Musik an sich


Reviews
The Rolling Stones

Havana Moon (DVD & 2-CD)


Info
Musikrichtung: Rock / Rhythm’n’Blues

VÖ: 11.11.2016

(Eagle / Universal)

Gesamtspielzeit: 119:25

Internet:

http://www.rollingstones.com


„Die Rolling Stones! - Und Kuba! - Das ist unglaublich“ Das war nicht plakativ gemeint. Es wirkte eher wie ein Selbstgespräch, das Keith Richards auf offener Bühne führte, als er sich mitten im Konzert vergegenwärtigte, was an diesem 25. März 2016 in eben diesen Minuten in Havanna über die Bühne ging. Jahrzehnte lang hatte die kubanische Führung mit Argusaugen darüber gewacht, dass die dekadente, materialistische Kultur des Westens keinen Zugang zum Land findet. Und nun lies der revolutionäre Inselstaat eines der Aushängeschilde eben dieser Kultur mit einem kostenlosen Open Air Konzert in seiner Hauptstadt auftreten.

Nachdem nun auch noch der Revolutionsführer Fidel Castro gestorben ist, kann es durchaus sein, dass dieses Konzert im Rückblick einmal als die große Zäsur in der Geschichte Kubas gesehen wird.

Aufgrund fehlender Logistik gibt es keine belastbaren Aussagen darüber, wie groß die Menge war, die sich vor der Hightech-Bühne eingefunden hat. Sechsstellig ist die Anzahl der Zuschauer mit Sicherheit gewesen. Im Booklet und auf der Rückseite des Digipacks werden sogar 1,2 Millionen vermutet. Aber die Liner Notes sind mit Vorsicht zu genießen. Wohl um die besondere Situation der zwei Welten, die dort zu einander fanden, zu verdeutlichen, heißt es dort: „Das vorwiegend junge kubanische Publikum mag die Texte und die Namen der Stücke nicht gekannt haben, aber es machte seinen Mangel an Wissen durch einen überwältigenden Enthusiasmus wett.“

Wer sich die DVD ansieht, merkt sofort, dass von einer Unkenntnis der Stücke und Texte nicht die Rede sein kann. Man höre sich nur den frenetischen Jubel an, mit dem „Paint it Black“ bereits nach den ersten Tönen begrüßt wird. Und die mitsingenden Chöre setzen immer wieder gleich ein – und nicht erst quasi nach einer „Lernphase“ von zwei oder drei Durchgängen des Refrains. Havanna wusste genau, wen es an diesem Abend begrüßte.

Es dürfte typisch für die Besprechung dieser CD/DVD sein, dass erst einmal ausführlich über den Anlass gesprochen wird, bevor man zu der Musik kommt. Aber die lohnt sich allemal – in diesem Fall insbesondere in der DVD-Version. Die ist zwar 20 Minuten länger, als die CD, enthält aber im Prinzip dasselbe Material. Die längere Dauer ergibt sich daraus, dass die Vorstellung des Line ups für die CD herausgeschnitten wurde, es zwei kommentierende Doku-Teile vor dem Konzert und vor der Zugabe gibt und das Publikum nach Ende der Show noch ein paar Minuten beobachtet wird, während die Credits durchlaufen.

Allerdings liefert die DVD das Konzert nicht komplett in seinem realen Ablauf. Aus dem CD-Programm sind fünf Stück herausgeschnitten, die auf der DVD separat als Bonustracks gezeigt werden. Wahrscheinlich wollte man die Konzert(-Doku) so in ein sendefähiges 50-Minuten-Format bringen.

