Artikel
Info
Zeit: März 2010
Stil: A Capella Metal
Internet:
http://www.vancanto.de
http://www.myspace.com/vancanto
http://www.youtube.com/user/vancanto
Ich kann mich noch gut daran erinnern, als ich das erste Mal das Debüt von VAN CANTO in den Fingern hielt: „A Capella-Metal, was soll das? Kann man bei dieser Musik überhaupt von Riffs und Soli sprechen?“ Es war also Aufklärungsbedarf für ein erstes Interview mit Initiator Stefan Schmidt vorhanden. Tja und vom einstigen Szeneunikum, wurde man durch konstante Livepräsenz schon fast zu einer Institution. Mittlerweile liegt jedenfalls schon das dritte Album vor, das aufgrund der Schließung von GUN Records beim österreichischen Indie Napalm Records veröffentlicht wurde. Und noch immer klingt der Sound von VAN CANTO so frisch wie anno 2006 auf A storm to come. Wahrscheinlich auch deswegen, weil Van Canto noch keine offensichtlichen Nachahmer nach sich gezogen, sondern immer noch ihre originelle Idee, Gitarren durch die menschliche Stimme zu ersetzen, für sich alleine gepachtet haben.
Und so gibt es auf Tribe of force wieder die volle Ladung Rakkatakka und Dandan. Dabei wird die Band immer geschickter. Mittlerweile klingen sogar die durch Gitarrenverstärker gepressten Soli echten Gitarren zum verwechseln ähnlich. Dass man sich beim zackigen „One to ten“ ein Soloduell mit Rages Gitarrengott Victor Smolski liefert, fällt einem erst nach mehrmaligem Hören so richtig auf. Den Anteil an Coverversionen hat man dieses Mal wieder etwas zurück geschraubt. Es sind nur noch zwei Stück enthalten. Bei Grave Diggers „Rebellion“ hat man sich mit Originalsänger Chris Bolthendal gesangliche Unterstützung ins Studio geholt. Und was soll man sagen, der Song klingt so fast wie für diese Gruppe gemacht. Hier wie beim Rest des Albums fällt immer wieder auf, dass die Gesangsarrangements und damit die „Instrumentierungen“ ein ganzes Stück dichter geworden sind. Man präsentiert sich also selbstbewusster denn je.
Nachdem MAS eines der ersten Magazine war, mit denen VAN CANTO ein Interview geführt haben (s. hier), nahmen wir das Angebot natürlich danken an, Stefan Schmidt ein weiteres Mal zu seinem „Baby“ zu befragen. Und auch hier entpuppte er sich wieder als auskunftsfreudiger und sehr angenehmer Gesprächspartner.
Was hat sich im Leben von Stefan Schmidt seit unserem letzten Gespräch vor rund drei Jahren geändert? Steht vielleicht schon der erste Ferrari vor der neuen Luxusvilla?
Wenn ich so viel Geld hätte, dass ich bauen könnte und mir ein neues Auto kaufen könnte, wäre es weder eine Luxusvilla, noch ein Ferrari. (lacht) Nein, natürlich waren die letzten 3 Jahre sehr spannend und Van Canto ist ein sehr wichtiger Teil meines Lebens geworden. Wir können inzwischen auf hohem Niveau musizieren ohne drauflegen zu müssen. Damit sechs Leute von einer Band leben oder sich sogar Luxusvillen leisten könnten, müssten wir aber in ganz anderen Dimensionen spielen und vor allem verkaufen. Aber das ist gar nicht Sinn der Sache, wir haben echt Spaß und das ist die Hauptsache.
Am Anfang wart ihr eine ziemlich skurrile und etwas belächelte Szeneerscheinung. Fühlt ihr euch mittlerweile voll in die Szene integriert?
Ja. Wobei Szeneerscheinung ja gar nichts Negatives ist. Wir sehen uns einfach als „Zusatzangebot“. Wir wollen ja gar nicht, dass keiner mehr Gitarre spielt. Meine Lieblingsbands sind ja auch alle „normale“ Metalbands. Wir wollen halt nur das Spektrum erweitern. Aber inzwischen haben Hansi Kürsch, Tony Kakko, Chris Boltendahl und Victor Smolski bei unseren Songs mitgemacht, wir haben mit Nightwish und Manowar gespielt und auf dem Wacken waren wir auch. Das hilft schon, sich als Teil der Szene zu sehen.
Früher waren Teile von euch auch noch in andere Projekte und Bands involviert. Ist das jetzt auch noch der Fall oder steht Van Canto bei allen unverrückbar an erster Stelle?
Also wir haben keine Zeit mehr für andere Bands und das macht bei dem momentanen Spaß an Van Canto auch keinem was aus. Unverrückbar ist aber nie was und bei den vielen Kreativen in der Band würde ich das ein oder andere Nebenprojekt in Zukunft auch nicht ausschließen.
Mit „To sing a metal song“ habt ihr euch selbst eine leicht ironische Hymne geschrieben - fast im textlichen Stile von Manowar. Macht ihr euch jetzt zu den einzig wahren „Kings of A Capella“?
