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Einstürzende Neubauten

Lament


Info
Musikrichtung: Avantgarde / Alternative / moderne Klassik

VÖ: 15.11.2014

(Mute Records / BMG)

Gesamtspielzeit: 66:30

Internet:

http://www.neubauten.org


Die Einstürzenden Neubauten haben schon immer polarisiert, schwankten zwischen Kunst, Provokation und Kontroverse. Allerdings haben sie bei allen Qualitätsschwankungen immer Ihr Ding durchgezogen. Nun kommen Sie im Jahr 2014 mit einer
Aufarbeitung des Themas 1. Weltkriegs, womit sie 100 Jahre nach dessen Ausbruch nicht die einzigen Künstler sind. Allerdings liefern sie mit ihrer Herangehensweise das wohl eindringlichste und beste Werk zum Thema ab.

Schon das klaustrophobische Geräusch “Kriegsmaschinerie verdeutlicht nur mit Atmosphäre die Anspannung die in den Jahren vor dem Krieg da gewesen sein muss. Mit dem folgenden “Hymnen“ führen sie gekonnt den Kriegsgesang ad Absurdum - ist es doch weit verbreitet die selbe Melodie unter welcher dem König gepriesen wird. Zusätzlich wird ganz nebenbei die absurde Verteilung der Güter in der damaligen (wie aber auch heutigen) Weltordnung dargestellt. Ein geschickt umgestricktes Traditional nah am Neofolk. Mit “The Willy - Nicky Telegrams“, was eine telegraphische Kommunikation zwischen Kaiser Wilhelm und dem russischen Zar Nikolaus darstellt, in dem sich beide Parteien stets zusichern keinen Krieg zu wollen, ihn aber unter den gegebenen Umständen nicht verhindern zu können, kommt dann das wohl poppigste Lied der Scheibe. Ein wenig an frühen Darkwave erinnernd zieht einem vor allen der synthetisch veränderte Gesang in seinen Bann. “In de Loopgraph“ hingegen ist wieder eine Bearbeitung eines Stückes, welches holländische Soldaten im Schützengraben gesungen haben. Die rein elektronische Umsetzung verwirrt den Hörer - denn irgendwie wirklt der Gesang fröhlich, während die Musik etwas völlig anderes darstellt.

“Der 1. Weltkrieg“ (Percussion Version“ ist dann das Herzstück der Scheibe. Über knapp 14 Minuten ertönen sich stetig steigernde Perkussionen über einen stets gleich pulsierenden elektronischen Bass sowie auf- und abschwelende synthetische Flächen. Hierüber wird völlig nüchtern von männlichen und weiblichen Stimmen der Flächenbrand des Krieges aufgezählt: Die Länder welche nach und nach in den Krieg eintraten, zwischenzeitliche Pakte schlossen, bis zum Ende. Ebenso betörend wie bedrückend.

Auch die weiteren Ausführungen, so unterschiedlich sie auch ausfallen, zeichnen das dunkle, verrückte Gesicht des Krieges nach. Besonders herausstechend fällt noch die Adaption von “Sag mir wo die Blumen sind?“, welches mit seiner elektronischen Nüchternheit und dem dunklen Sprechgesang Blixa Bargelds eine sehr bedrückende Dimension erhält. Zusätzlich das Quasi-Hörspiel “Der Beginn des Weltkrieges 1914 (unter Zuhilfenahme eines Tierstimmenimitators)“, das die völlig absurde Euphorie die Kriege snfangs verursachen, darstellt. Auch das atmosphärische “Lament 1: Lamen“ packt mich - die schwirrenden elektronischen Klänge und die ebenso schwirrenden Gesangsfetzen, welche sich erst mit der Zeit zu dem Satz „Die Mächigen lieben den Krieg“ zusammenformt, ist ebenso verlockend schön wie beängstigend und klaustrophobisch. Das geht nicht? Hört es Euch an! Aber auch wenn die Stücke dieses Konzeptalbum nicht stets ineinander übergehen erschließt sich alles doch nur in seiner Gesamtheit.

Was die Neubauten hier musikalisch, textlich und inhaltlich auf die Beine gestellt haben, zählt zu den besten Arbeiten ihrer langen Karriere und zu den besten Alben des Jahres 2014. Lament ist Kunst!



Wolfgang Kabsch



Trackliste
1Kriegsmaschinerie5:29
2 Hymnen2:49
3 The Willy - Nicky Telegrams6:23
4 In de Loopgraf4:15
5 Der 1.Weltkrieg (Percussion Version)13:13
6 On Patrol in No Man's Land3:09
7 Achterland3:17
8 Lament: 1. Lament6:24
9 Lament: 2. Abwärtsspirale2:29
10 Lament: 3. Pater Pecavi5:34
11 How Did I Die?7:12
12 Sag mir wo die Blumen sind3:37
13 Der Beginn des Weltkrieges 1914 (unter Zuhilfenahme eines Tierstimmenimitators)5:47
14 All of No Man's Land Is Ours2:52
Besetzung

Gesang: Blixa Bargeld
Perkussion: N. U. Unruh
Bass: Alexander Hacke
Gitarre: Jochen Arbeit
Perkussion: Rudolf Moser
Keyboard: Ash Wednesday


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