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Info
Zeit: 26.06.2010
Ort: Hannover-Herrenhausen
Besucher: nahezu ausverkauft
Veranstalter: Kunstfestspiele Herrenhausen
Fotograf: Georg Henkel
Am Ende von Francesco Cavallis (1602-1676) dreiaktiger Oper Artemisia gibt es einen einzigen, ganz kurzen Moment, wo sich die Stimmen aller sechs Hauptpersonen - drei Paare - in schönster Harmonie begegnen: ein geradezu ekstatischer Freudenruf, der die wiederhergestellte Ordnung - in diesem Fall der Ordnung der alle Hindernisse überwindenden Liebe - besingt. Doch der Freudenchor, den diese emphatische Einstimmung erwarten ließe, er kommt dann doch nicht. Der kleine Eunuch der Königin Artemisia beginnt zwar, eine fröhliche Introduktion zu zwitschern. Doch die drei Liebespaare haben sich schon auf und davon gemacht.
Mit Gattungskonventionen allein möchte man diesen abrupten Schluss nicht erklären. Zwar steuerte die italienische Barockoper bei diesem 1657 uraufgeführten Werk schon deutlich hörbar auf das Arienkonzert des 18. Jahrhunderts zu. Aber deshalb verzichtete man nicht unbedingt auf das eine oder andere Ensemble. Duette, immerhin, gibt es in dieser Oper einige.
Doch auch sie führen selten zu jenem erlösenden Einklang, der in der barocken Musikrhetorik das Siegel wahrer Herzensinnigkeit ist. Nein, es scheint einfach, als habe Cavalli der amourösen Eintracht zwischen den Personen nach so viel leidvollem Hin und Her selbst nicht ganz getraut. Das Glück währt nur einen Augenblick, die Affektmaschine Mensch kann nicht anders, als ihrem launischen Herzen zu folgen und sich und andere darüber ins Unglück zu stürzen.
Die prächtige Galerie im Barockpark von Hannover-Herrenhausen als Konzertsaal |
So lässt sich die Königin Artemisia erst nach langem Zögern und Taktieren auf eine Liaison mit dem Mörder(!) ihres über alles geliebten Gatten ein. Jener Meraspe, der unter dem Aliasnamen Clitarco am Hofe der Königin weilt, wird derweil von seiner Vasallin Artemia begehrt, der ihr Kollege Ramiro bis zum Überdruss den Hof macht. Doch steter Lamento-Tropfen wird auch hier das versteinerte Herz höhlen! Artemisia wiederum wird von ihrem General Alindo belästigt, dessen Verlobte Oronta unter dem Pseudonym Aldimiro in seine Dienste getreten ist, um den Ungetreuen zurückzugewinnen. Ein wechselhaftes Konzert der Herzen voller Maskerade und Verstellung nimmt seinen Lauf. Cavalli und sein Librettist Nicolò Minato gelingt es, dieses Verwirrspiel über Zweieinhalbstunden im Fluss zu halten. Die raschen Auf- und Abtritte sorgen für flotte emotionale Wechselbäder. Hier wird nichts erklärt oder reflektiert, hier wird einfach in jedem Augenblick mit der gleichen Leidenschaft und absolutheit gefühlt. Cavallis Musik hält ein ideales Gleichgewicht zwischen differenziertem Rezitativ und mehr oder weniger ausgewachsenen Arien, die ob ihrer relativen formalen Biegsamkeit und Kürze den dramatischen Fluss nie zum Versiegen bringen, sondern auf ihre Weise weiter vorantreiben. Große Portärtaufnahmen à la Händel können so nicht entstehen, wohl aber prägnante Skizzen, deren melodische Linien durch eine mitunter brückende Kraft belebt werden.
Einfach, aber effektiv: Die Inszenierung |
Das Ensemble La Venexiana hat unter seinem Leiter Claudio Cavina dieses leidenschaftliche Werk aus seinem Dornröschenschlaf geweckt und es im Rahmen der Kunstfestspiele Herrenhausen in Hannover präsentiert. Der Ort, die hochbarocke Galerie des kriegszerstörten Schlosses am Rande des berühmten Barockgartens, war ideal: die Akustik trug die herrliche Musik auch noch bis in die hinteren Reihen des langgestreckten Baus. Und die gleichermaßen schwungvolle wie streng gefügte barocke Ausstattung verband sich trefflich mit der ganz eigenen Ästhetik von Cavallis Oper. Diese wurde quasi-szenisch dargeboten. Chiara H. Savoia hat dazu mit ein paar herabhängenden Stoffbahnen einen Bühnenraum markiert. Einige Beleuchtungswechsel und eine Hand voll Requisiten kamen noch dazu.
Die spielfreudigen Sänger/innen sorgten durch ihre vokale und körperliche Präsenz dann für ein durchweg unterhaltsames Spiel der Leidenschaften, das von dem hinter der Szene halbsichtbar platzierten Kammerensemble aus vier Theorben, zwei Cembali, fünf Streichern, einer Harfe und einer Lirone ausreichend mit warmen, dabei durchaus dissonanzreichen Farben illuminiert wurde. Herausragend die Artemia von Roberta Mameli, die von Cavalli mit besonders ausdrucksvoller Musik bedacht wurde und deren volles, manchmal geradezu flammendes Timbre die oft klagende Musik unter ergreifende Spannung setzte.
Herzlicher Schlussapplaus für eine gelungene Wiederentdeckung |
Die Artemisia von Francesca Lombardi Marzulli nahm durch ihre differenzierte Auslotung des zwischen Pflicht und Neigung schwankenden Charakters für sich ein. Sehr klangschön und sinnlich gestaltete der Altus Maarten Engeltjes den zunächst scheinbar glücklos liebenden Meraspe; zunächst etwas blasser, später dann mit mehr dramatischem Atem verlieh der ebenfalls im Falsettregister singende Roberto Alconi dem Alindo eine angemessen arrogante Note. In das homogene Ensemble fügten sich mit ihren jungen, leuchtenden Stimmen auch Valentina Coladonato (Oronta) und Marina Bartoli (Ramiro) ein. Die kleine, aber musikalisch entzückende Rolle des Eunuchen Eurillo versah Silvia Frigato mit glänzenden Koloraturen. Salvo Vitale setzte in der kleinen Partie des gravitätischen Indamoro willkommene und sonore Bassakzente.
Solche Ausgrabungen möchte man in dieser Qualität noch viel öfter hören.
Georg Henkel
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