacht, aber nichts, womit man real größere Chancen hätte haben können: Für die Rocker und Metaller war das zu cheesig, die Scorpions-Balladen-Hausfrauenfans waren höhere Qualitätsstandards gewohnt, und dass der Songtitel ein reichliches halbes Jahrzehnt zuvor schon mal für einen Rainbow-Hit verwendet worden war, dürfte gleichfalls nicht sonderlich hilfreich gewesen sein. Auch die B-Seite war trotz des Titels kein Dio-Cover, bot allerdings flotten Hardrock mit enthusiastischer Instrumentalarbeit, der nun wieder die Scorpions-Balladen-Hausfrauenfans, wenn sie denn anhand der A-Seite der Band doch ein Ohr geliehen haben sollten, nachhaltig verschreckt hätte. So kamen Vanguard über den Status von Lokalhelden letztlich nicht hinaus, und daran änderten auch die gutklassigen, aber keine Bäume ausreißenden sechs späteren Demosongs nichts. Hier ist kein Keyboarder mehr am Start, und die Gitarrenriffs kommen durchaus mit einiger Energie aus den Boxen, was das Kraut unterm Strich aber nicht mehr fettmacht. Das Material bewegt sich in verschiedenen Midtempolagen, wobei in „Fight For Surrender“ und „Pinball Rock“ auffällt, dass unter dem Hauptsolo keine Rhythmusgitarre liegt, so dass Vanguard zu diesem Zeitpunkt möglicherweise nur als Trio unterwegs waren und hier einen Anklang ihres Livesounds hören ließen. In „Dream And Shout“ geht Pfundstein stimmlich bei den titelgebenden Shouts auch mal etwas stärker aus sich heraus, aber solche expressiven Momente bleiben im Schaffen von Vanguard eher selten, und der Sänger kann durchaus Melodien halten und ist auch zu gewissen Nuancierungen in der Lage, gehört im Gesamtbild, wenn man nur die Leistung in den hier konservierten Songs zum Maßstab nimmt, aber nicht zu den ganz Großen seiner Zunft, wobei er indes offensichtlich mehr kann, als er hier zeigt: Big Mama spielen laut den Liner Notes u.a. Material von Maiden, Priest, AC/DC und Manowar, und dessen gesanglichen Anforderungen muß man erstmal gerecht werden können. Von der Stimmfärbung her hätte Pfundstein in den Achtzigern allerdings am ehesten in eine Epic-Metal-Band gepaßt – davon wiederum waren Vanguard weit entfernt, wobei etwa das schöne Gitarrenlick von „Stone Wall“ auch so manche andere Band mit Kußhand übernommen hätte. Letztlich kamen auch Vanguard nicht über ein solides Level hinaus und ergänzen sich in diesem Punkt prächtig mit T.N.T. – keine der Bands überstrahlt die andere, und so kann der Freund deutschen Achtziger-Hardrocks die CD problemlos am Stück durchhören.



Roland Ludwig



Trackliste
1T.N.T.: Back Home3:37
2T.N.T.: Rock 'N Roll Lover3:49
3T.N.T.: Morning Light5:26
4T.N.T.: Deflorator5:42
5T.N.T.: Nightmare2:41
6T.N.T.: Born To Loose3:42
7T.N.T.: Golden Gate5:03
8T.N.T.: Friday Is Payday2:25
9T.N.T.: Far Away4:35
10Vanguard: All Night Long3:42
11Vanguard: We Rock3:31
12Vanguard: Diana4:10
13Vanguard: Dream And Shout3:53
14Vanguard: Fight For Surrender5:36
15Vanguard: Pinball Rock4:48
16Vanguard: Stone Wall4:16
17Vanguard: The Wolf4:39
Besetzung

T.N.T.:
Martin Busch (Voc)
Diethelm Baumann (Git)
Jörg Hargesheimer (Git)
Dieter Schön (B)
Jürgen Fechter (Dr)

Vanguard:
Rainer Pfundstein (Voc, Git)
Wechselnde Mitmusiker



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