Arch Enemy

Covered In Blood


Info
Musikrichtung: Melodic Death Metal

VÖ: 18.01.2019

(Century Media / Sony)

Gesamtspielzeit: 71:00

Internet:

http://www.archenemy.net
http://www.centurymedia.de


„Extensive Compilation featuring all cover songs the band has ever recorded“ liest man auf dem Sticker, der auf der Einschweißfolie aufgeklebt ist. Das sind 24 Stück, wenn diese Angabe der Wahrheit entspricht, und man schaut erstmal leicht überrascht: Ja, die passen wirklich auf eine CD, und selbige ist mit 71 Minuten noch nicht mal bis ganz zum Rand gefüllt. Gut, eine Band mit Faible für überlange Epen waren Arch Enemy auch in ihrem eigenen Songwriting noch nie, und so verwundert es zumindest in der Theorie zunächst nicht, dass auch bei der Herangehensweise an Coverversionen erstmal Kompaktheit Trumpf bleibt. Dass es in der Praxis noch einen anderen, gewichtigeren Grund gibt, dass der Längendurchschnitt der 24 Songs unter drei Minuten liegt, dazu später mehr.
Angeordnet sind die Stücke weitgehend reziprok chronologisch, so dass wir drei große Blöcke vor uns haben, die den jeweiligen Sänger-Ären (oder –Äras? Lateinkundige nach vorn!) entsprechen, also zunächst die Songs mit der derzeitigen Mikrofoninhaberin Alissa White-Gluz, dann diejenigen mit ihrer Vorgängerin Angela Gossow und schließlich die mit Ur-Sänger Johan Liiva. Manch einer mag beim Wechsel von Gossow auf White-Gluz gehofft haben, Chefdenker und Gitarrist Michael Amott würde diese Gelegenheit nutzen, um auch in den Gesang etwas mehr von der Vielfalt einzubringen, von der die instrumentale Komponente des Songwritings nur so sprüht (man wußte aus White-Gluz‘ Vergangenheit, dass die auch bei Kamelot oder Nightwish am Mikrofon zu finden gewesene Sängerin diesbezüglich eine ganze Menge draufhat), aber das War Eternal-Album hatte gezeigt, dass dem nicht so war und sie sich weiterhin auf aggressives Shouten zu beschränken hatte – wer im Gegensatz zum Rezensenten auch das Folgewerk Will To Power besitzt, kann ergründen, ob sich dort etwas an der Situation geändert hat oder nicht, aber zu vermuten steht es eher nicht. Was sich Arch Enemy für Möglichkeiten böten, nutzten sie die Chance, auch in die Vocals mehr Vielfalt einzubringen, zeigt auf dieser CD „Back To Back“: In der Pretty-Maids-Nummer wird der Bridge ein hohes, energisches und melodisches Shouten als Backingvokalstruktur hinzugefügt, welches das typische tiefere, auf einem Ton verbleibende Shouten teilweise überlagert und die Qualität so deutlich heraufsetzt, dass man sich verzweifelt „Warum erst jetzt, und warum nicht mehr davon?“ fragt – unter den 24 Songs dieser CD passiert das nämlich nur an dieser Stelle, sonst nirgends. Gut, es gibt im White-Gluz-Block eine große Subeinheit, wo das stilistisch auch gar nicht hingepaßt hätte. Gleich sechs ihrer elf Nummern stammen nämlich von der Råpunk-EP, die als Bonus zum Will Of Power-Album diente und auf der Arch Enemy uralten schwedischen Hardcore-Punk herunterknüppeln – Moderat Likvidation, Anti-Cimex und vier Nummern der Skitslickers, nämlich die komplette GBG 82-EP, der einzige Release besagter Truppe. Das scheint der Band viel Spaß gemacht zu haben, geht einflußtechnisch allerdings schon auf die Gossow-Ära zurück, als „Warning“ von Discharge als Bonustrack des Khaos Legions-Albums diente und den metallischen Feingeistern den Weg in einen ausgesprochen urwüchsigen Sound zeigte, wenngleich sie in Anti-Cimex‘ „When The Innocent Die“ auch ein wenig frenetischere Gitarrenarbeit einschmuggeln. Aber eine größere Gesangsvielfalt hätte hier nur als konsequent durchgehaltenes Konzept oder aber als Gag funktioniert, und beides wollten Arch Enemy offensichtlich nicht. Als weitere Nummer aus diesem Sektor kommt der GBH-Klassiker „City Baby Attacked By Rats“ zum Zuge, und somit blieben für White-Gluz nur vier Songs übrig, wo sie mit mehr Gesangsvielfalt hätte punkten können – bei „Back To Back“ tut sie’s (falls sie es denn ist, die diese zweite Stimme beisteuert – das Booklet vermerkt dazu nichts) und in den anderen drei eben nicht, wobei „Breaking The Law“ (eigentlich so ein Track, den man nicht covert) als Death-Metal-Fassung allerdings überraschend gut funktioniert, „Shout“ von Tears For Fears auch und nur Mike Oldfields „Shadow On The Wall“ irgendwie nicht wie zu Ende gedacht wirkt. Zu Ende denken können wir hier dafür einen anderen Aspekt: Die Hardcore-Punk-Nummern glänzen allesamt durch Kürze und Kompaktheit, und somit sind es maßgeblich sie, die den Gesamtdurchschnitt der Spielzeit pro Song drücken, vor allem die vier der Skitslickers, von denen es gerade mal eine über die Minutengrenze schafft und auch die nur knapp.
