Der Pfeifer auf dem endlosen Fluss - Pink Floyd Part 11: A Momentary Lapse Of Reason - Nach dem finalen Schnitt übernimmt David - mit Unterstützung
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A Momentary Lapse of Reason erschien im Spätsommer 1987, genauer am 7. September. Es erschien seinerzeit relativ überraschend. Wenn ich mich recht erinnere, gab es erste Hinweise auf ein neues Pink-Floyd-Album frühestens im Juni oder Juli vorher. Es waren einfach noch andere Zeiten damals.
Von dem großen Streit zwischen Roger Waters und dem Rest von Pink Floyd, in dieser Zeit also David Gilmour und Nick Mason, bekam man verhältnismäßig wenig mit. Natürlich war inzwischen die Information raus, dass Roger Waters die Band offiziell verlassen hatte. In Vor-Internetzeiten war das aber auch schon so ziemlich alles, was man aus den deutschen Musikzeitschriften entnehmen konnte. Möglicherweise hab ich seinerzeit auch etwas verpasst, da ich kein regelmäßiger Abonnent der beiden großen Musikzeitschriften Deutschlands war. Unbestritten bleibt wohl, dass diese Geschichte heut ganz anders ablaufen würde.
Nach seinem starken ersten Soloalbum The Pros and Cons of Hitch-Hiking und seinem ebenso starken Soundtrack zum eindringlichen Atomkrieg Zeichentrick-Drama When the wind blows hatte Roger Waters im Jahr zuvor das sich dem Mainstreampop anbiedernde, konzeptionell wie musikalisch eher schwache Radio KAOS veröffentlicht. Obwohl alle diese Alben für Pink-Floyd-Verhältnisse kommerziell Flops gewesen waren und auch seine Touren zu den Alben nicht ausverkauft waren, hatte er die Tür Richtung Band endgültig zugeworfen.
Auch alle anderen Pink-Floyd-Mitglieder hatten sich solo verwirklicht. Am erfolgreichsten wohl noch David Gilmour mit seinem About Face-Album, welches rückblickend wohl auch das musikalisch interessanteste war. Richard Wright hatte sich mit dem Projekt ZEE an ganz moderner elektronischer Popmusik versucht. Natürlich waren die auf dem frühzeitlichen Fairlight-Computer entwickelten Stücke nicht der neue heiße Scheiß, aber sie waren sehr mutig und bei weitem nicht so schlecht, als dass Mr. Wright sie hätte hinterher am liebsten für immer verstecken wollen. Nick Mason hatte nach seinem spannenden Solodebüt Fiction Spots, wo er zwar nichts für geschrieben hatte, welches sich aber prima im Umfeld zwischen Jazz, Punk und Wave bewegte, der leichten Popmusik mit Rick Fenn zugewandt. Doch wie allen anderen Projekten war auch diesem kein mit Pink Floyd vergleichbarer Erfolg beschieden.
Ob dies nun schlussendlich David Gilmours Entscheidung, als bzw. mit Pink Floyd weiterzumachen vorangetrieben hat, oder ob es tatsächlich nur darum ging, dem Ex-Mitglied Roger Waters für seine tatsächlich mitunter nicht netten Äußerungen über die Ex-Kollegen den Stinkefinger zu zeigen, wird man wohl nie erfahren.
Kommen wir zurück zum Persönlichen. Im September 1987 arbeitete ich im Marktkauf in Herford. Somit hatte ich die Möglichkeit, die neue Scheibe direkt am Tage ihrer Veröffentlichung in der Musikabteilung meiner Arbeitsstelle zu erwerben. Dies ließ ich mir natürlich sogar meine Frühstückspause kosten. Also stand ich, vermutlich so gegen 9:30 Uhr, in der Abteilung und konnte mir mein Exemplar direkt aus dem Lieferkarton von einem Kollegen geben lassen. Mit stolz geschwellter Brust trug ich die Scheibe dann in den Aufenthaltsraum und verschloss sie in meinem Spind - und musste dann quälende acht Stunden warten bis ich sie hören konnte. Wahrscheinlich kann sich der Leser vorstellen, dass ich an diesem Tag öfter mal auf die Toilette musste, nur um mal im Spind nachzuschauen, ob das gute Stück da auch noch liegt. Am Ende war meine Spannung natürlich ins Unermessliche gestiegen, wahrscheinlich habe ich zu Hause auf das Abendbrot verzichtet und mich sofort in mein Zimmer verzogen und den Kopfhörer aufgesetzt.
