Riot
Fire Down Under
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Anno 2016 begannen Metal Blade Records anläslich des 40jährigen Bandjubiläums von Riot mit einer Re-Release-Serie von deren Komplettwerk – ein weiser Entschluss, gehörten die New Yorker doch zu den unterbewertetsten Bands der Metalgeschichte, obwohl sie in stilistischer Hinsicht durchaus ein Stück von derselben mitgeprägt haben, wie der Interessent in den ersten Reviews dieser Serie, die noch für www.crossover-netzwerk.de entstanden, nachlesen kann, wenn es um die beiden ersten Studiowerke Rock City und Narita geht: Mark Reale und seine häufig wechselnden Mitstreiter spielten in einzelnen Songs bereits melodischen Speed Metal, als an diese Genrebezeichnung überhaupt noch nicht zu denken war – sie kamen zwar aus dem Siebziger-Hardrock, pflanzten das Stilmittel der doppelläufigen Leadgitarren, wie sie Thin Lizzy oder vor allem Wishbone Ash pflegten, aber erfolgreich in einen dynamischeren Sound ein, der auf den beiden besagten Alben in einigen frühen Genreklassikern mündete, unter denen das furiose instrumentale Titelstück der Narita-Scheibe sicherlich besonders hervorsticht. Für dieses Album tourten Riot ausgiebig als Support von Sammy Hagar, zwei Gigs in England wurden mitgeschnitten und ergaben ein Jahrzehnt später ein Livealbum unter dem schlichten Titel Riot Live – nur im Businessbereich lief es alles andere als rund für die Band: Capitol Records wollten das Drittwerk Fire Down Under nicht veröffentlichen, da sie das Material als zu hart empfanden und kein kommerzielles Potential darin sahen. Nach mancherlei strukturellen Irrungen und Wirrungen (und einer Frühform des Flashmobs, als das Riot-Management die Fans mobilisierte, vor dem Plattenfirmengebäude zu demonstrieren, und eine Aufkleberaktion durchführte – zu Zeiten, als solche Maßnahmen noch richtig aufwendig zu organisieren waren und nicht mal eben per Facebookgruppe oder WhatsApp-Nachricht angestoßen werden konnten) kam die Platte 1981 doch noch heraus – allerdings nicht bei Capitol, sondern bei Elektra. Alles schien gut zu werden für Riot, die Scheibe erntete damals frenetische Resonanzen und gilt allgemein bis heute als Klassiker. Tatsächlich wurde nichts gut – der noch weiter an Souveränität gewonnen habende Sänger Guy Speranza verließ aufgrund der businesstechnischen Unwägbarkeiten die Band, womit nicht nur ein starker Sänger, sondern auch ein wichtiger Co-Songwriter Mark Reales verlorenging. Was dann passierte, dazu mehr im Review zur Folgescheibe Restless Breed.
Natürlich gehört auch Fire Down Under zur eingangs erwähnten Re-Release-Serie von Metal Blade, die gestalterisch einheitlich aufgemacht worden ist: dünne Digipacks mit Posterbooklets, deren eine Seite historische Fotos und Dokumente zeigt, während sich auf der anderen Seite die Lyrics und weitere strukturelle Informationen befinden. Verwendet wurde allerdings weder die Originalaufnahme noch der zwischenzeitliche Neumix, den die 1997er Pressung von High Vaultage Records enthielt, sondern ein aktuelles Remastering, das von Patrick W. Engel anno 2016 angefertigt wurde – der Mann versteht sein Handwerk und besitzt zudem Einfühlungsvermögen in historische Aufnahmen, so daß auch hier ein überzeugendes Ergebnis entstanden ist, das beispielsweise einen viel räumlicheren Eindruck vermittelt als die 1997er Variante. Das Problem liegt freilich woanders: Wie bereits erwähnt gilt die Scheibe heute als Klassiker - ein Status, der wohl im wesentlichen auf das Urteil von Menschen zurückgeht, die damals dabei waren, als Riot mitten in die Metalexplosion der Frühachtziger platzten, für die sie selber auf den ersten beiden Scheiben markante Vorarbeit geleistet hatten. Aber im Zuge der Businessquerelen hatten sie wertvolle Zeit verloren – die Protagonisten der ersten NWoBHM-Welle, allen voran Iron Maiden und Saxon, hatten die New Yorker quasi aus dem Stand überholt und abgehängt, und als Fire Down Under dann letztlich doch noch herauskam, da schaffte es den Anschluss an die Spitzengruppe, zu der mittlerweile auch Acts wie Accept und Raven zählten, nur noch mit großer Mühe: Das Werk klingt nach 1980, nicht nach 1981. Riot hatten ihren Stil der beiden Siebziger-Alben zwar weiter in Richtung dessen verschoben, was kennzeichnend für den Achtziger-Metal werden sollte, erschraken aber vor ihrer eigenen Courage, und verunsichert durch die erwähnten Probleme mit Capitol Records wurde Fire Down Under bei nüchterner Betrachtung längst nicht der große Donnerschlag, als den ihn in verklärender Rückschau die damals dabei Gewesenen heute zu titulieren pflegen. Markantes Beispiel: Riot hatten die begeisternde Hochgeschwindigkeit nur mühsam