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Zeit: 17.04.2011
Ort: Philharmonie Essen
Veranstalter: Philharmonie Essen
Fotograf: Copyright Philharmonie Essen
Die reduzierte, minimalistische Musik von Steve Reich hat sich über die Jahre trotz der Anreicherung mit traditionellen kontrapunktischen Satztechniken und heimeliger harmonischer Färbungen eine gewisse Strenge und Härte bewahrt. Das unterscheidet sie von den Kompositionen Philip Glass‘ oder John Adams, die ihren Partituren inzwischen eine mehr oder weniger dicke spätromantische Politur verpasst haben.
Reich hat wie sein Kollegen mit dem Operngenre geliebäugelt und sich auf die Suche nach unerschlossenen Möglichkeiten gemacht; da sich die repetetive Statik seiner Musik dem narrativen Operngenre verweigert, hat er ein neues Genre kreiert: die dokumentarische Video-Oper. Wobei „musikalische Video-Installation“ besser passt, denn eine äußere oder innere Dramatik, geschweige denn Theatralik, ist allenfalls in Spuren auszumachen.
Dafür aber korrespondiert die Musik Reichs dieses Mal perfekt mit dem Sujet: Three Tales, die Reich 2002 in Zusammenarbeit mit seiner Frau, der Video-Künstlerin Beryl Korot, kreiert hat, ist ein Werk über das 20. Jahrhundert, dessen technizistischer Glaube an die totale Machbarkeit in drei Episoden Revue passiert: dem Hindenburg-Unglück von 1937, der Explosion der Atombombe über dem Bikini-Atoll 1946 und dem Klon-Schaf Dolly 1996. Auf der Video-Ebene werden Zeitungs-, Foto- und Filmdokumenten mit Interview- und Augenzeugenberichten in immer neuen, sich kontrapunktisch oder kanon-artig überlagernden Mustern arrangiert. Dazu kommen manipulierte Samples, bei denen die Worte stark verzerrt wurden, so dass sie kaum mehr verständlich sind.
Reichs Musik ist damit, auch dank unhörbarer Click-Tracks in den Ohren der Ausführenden, perfekt synchronisiert. Das kleine Instrumental-Ensemble aus zwei Vibraphonen, zwei Klavieren, Streichquartett und Schlagzeug (perfekt: Ensemble Modern unter Brad Lubman) wird elektrisch verstärkt. Das rhythmische oder melodische Material nehmen den Klang und den Duktus der gesprochenen oder gedruckten Worte auf. So entstehen dicht gewobene, schroff akzentuierte Patterns, die sich mehrschichtig überlagern. Rasender Stillstand, mechanistischer Irrwitz. Fünf Vokalisten/innen (das britische Ensemble Synergy Vocal) steuern apart harmonisierte Sequenzen dazu, die wie ein gefrorenes Lamento wirken.
Im Ganzen kann dieses audio-visuelles „Ballet méchanique“ allerdings wenig überzeugen. Da ist zunächst die inhaltliche Seite: Die fraglos politisch korrekte Botschaft kommt, mit biblischen Zitaten unterfüttert, als penetrante, moralinisaure Predigt daher. Zwar verzichtet Corot im 2. Teil „Bikini“ darauf, zum Finale die üblichen Atombomben-Explosions-Aufnahmen zu präsentierten. Ein eher abstrakter, gelb-oranger Pixel-Sturm, in dem die Palmen des Atolls verglühen, gemahnt an die gewaltige Zerstörungskraft der Bombe. Doch solche Subtilität ist eher die Ausnahme. Es geht meist mächtig wortlastig und didaktisch zu. Beispielsweise gerät die aggressiv ratternde Wiederholungsschleife über das Wort „machine“, das einem Satz aus dem Mund von Richard Dawking entstammt, zum platten „Entlarvungs-Kommentar“. Böse, wer da nicht betroffen ist. Das ist einfach zu dürftig.
Dürftig sind auch die an Power-Point und Photo-Shop erinnernden Effekte, mit denen die Video-Sequenzen animiert wurden. Das kommt über eine ambitionierte Seminararbeit kaum heraus - oder sollte diese mediale arte povera Absicht sein?
Der Gedanke, dass es sich um ein zeitgemäß verpacktes, kompetenzorientiertes Unterrichtsmaterial handeln könnte, kam mir leider nicht nur einmal. Korrekte Botschaft, griffiger, aber nicht zu heimeliger Sound, technisch sauber ausgeführt. Wobei der etwas zu voluminös augesteuerte Klang eine faire Bewertung vor allem der SängerInnen erschwert. Auch hier setzte man eher auf Fettdruck.
Ein ausgesprochen zwiespältiges Konzerterlebnis.
Georg Henkel
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