Und zunächst war ich zwangsläufig begeistert. Die mystische, irgendwie direkt an das Wish you wre here-Album anknüpfende Eröffnung mit “Signs of Life“, das wuchtige, für Floyd überaus poppige "Learning to Fly“. “Dogs of War“ ruft Erinnerungen an Animals und The Wall wach, obgleich es sehr stark nach den 80ern klingt. Das gilt auch für das sehr elektronisch beginnende “One Slip“, welches sich dann zu einem Tempopopsong mit Gilmourgitarre entwickelt. Abgeschlossen wird die erste Seite mit "On the turning away“ einer sehr traurigen, eigentlich bis auf dem majestätischen Gilmour-Solo am Ende akustischen Gitarrenballade. Die erste Seite ging und geht in einem Rutsch durch.
Die zweite Seite eröffnet wieder mit einem sehr elektronisch verziertem Powerpopsong, dem manischen "Yet another movie“. Danach beginnt der sehr experimentelle Teil der Platte mit dem kurzen Instrumental "Round and around“ und dem klaustrophobisch wirkendem Vokoderexperiment "A New Machine part one“. Hier hineingeklinkt folgt dann das wohl floydigste Stück, “Terminal Frost“. Knackige Effekte überlagern eine kalt und molllastige Grundstimmung, über der sich packende Keyboardklänge und Gitarren ein spannendes Duell liefern. Hieran schließt sich mit "A New Machine part 2“ der zweite Teil des Vokoder-Experiments an. Abgeschlossen wird das Album mit dem wuchtigen “Sorrow“, das bereits mit seinem mächtigen E-Gitarreneinstieg aufzeigt, dass hier Pink Floyd am Zuge sind.
Ich kann dem Leser versichern, dass ich dieses Album, damals 1986 im Alter von 19 Jahren, ein paar Wochen rauf und runter gehört habe. Ich kann dem Leser aber auch versichern, dass es relativ zügig nach meinem ersten Liveerlebnis von Pink Floyd in der Dortmunder Westfalenhalle 1987 und nach dem Erscheinen des Livealbums Delicate Sound of thunder im Schrank verschwand und eigentlich nur noch Anfang der 90er bei Erscheinen der Shine On-Box im digitalen Format für einige Zeit als Album öfter gehört wurde.
Doch woran liegt das? Denn eigentlich enthält das Album einige gute Songs und viel Pink-Floyd-Atmosphäre. Live haben eine Menge der Stücke großartig funktioniert. Aber im Grunde hatte das Album eben eine reelle Chance ein Albumklassiker zu werden. Gilmour selbst sagt(e), dass er mit A Momentary Lapse of Reason die Pink Floyd zu Wish you were here-Zeiten wiederbeleben wollte. Dies ist ihm mit einigen Songs auch gelungen. Für den Fan meiner Klasse musste er sich jedoch mit The Wall und The Final Cut messen lassen, und das funktioniert nicht, weil es einfach etwas völlig anderes ist. Wobei wahrscheinlich auch ein Pink-Floyd-Album mit Roger Waters diesen Vergleich verloren hätte, wie dessen Soloalbum zu dieser Zeit aufzeigte.
Abschließend möchte ich die einzelnen Songs noch einmal kurz bewerten.
“Signs of Life“: eine wunderbare, viel zu kurze, instrumentale Soundkollage in bester Floyd-Manier. Hier stimmt alles, wie ein Stück zu Dark Side-Zeiten, eingespielt mit modernsten Mitteln der 80er.
“Learning to Fly“: einer der ungewöhnlichsten, weil poppigsten Stücke im gesamten Pink-Floyd-Katalog. Allerdings passt hier auch irgendwie alles. Wunderbare Komposition, herrliche Gilmour-Gitarren, wuchtige, aber nicht überbordende Keyboards und vor allem grandiose Drums und Parkussionen. Allerdings haftet dem Track, wie dem ganzen Album, inzwischen der doch eher schlechte Sound der 80er an.
“Dogs of War“: Ein sehr wütendes und sehr elektronisches Stück. Harte Gitarrenriffs, wütender Gesang. Mitunter scheitert Gilmour hier auch an den hohen Gesangspassagen. Ich denke, an sich eine eher schwache Komposition, mit der Bob Ezrin viel Produktionsarbeit hatte.