in die zehn letztlich auf der LP gelandeten Songs herübergerettet, nämlich in „Don’t Bring Me Down“, „Run For Your Life“ und den Titeltrack, welchletzterer ein großer Klassiker hätte werden können, würde er nicht nach dem die Furiosität wenigstens andeutenden Hauptsolo einfach unambitioniert enden. Auch die beiden anderen Songs sind nicht schlecht, aber der letzte mitreißende Kick fehlt ihnen irgendwie, und so wurden der Opener „Swords & Tequila“ und das auch als Single ausgekoppelte „Outlaw“ die bekanntesten Nummern der Scheibe, beide aber „nur“ im treibenden Midtempo gehalten und live vermutlich recht wirkungsvoll, aber in der Konservenfassung eben auch ohne den letzten zündenden Faktor („Swords & Tequila“ macht von den beiden mehr Laune und stellt in der Gesamtbetrachtung den stärksten Song der Scheibe dar), ebenso wie „Altar Of The King“, das nach einer gefühlvollen, eine geniale Ballade vermuten lassenden Einleitung gleichfalls „nur“ gutklassigen melodischen Metal bietet. Was Riot bei all den Problemen völlig vergessen hatten, war, einen adäquaten Nachfolger für den „Narita“-Titeltrack zu schreiben, und dessen unglaubliche Leichtigkeit in der Gitarrenarbeit kann keiner, wirklich keiner der Fire Down Under-Tracks reproduzieren, auch nicht der Titeltrack, der diesbezüglich noch am höchsten zu punkten weiß. Dazu kommt die völlig überflüssige Collage „Flashbacks“ am Ende der Scheibe, die als Hommage an den einflußreichen Londoner DJ Neal Kay gedacht war, der im Re-Release-Digi Neil Kay geschrieben wird. Anhörbarer macht dieser Hintergrund den Zusammenschnitt verschiedener Liveszenen, wohl auf der 1980er Tour aufgenommen, aber auch nicht.
Damit wir uns nicht falsch verstehen: Fire Down Under bietet auch aus aktueller Sicht gutklassigen melodischen Metal, der große Teile der beiden Vorgänger und auch gute Teile der seinerzeitigen Konkurrenz immer noch abzuhängen imstande ist – es enthält aus heutiger Hörerperspektive aber nichts, was seinen Klassikerstatus rechtfertigen würde, und bei genauer Analyse ist selbst der ihm zugeschriebene umwerfende Status des Jahres 1981 vor dem Hintergrund der Szeneentwicklung zu hinterfragen. Noch deutlicher wird die Problemlage, wenn man die diversen Bonustracks der Re-Releases hinzunimmt. Erstmal gibt es da die strukturelle Unklarheit, daß es sich angeblich um Bestandteile der von Capitol abgelehnten Aufnahmen handelt – das Posterbooklet nennt für „Misty Morning Rain“ und „You’re All I Needed Tonight“ aber ein späteres Aufnahmedatum als für die zehn Hauptsongs. Irgendwas stimmt da also grundsätzlich nicht, und die Songs sind zudem noch deutlich rückwärtsgewandter, mehr Rainbow als Saxon, wenngleich natürlich kompositorisch wie technisch nicht von schlechten Eltern. Für „Struck By Lightning“, „One Step Closer“ und das eher skizzenhafte „Hot Life“, die diversen anderen Re-Releases beigegeben waren, gilt sinngemäß Analoges. Auch wenn es vermutlich keiner der damals Dabeigewesenen wahrhaben wollen wird: Entscheidenden Boden und den Pionierstatus haben Riot nicht erst mit Restless Breed, sondern schon mit Fire Down Under verloren – anhörenswert ist die Scheibe natürlich trotzdem auch heute noch, wenn man ihr das Schicksal erspart, sie mit unangemessenen Maßstäben zu messen. „Halsbrecherische Geschwindigkeit, verbunden mit gnadenloser Härte und einem Höchstmaß an Melodie, getoppt durch einen Gesang von einem anderen Stern“ will etwa Ralf Hartmann auf der Scheibe gehört haben (nachzulesen im Lexikon „US Metal Vol. 1“ aus dem Hause Iron Pages. Das mit dem Gesang stimmt – Guy Speranza war ein wahrer Könner. Das Höchstmaß an Melodie aber wäre schon diskussionswürdig, und die beiden erstgenannten Aspekte lassen sich wie beschrieben auch bei wohlwollendstem Hören nicht in diesem Ausmaß nachvollziehen. Die oft geäußerte Behauptung, hier läge das erste Speed-Metal-Album vor (die offenbar einer vom anderen abschreibt, ohne die Platte überhaupt mal zu hören), muß klar ins Reich der Legende verwiesen werden. Das zwar markante, allerdings abermals recht verunglückte Frontcover sei abschließend auch noch erwähnt.
Roland Ludwig
Trackliste |
1 | Swords & Tequila | 3:15 |
2 |
Fire Down Under | 2:34 |
3 |
Feel The Same | 4:30 |
4 |
Outlaw | 4:50 |
5 |
Don’t Bring Me Down | 2:57 |
6 |
Don’t Hold Back | 3:15 |
7 |
Altar Of The King | 4:46 |
8 |
No Lies | 4:10 |
9 |
Run For Your Life | 3:16 |
10 |
Flashbacks | 4:02 |
11 |
Misty Morning Rain | 3:08 |
12 |
You’re All I Needed Tonight | 2:58 |
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Besetzung |
Guy Speranza (Voc)
Mark Reale (Git)
Rick Ventura (Git)
Kip Lemming (B)
Sandy Slavin (Dr)
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