Wenn Du das sagst. (lacht) Nein, der Song soll einfach eine Ansage an all die sein, die sagen, wir wären kein Metal, die selbst aber noch nix zum Metal beigetragen haben. No guitars, no randandan …
Tribe of force klingt ganz so als wolltet ihr von allem mehr und das vor allem besser. Mehr Gäste, mehr Eigenkompositionen, mehr Stimmsoli, einfallsreichere Arrangements und mehr Bombast. Waren das auch die Zielsetzungen vor den Aufnahmen?
Also mehr ist ja gar nicht immer besser. Zum Beispiel wollten wir bei „Last night of the king“ eher weniger. Also weniger Overdubs und mehr „Echtheit“. Man entwickelt sich halt weiter. Du musst ja bedenken, dass das unsere dritte Platte innerhalb von dreieinhalb Jahren ist. Ich werde die Platte erst mit ein, zwei Jahren Abstand so richtig neutral beurteilen können. Momentan ist es einfach meine Lieblingsplatte. (lacht)
Wie haben eure drei Gäste reagiert, als ihr sie gefragt habt bei einer A Capella-Produktion mitzuwirken (neben Smolski und Bolthendal auch noch Tony Kakko von Sonata Arctica)?
Alle drei waren unabhängig voneinander sofort Feuer und Flamme. Das ehrt uns sehr und wir sind überglücklich, dass sie mitgemacht haben. Das Ergebnis spricht ja auch für sich. Einfach geil!
Tribe of force enthält nicht mehr so viele Fremdkompositionen wie sein Vorgänger. Seit ihr dieses Mal einfach mutiger geworden, was Eigenwächse betrifft oder standet ihr bei Hero unter Druck möglichst schnell ein zweites Album zu machen?
Weder noch. Unser erstes Album hatte ja auch nur zwei Covers bei sieben eigenen Stücken. Es war bei Hero einfach klar, dass wir unsere Covers, die ja wichtiger Teil unserer Liveshow sind, etwa gleichberechtigt behandeln wollen. Aber wenn man fünf solche Klassiker gecovert hat, wird halt irgendwann die Luft auch dünn. (lacht) Wir sehen uns nicht als Coverband, deswegen ist auf Tribe of force wieder unser „normales“ Verhältnis zu hören. Und was die Schnelligkeit betrifft: Ein eigener Song ist viel schneller geschrieben und aufgenommen als ein Cover wie „Master of puppets“, gerade weil ja alle Menschen einen Sound im Kopf haben und da musst du erstmal drankommen.
Wie wählen Van Canto Songs zum covern aus - eigene Vorlieben und Popularität des Stücks oder auch und die technische Umsetzung die reizt?
Also die Songs sind schon unsere Lieblingssongs und halt echte Metal-Klassiker. Wir haben noch nie was gecovert, nur weil das irgendwer von uns gefordert hat. Das würde auch nicht funktionieren, wir müssen schon ein gutes Verhältnis zu einer Komposition haben, wenn wir sie überzeugend rüberbringen sollen.
Könntest Du Dir vorstellen in Zukunft mal komplett auf Eigenkompositionen zu setzen, auch live?
Also live machen die Cover sowohl uns als auch dem Publikum einfach zu viel Spaß. Keiner hätte was von einem Gig ohne Cover. Aber das Verhältnis ist halt klar: Auf zwei eigene Songs kommt ein Cover, höchstens. Was die nächsten Platten angeht, kann ich jetzt noch nix sagen. Das wird sich weisen.
„Master of puppets“ bringt genauso wie „Battery“ auf der ersten Platte etwas mehr „Härte“ in den Van Canto-Sound. Könntest Du Dir vorstellen mit Van Canto auch mal einen Thrash Metal-Song zu schreiben oder fehlt es da einfach an Reiz und Melodie?
Genau das war die Idee hinter „Master of Puppets“. Wir wollten den Van Canto-Härtegrad noch etwas verschieben. Ich habe ja in meiner vorigen Band Jesters Funeral 10 Jahre lang Power-/Thrashmetal-Songs geschrieben. Also Ideen hätte ich genug. Aber irgendwie wären auf Dauer die Stimmen unserer Leadsänger dafür etwas verschenkt. „Master of Puppets“ funktioniert auch nur wegen dem ausgiebigen Mittelteil so gut für Van Canto.
Hat sich an der Arbeitsweise beim Stückeschreiben durch die gemachten Erfahrungen seit dem ersten Album etwas geändert?
Auf jeden Fall. Einerseits wegen den vielen Livegigs, wo man einfach merkt, was live geht und was nicht. Seitdem schreibe ich keine Songs mehr, die wegen akuter Atemlosigkeit aus dem Live-Programm genommen werden müssten. (lacht) Und außerdem hat Charlie Bauerfeind bei den Aufnahmen von Hero einfach maßgeblich dazu beigetragen, dass wir unseren Sound entwickeln. Der größte Unterschied war also zwischen Album ein und zwei. Diesmal mussten wir es sozusagen nur noch anwenden.