Was auf der CD ein solider, gut produzierter, fast nur aus Klassikern bestehender Live-Mitschnitt ist, wird auf der DVD zu einem faszinierenden Spektakel, bei dem die Band, in der Ron Wood mit 68 Jahren der Benjamin ist, mit einer unglaublich jugendlichen Fröhlichkeit über die Bühne toben. Insbesondere Mick Jagger (72) ist permanent in Bewegung, rennt von einem Ende der Bühne zum anderen oder auf dem Steg entlang, der ihn mitten ins Publikum führt und peitscht die Menge förmlich auf. Und wenn er mit Background-Sängerin Sasha Allen auf der Bühne einen Kopulationsakt aufführt, wirkt das absolut nicht nach einem peinlichen Lustgreis.

Einige ausgewählte Highlights sind die tolle Atmosphäre im epischen Soloteil von „Out of Control“, das Songwriter-artige „You got the Silver“, bei dem Keith Richards den Gesang übernimmt, ein an Bob Marley und die Wailers erinnernder Wechselgesang bei „Midnight Rambler“, das hier in einer 15-Minuten Version erscheint, das jazzige Solo in dem groovenden „Miss you“ und der überraschende percussive Beginn, der „Sympathy for the Devil“ erst nach einiger Zeit erkennbar macht.

Kritikpunkte? Eigentlich nur zwei. Zum einen das Herausschneiden der Bonus-Tracks, der sie aus dem Konzertfluss herausnimmt. Bei dem Etat, der einer Band, wie den Stones zur Verfügung steht, hätte es drin sein müssen, neben der TV-tauglichen 50-Minuten Version auch eine Vollversion für die DVD zu produzieren.

Zum anderen hätte ich bei den Blicken ins Publikum, die bei diesem besonderen Konzert natürlich auch einen besonderen Reiz hatten, gerne mehr Zeit gehabt. In der Regel folgen die Schnitte bei diesen Szenen so schnell aufeinander, dass das Bild schon wieder gewechselt hat, bevor man richtig realisieren kann, was man eigentlich sieht.



Norbert von Fransecky



Trackliste
CD 1
1 Jumpin' Jack Flash (4:46)
2 It's only Rock'n'Roll (but I like it) (4:35)
3 Tumbling Dice (5:03)
4 Out of Control (7:14)
5 All down the Line (5:22)
6 Angie (3:30)
7 Paint it black (5:33)
8 Honky Tonk Woman (4:57)
9 You got the Silver (3:29)
10 Before they make me run (4:02)
11 Midnight Rambler (15:30)

CD 2
1 Miss you (8:20)
2 Gimme Shelter (8:05)
3 Start me up (4:22)
4 Sympathy for the Devil (7:55)
5 Brown Sugar (7:13)
6 You can't always get what you want (8:58)
7 (I can't get no) Satisfaction (10:29)

DVD
1 Einleitung (Doku) (4:53)
2 Jumpin' Jack Flash (4:35)
3 It's only Rock'n'Roll (but I like it) (5:14)
4 Out of Control (7:41)
5 Angie (3:50)
6 Paint it black (5:26)
7 Honky Tonk Woman (5:10)
8 Line up (3:18)
9 You got the Silver (3:43)
10 Midnight Rambler (15:30)
11 Gimme Shelter (8:27)
12 Sympathy for the Devil (7:51)
13 Brown Sugar (6:39)
14 Überleitung (Doku) (3:37)
15 You can't always get what you want (9:03)
16 (I can't get no) Satisfaction (15:00)
17 Tumbling Dice (Bonus Track) (5:04)
18 All down the Line (Bonus Track) (5:22)
19 Before they make me run (Bonus Track) (4:29)
20 Miss you (Bonus Track) (9:00)
21 Start me up (Bonus Track) (4:28)
Besetzung

Mick Jagger (Voc, Git, Mundharmonika)
Keith Richards (Git, Voc)
Charlie Watts (Dr)
Ronnie Wood) (Git)

Gäste:
Darryl Jones (B, Back Voc)
Chuck Leavell (Keys)
Karl Denson (Sax)
Tom Ries (Sax, Keys)
Bernard Fowler (Voc)
Sasha Allen (Voc)

Coro Entrvoces (Chor )



 << 
Zurück zur Review-Übersicht
 >>