Händel, G. F. (Jacobs)
Messiah (Version 1750)
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Info |
Musikrichtung:
Barock Oratorium
VÖ: 20.10.2006
Harmonia Mundi / Helikon SACD hybrid (AD 2005) / Best. Nr. HMC 801928.29
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JESUS-OPER
Wieder einmal gelingt es René Jacobs, Hörgewohnheiten nachhaltig zu irritieren. G. F. Händels beliebtestes und meistgespieltes Werk, das Oratorium The Messiah, entpuppt sich unter seinem Dirigat als religiöse U-Musik des 18. Jahrhunderts und veritable Oper. Wo die jüngeren Messiah-Versionen trotz aller Verschlankung und swingender Tempi immer auch erhebend und religiös klingen, inszeniert Jacobs ein effektvolles Bibeldrama in kräftigen Farben: theatralischer Ausdruck und üppige Verzierungen in den Soli, tonmalerische Effekte im Orchster, insgesamt wenig religiöses Pathos, nicht mal in den großen Chören, die häufig dramatisch, als gleichberechtigte Handlungsträger aufgefasst werden. Noch dem notorischen Halleluja weiß Jacobs durch die differenzierte, so nicht in den Noten ausgewiesene Terrassendynamik Raumklang-Effekte abzugewinnen (und knüpft damit an die ältere Harnoncourt-Einspielung von 1982 an, die sich ungleich nicht nur hier ungleich ruppiger anhört). Wer also bei diesem Stück durchgängig den großen Pauken- und Trompetenschlag erwartet, der wird wahrscheinlich unbefriedigt bleiben. Auch auf die Anreicherung der Partitur mit zusätzlichen Instrumenten verzichtet Jacobs nicht: Eine Harfe begleitet den Auftritt des Engels – ob das die Stimmung vertieft oder nur etwas plüschiger macht, darüber darf man gerne geteilter Meinung sein.
Religiös ist lediglich Inhalt des Werks, nicht der ausgesprochen weltliche Stil von Jacobs Interpretation. Falsch liegt der Dirigent mit seiner Sichtweise weder historisch noch musikalisch: Im 18. Jahrhundert waren Weltliches und Geistliches noch keine absoluten Gegensätze. Erst das 19. Jahrhundert sollte den Messiah durch immer größere Besetzungen monumentalisieren, verlangsamen und mit einer pastosen Sakralaura umgeben. Händels Zeitgenossen genossen das Werk durchaus als religiöses entertainment, was keineswegs abfällig gemeint war. Doch nicht alle, zumal der Librettist, waren ganz glücklich damit. Händel selbst hoffte, dass das Publikum beim Anhören nicht nur Vergnügen empfinden, sondern moralische Besserung erfahren möge. Das hielt ihn freilich nicht davon ab, in der hier eingespielten späten 1750er Fassung einige Partien an die virtuosen Fähigkeiten der Kastraten anzupassen. Jacobs hat Händels unkomplizierte, pragmatische Haltung hörbar inspiriert.
Jacobs setzt bei seinen Solisten konsequent auf individuelle Timbres und exponierten Ausdruck. Sängerisch ist die Aufnahme gut, erreicht aber nicht ganz die Qualitäten der homogener besetzten Einspielungen von Paul McCreesh (DG) oder William Christie (ebenfalls hm). Die Kastraten-Partien hat Jacobs dem Counter Lawrence Zazzo und der Mezzosopranistin Patricia Bardon anvertraut. Beide agieren mit kraftvollen Stimmen. Bardon, die eine ansprechend dunkle und herbe Stimmfarbe hat, singt für meinen Geschmack allerdings mit zu ausgeprägtem Vibrato. Auch Zazzos Counterregister, obschon von durchlagender Brillanz, dürfte nicht jedem zusagen: eine gewisse Künstlichkeit muss man bei den virtuosen Stücken (z. B. But who may abide) in Kauf nehmen. Der agile Tenor von Kobie van Rensburg wirkt in den langsamen, lyrischen Passagen – z. B. dem eröffnenden Accompagnato - etwas schlaksig, in den schnellen und erregten Abschnitten überzeugt er dagegen durch eine kraftvolle Diktion. Packend auch der kernige Zugriff von Bass Neal Davis, dessen Koloraturen wie gemeißelt klingen. Selten gewinnt der biblische Text in historisierenden Aufnahmen eine solche Unbedingtheit wie bei diesen beiden Sängern. Mit einer warmen, körperlichen Stimme läd die Sopranistin Kerstin Avemo ihre Partie mit Ausdruck auf.
Eindrucksvoll agiert der durch die mitunter rasanten Tempi bis an seine Grenzen geforderte Choir of Clare College, der in den hohen Registern nicht mit Knaben, sondern erwachsenen Frauen besetzt ist. Leider ist er tontechnisch zu sehr in den Hintergrund gerückt worden. Auch das Freiburger Barockorchester lotet die Extreme aus; die Streicher kitzeln (oder: reizen?) die Ohren bei der Passionsszenen mit brillanter Schärfe, die Trompeten strahlen ohne Fehl und Tadel. Erneut behauptet dieses Orchester seine Spitzenstellung in punkto Präzision, Vitalität und Farbenreichtum.
Keine "letztgültige Deutung" (Gottseidank!), aber eine hörenswerte Alternative zu den besten historisierenden wie modernen Einspielungen!
Georg Henkel
Besetzung |
Kerstin Avemo, Sopran Patricia Bardon, Alt Lawrence Zazzo, Altus Kobie van Rensburg, Tenor Neal Davies, Bass
The Choir of Clar College
Freiburger Barockorchester
Ltg. René Jacobs
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