Die Gossow-Ära umfaßt neun Songs, wobei stark auffällt, dass Arch Enemy hier sehr periodenbezogen an Coverversionen gearbeitet haben, es aber auch Zeiten gab, wo sie so etwas gar nicht taten, sofern denn die Aussage, hier seien alle Coverversionen der Bandgeschichte vertreten, stimmt. In der Doomsday Machine-Ära wäre also kein Cover zu verzeichnen, während Rise Of The Tyrant einer Präzisierung der Definition bedarf, denn hier covern Arch Enemy bekanntlich sich selbst, spielten also altes Material der Liiva-Ära mit Gossow neu ein. Dieses Material fehlt hier, abgesehen von vier „echten“ Coverversionen, die als Japan-Bonustracks dieses Albums dienten, nämlich Queensrÿches „Walk In The Shadows“, wo Drummer Daniel Erlandsson sogar den etwas sterilen Touch des Originals reproduziert, „The Zoo“ von den Scorpions, in das Amott mal eben ein an Black Sabbaths „Children Of The Grave“ erinnerndes Riff einschmuggelt, „The Oath“ von Kiss mit einer interessanten Verharrung und so ungewöhnlich klingend, dass man das Original schon sehr gut kennen muß, um die Version hier blind zu identifizieren (und da der Song vom sowieso eher obskuren The Elder-Album stammt, dürften das gar nicht so viele Personen sein), und schließlich „Wings Of Tomorrow“ von Europe, wo der Kenner zumindest den Refraintext heranziehen kann. Gleich drei Gossow-Covers standen auf der Dead Eyes See No Future-EP, nämlich Megadeths „Symphony Of Destruction“, Manowars „Kill With Power“ mit interessanter Baßarbeit und eine Art weiteres Eigencover, nämlich „Incarnated Solvent Abuse“ von Carcass aus der Zeit, als Amott dort Mitglied war – ein Song, der von ihm auch mitkomponiert wurde. Bei Coverversionen kann man ja zwei Grundstrategien fahren, nämlich nahe am Original zu bleiben zu versuchen oder aber den Song weitestgehend an den der Eigenkompositionen anzugleichen. Arch Enemy entscheiden sich klar und deutlich für den zweiten Weg, und würde man die Originale nicht kennen, so wäre es nicht weiter verwunderlich, hielte man den einen oder anderen Song für eine Eigenkomposition aus dem Hause Amott. Mit Ausnahme der Carcass-Nummer haben sich die Schweden allerdings auch stets für Originale entschieden, die von ihrem typischen Bandsound ein gutes Stück entfernt lagern, so dass die besagte Strategie einen gewissen Logikfaktor besitzt.
Das trifft grundsätzlich auch auf die vier abschließenden Songs zu, die der Ära mit Johan Liiva als Sänger entstammen, der mit einer deutlich tieferen Stimme zu Werke geht und vorher bei Furbowl aktiv war, die zwar ebenfalls Einflüsse aus dem klassischen Metal verarbeiteten, in der Gesamtbetrachtung aber noch klarer im traditionellen Death Metal wurzelten. Amotts Neigung zum klassischen Metal ist in der Bandfrühphase noch so stark ausgeprägt, dass alle vier Originale aus diesem Sektor stammen, wobei gleich zweimal Iron Maiden herhalten müssen, nämlich mit „Aces High“ und dem das Album abschließenden, einst im letzten Jahrtausend als Japan-Bonustrack des Debütalbums Black Earth gedient habenden „The Ides Of March“, das auch in der Arch-Enemy-Fassung instrumental geblieben ist. Bei Judas Priests „Starbreaker“ muß der Rezensent – kein Priest-Experte, sondern nur „für den Hausgebrauch“ ein paar ihrer Releases besitzend – erstmal nachschauen, auf welchem Album das im Original stand; das Ergebnis lautet Sin After Sin von 1977. Bleibt „Scream Of Anger“, also gleich noch ein zweiter Track von Europes Wings Of Tomorrow-Album und noch so eine Nummer, die man nur als genauer Kenner des Originals auf Anhieb identifizieren kann. Die beschriebene Herangehensweise muß man mögen, und man darf sich nicht über die ungenutzte Chance der Gesangsvielfalterhöhung ärgern – andernfalls gelingt es vermutlich nicht, Covered In Blood zu schätzen. Und mit dem typischen Stil der Schweden samt ihrer kanadischen Sängerin muß man natürlich auch klarkommen. Der zuständige Soundmann hat beim behutsamen Anpassen der Soundgewänder und Pegel gute Arbeit geleistet, und das Booklet enthält Liner Notes von Amott zu jedem Song, geizt aber dafür mit konkreten Besetzungsangaben. Zum Nebenbeihören ist die Scheibe ungeeignet, hat sich hier im Selbstversuch herausgestellt – Feinheiten und Analyse verlangen Aufmerksamkeit, ansonsten rauscht das Material durch, was bei den Hardcore-Punk-Stücken kein großes Problem darstellt (hier soll sowieso Energie dominieren), bei den metallischen Originalen aber schon.



