Es ist eine Schande: Da höre ich seit Jahren mit wachsender Begeisterung Musik jeglicher Art, und trotzdem kenne ich das umfangreiche Angebot deutschen Musikfernsehens nur vom Hörensagen und Durchzappen. Als alter Fernsehmuffel, der ich nunmal bin, fragte ich mich dennoch - gleichermaßen pflichtbewusst wie auch von Reuegefühlen ergriffen - vor ein paar Wochen, warum das eigentlich so ist. Ich beschloss es herauszufinden.
Es dauerte auch nur wenige Tage intensiven Viva-Studierens, bis ich die meisten Songs mitsingen konnte. Etwa den hier: "I may be small, I may look sweet, but baby I know how to move my feet...", gesungen von Sweety, dem gelben Jamba-Küken, das auserkoren ist der nächste Klingelton Star zu werden. Wer den Song noch nicht kennt: Einfach Viva einschalten und fünf Minuten abwarten, die Chancen stehen nicht schlecht, dass der Spot innerhalb dieser Zeit etwa sieben Mal läuft...
So bleiben nach diesen paar Tagen des Experimentierens lediglich regelmäßige Alpträume mit gelben Pixel-Küken und anderen Jamby-Maskottchen sowie die Erkenntnis, dass das deutsche Musikfernsehen an Armseligkeit kaum noch zu überbieten ist. Und natürlich der feste Vorsatz, jedem, der diese Flut an Werbemüll mit einem Abo oder Download unterstützt, mit jedweder Art von Brutalität zu begegnen.
Leider waren weder Sweety, das Küken, noch Spike, das schwimmflügeltragende Nashorn oder andere Stars der zeitgenössischen Klingelton-Branche zu Interviews bereit. Erfreulicher Weise fanden sich aber einige Vertreter des konventionellen Musikertums, die ihrer Bestimmung als passabler Ersatz folgten: Kevin sprach mit Malkovich, Manuel Liebler und Mario Karl behelligten Mercenary und meine Wenigkeit fragte Peavy Wagner von Rage aus. Entsprechend haben wie auch Live Berichte zu Mercenary und Rage, außerdem durfte ich Blackfield in Köln sehen.
Unterdessen tat Norbert von Fransecky lieber etwas für seine Bildung und las ein paar Bücher: Beatles under Cover und die Basis-Diskothek Rock und Pop. Und genau das werde ich demnächst auch mal wieder desöfteren tun - anstatt mich weiterhin mit Werbesendern zu quälen.
Hendrik Stahl
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