Wenn Du gerade Charlie Bauerfeind erwähnst. Konntet ihr von seinen gemachten Erfahrungen von z.B. Blind Guardian, die ja in ihren Songs auch große Gesangsarrangements haben, profitieren oder musste auch er sich in absolut fremdes Territorium vorwagen?
Naja, beides. Er musste sich in fremdes Territorium wagen, hat das aber super gemacht und hat uns echt nach vorne gebracht. Charlie ist der beste Metalproduzent, der momentan auf dieser Erde weilt und wir haben ihm unglaublich viel zu verdanken. Auf der anderen Seite bin ich so selbstbewusst zu sagen, dass er auch bestimmt durch uns wieder interessante Dinge gelernt hat, einfach weil es etwas anderes ist, mit einer Band wie Van Canto zu arbeiten.
Die „Gitarrensoli“ klingen noch mehr nach Instrument als nach Stimme. Gerade beim Soloduell mit Victor Smolski muss man schon genau hinhören. Ist da mittlerweile noch mehr Technik im Spiel oder liegt es mehr an den gesteigerten Erfahrungen?
Definitiv letzteres. Technik ist da viel weniger. Bei Hero haben wir noch viel mehr mit verschiedenen Verzerrern rumprobiert, um zu vermeiden, dass die Solos wie Keyboard oder wie ein Blasinstrument klingen. Bei Tribe of force ist das wirklich nur noch Mikro in den Gitarrenamp und los gesungen. Manche Soli haben mich nur soviel Aufnahmezeit gekostet, wie sie lang sind. Die Solos zu „Rebellion“ und „Lost forever“ sind z.B. echte Firsttakes.
Bei „Magic Taborea“ gibt es erstmal neben den Stimmen auch Orchesterbombast zu hören, was ich am Anfang etwas befremdlich fand, da ich gerade den natürlichen Klang eurer Stimmen sehr mag. Soll das ein einmaliges Experiment bleiben oder hast Du da vielleicht mehr im Hinterkopf? Der nächste Schritt wäre dann ja jetzt die erst A Capella-Metaloper!
Also wir fanden das auch interessant, nur Stimmen, Schlagzeug und Orchester. Da wir das zum ersten Mal gemacht habe, bin ich mir sicher, dass hier noch viel Potential drin wäre, allein weil wir bei diesem Song wieder sehr viel gelernt haben. Die A-Cappella-Metaloper ist natürlich eine Super-Idee, aber wenn wir das machen, dann ohne Orchester, aber mit 20 Sängern. (lacht)
Diskografie
Ich weiß es noch nicht. Wir haben noch viele Ideen und werden bestimmt noch vieles ausprobieren. Wir machen uns aber keinen Stress und sind dankbar für alle tollen Erlebnisse, die wir mit dieser Band haben dürfen.
Zwickt es Dich selbst vielleicht nicht ein wenig die Gitarre in Zukunft wieder in die Hand zu nehmen oder fühlst Du Dich hier kreativ voll ausgelastet?
Die Gitarre fehlt mir schon. Selbst für den Privatgebrauch komme ich zu selten dazu, sie zu spielen. Ich bin mir 100 % sicher, dass ich auch mal wieder ein „normales“ Metalalbum machen werde, und wenn es nur für mich ist und ich mir das Ding dann selbst zuhause anhöre.
Ihr geht jetzt dann auf eigene Headlinertour. Wie lange werdet ihr da spielen, bzw. wie lange hält man das durch? Hier ist es ja nicht so, dass es mal instrumentale Parts gibt, die einen mal kurz Zeit zum Verschnaufen geben.
Naja, man kann ja schon mal einen ruhigeren Song zwischendurch spielen und unser Schlagzeuger Basti muss einfach auch mal ein Drumsolo spielen. (lacht) Wir wollen den Fans schon 80 Minuten Musik bieten und ich bin zuversichtlich, dass wir das hinbekommen.
Wie war das Gefühl das erste Mal beim legendären Wacken-Open-Air und im entfernten Brasilien auf der Bühne zu stehen?
Also Wacken war krass, da war ich halt vorher schon fünf- oder sechsmal als Fan und wie jeder Musiker hab ich mir immer gedacht „auf der Bühne würde ich auch gerne mal stehen“. Als es dann klappte: unglaublich. Wir würden immer gerne wieder kommen. Brasilien war auch toll. Soweit weg von Zuhause so viele Menschen zu sehen, die wegen deiner Musik auf ein Konzert gehen ist einfach unglaublich. Außerdem waren die Leute auch alle so nett und enthusiastisch, dass wir sie am liebsten eingepackt und mitgenommen hätten. Als Van Canto-Privatfans, sozusagen.
Beim letzten Mal haben wir ja schon gemutmaßt ob Van Canto bald Nachahmer nach sich ziehen. Schon irgendjemand in Sicht, der bei eurer Idee mitreiten will?
Sag du es mir, ich habe noch keinen gefunden. Ich kann es aber auch verstehen, es ist einfach sauviel Arbeit. Trotzdem wäre es schön, sich mit anderen Bands und Musikern auch mal über unsere „Instrumente“ unterhalten zu können.
Mario Karl
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