Roland Ludwig



Trackliste
1Shout (Tears For Fears cover)4:45
2 Back To Back (Pretty Maids cover)3:21
3 Shadow On The Wall (Mike Oldfield cover)3:03
4 Breaking The Law (Judas Priest cover)2:20
5 Nitad (Moderat Likvidation cover)1:06
6 When The Innocent Die (Anti Cimex cover)1:57
7 Warsystem (Skitslickers cover)0:54
8 Armed Revolution (Skitslickers cover)0:51
9 Spräckta Snutskallar (Skitslickers cover)0:51
10 The Leader (Of The Fuckin' Assholes) (Skitslickers cover)1:02
11 City Baby Attacked By Rats (GBH cover)2:48
12 Warning (Discharge cover)2:44
13 The Zoo (Scorpions cover)4:42
14 Wings Of Tomorrow (Europe cover)3:15
15 The Oath (KISS cover)4:14
16 The Book Of Heavy Metal (Dream Evil cover)4:16
17 Walk In The Shadows (Queensrÿche cover)3:06
18 Incarnated Solvent Abuse (Carcass cover)4:35
19 Kill With Power (Manowar cover)3:30
20 Symphony Of Destruction (Megadeth cover)4:02
21 Aces High (Iron Maiden cover)4:24
22 Scream Of Anger (Europe cover)3:46
23 Starbreaker (Judas Priest cover)3:23
24 The Ides Of March (Iron Maiden cover)1:44
Besetzung

Michael Amott (Git)
Daniel Erlandsson (Dr)
Wechselnde weitere Instrumentalisten und Sänger



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