“One Slip“: Der elektronische Einstieg erinnert an den Anfang von "Time" oder ein ein Stück wie “Any Colour you like“. Allerdings hier mit damals modernster Keyboard- und Samplertechnik erstellt. Nach diesem Einstieg entwickelt sich das Stück zu einem schnellen und flüssigen Popsong mit sehr guten Gilmour-Vocals und erstklassigen instrumentalen Einlagen.
“On the turning away“: Hier werde ich mir jetzt den Unmut vieler Fans zuziehen. “On the turning away“ ist eine grandiose Stadionrockballade mit einem fantastischen Gitarrensolo am Ende. Aber ist es ein großer Song? In meinen Ohren nicht. Es ist eine recht einfache Gitarrennummer, die unter zu Hilfenahme der Aufnahmetechnik richtig schön aufgeblasen wird. Wie gesagt, live ein recht gutes Stück. Wann ich mir die Studioversion das letzte Mal vor dem Schreiben dieses Berichtes angehört habe? Es wird lange her sein.
“Yet another Movie“ ist ein super Opener für die zweite Seite und ein gutes Beispiel dafür, wie Gilmour den Floyd-Sound von Mitte der 70er ins Jahr 1986 übertragen hat. Leider merkt man auch diesem Stück dadurch ganz besonders den Charme der 80er Jahre an.
“A New Machine part 1“, „Terminal Frost“ & „A New Machine part 2“: Eigentlich mag ich diesen Mittelpunkt des Albums sehr gern. Denn zum einen zeigte Gilmour mit den beiden "A New Machine“-Parts Mut zum Experimentieren. Zum anderen ist “Terminal Frost“ für mich tatsächlich das Floyd-Stück schlechthin auf diesem Album. Es bringt für mich tatsächlich den Klang von Dark Side of the Moon und die Kälte von The Wall mit dem doomigen, elektronischen Klang der 80er Jahre zusammen. Andererseits beschleicht mich hier immer das Gefühl, dass Gilmour mit diesen Stücken auch etwas machte, was er machen musste, um es Pink Floyd nennen zu können, aber nicht unbedingt machen wollte.
“Sorrow“ hingegen ist über jeden Zweifel erhaben. Mehr Pink Floyd in Form von Sound, Stimmung, Komposition und Text geht fast nicht.
Natürlich muss auch gesagt werden, dass A Momentary Lapse of Reason natürlich an den Texten krankt. Gilmour macht bis heute keinen Hehl daraus, dass dies nicht seine Stärke ist, und dass er sich deshalb dafür immer Hilfe sucht. Seitdem er diese von seiner Frau Polly Samson bekommt, kommen dabei auch recht stimmige und passende Sachen heraus. Auf A Momentary Lapse teilte sich Gilmour diese Aufgabe mit Anthony Moore. Dass sich dieses Duo nicht mit Roger Waters messen kann, ist klar. Aber einiges klingt doch sehr konstruiert und holprig und vor allem nicht so recht nach Pink Floyd. Dieses Manko konnte David Gilmour dann 1994 mit Hilfe seiner Frau Polly Samson ein Stück weit ausmärzen.
Das Cover des Albums hingegen gehört in seiner Ästhetik zu den schönsten der Band. Allein, es fehlt die konkrete Bindung zum Album.
Abschließend sei gesagt, dass A Momentary Lapse of Reason für mich zwar zu den schwächsten Alben in einem insgesamt sehr starken Backkatalog gehört, es aber immerhin dazu führte, dass auch ich Pink Floyd noch insgesamt dreimal live erleben durfte. Außerdem war Momentary Lapse of Reason trotzdem ein recht starkes Rockalbum der 80er Jahre, und es gelang Gilmour den Sound der Band in die 80er zu retten, was nicht jede Rockband der 70er für dich reklamieren kann. Dass das Album genau auf Grund dieser Tatsache jedoch auch von allen Pink-Floyd-Alben am meissten Staub angesetzt hat, liegt halt daran, dass die 80er Hochglanzproduktionen leider sehr blutarm waren.
Trotzdem schaffte David Gilmour es schlussendlich die Band noch einmal an die Spitze der Musikszene zu führen. Allein dafür gebührt dem Album, wie natürlich der Band Respekt.
Bewertung:
Musik: 7
Text(e): 5,5
Produktion, Klang: 9
Cover: 9
Gesamt: 14,75
Wolfgang Kabsch
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