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Artikel

25 Jahre SPV - Jubel am Abgrund

Info

Gesprächspartner: Olly Hahn (International Productmanager Metal/Rock)

Zeit: 18.11.2009

Ort: Hannover - Berlin

Interview: Telefon

Stil: Rock / Metal

Internet:
http://www.spv.de

2009 kann der hannoversche Schallplattenvertrieb, kurz: SPV, sein 25. Jubiläum feiern, musste sich aber gleichzeitig durch die Insolvenz hindurchkämpfen.
Bevor unser gebürtiger Hannoveraner Norbert von Fransecky zu seinen Jugenderinnerungen vorstoßen konnte, musste er Productmanager Olly Hahn daher erst einmal nach den Zukunftsaussichten eines der größten Independent Vertriebsnetze in Deutschland befragen.


Die Lister Meile ist eine typische Fußgängerzone der 70er Jahre. Städteplanerisch verband sich mit ihr die Absicht den Bereich „hinterm Bahnhof“ zu beleben und die Wohngebiete der List mit der Innenstadt zu verbinden. Zumindest in den späten 70ern und den 80ern war das weitgehend gelungen. (Heute gibt es direkt hinter dem Bahnhof praktisch nur noch verödeten Leerstand.) Und in einer Seitenstraße der Lister Meile, in einem der Vorkriegsgebäude, die das massive Bombardement Hammovers im 2. Weltkrieg überlebt hatten, befand sich Boots. Hinter zwei mit LP-Covern voll gestellten Schaufenstern verbarg sich ein schwarz gestrichenes Ladenlokal mit schwarzem Teppichboden und schwarzen Regalfächern, in den schwarze Vinylscheiben in ihren mehr oder weniger bunten Covern steckten.
Boots war nicht nur die Endlagerstätte für einen guten Teil meines Taschengeldes, sondern auch die Urzelle des SPV. Ein Name, um den man nicht herum kommt, wenn man sich auch nur Ansatzweise mit Hard Rock und Metal beschäftigt; zu viel Alben, darunter etliche Klassiker, tragen das SPV-Logo - zumindest im Blick auf den Vertrieb.

Im Jubiläumsjahr schien völlig unpassend plötzlich das Ende dieser Marke gekommen zu sein. Der SPV musste Insolvenz anmelden. Mittlerweile kann Entwarnung gegeben werden. „Für den Endverbraucher wird sich kaum etwas ändern,“ beruhigt Olly Hahn. „Wir machen das runter gestrippt weiter, was wir auch bisher gemacht haben.“ Runtergestrippt hat in diesem Fall vor allem Folgen für eine Großteil der SPV-Mitarbeiter. In den besten Zeiten hatte die Firma einmal 125 Mitarbeiter. Die Insolvenz lässt das Unternehmen aktuell von 80 auf 20 Mitarbeiter schrumpfen. Firmengründer Manfred Schütz ist ganz von Bord. Dafür haben Manuel Sack, als Insolvenzverwalter, Frank Uhle (zuvor FNAC und Sony), als Firmenleiter, sowie der Groß- und Außenhandelskaufmann Sven Gerke im Vertrieb die Geschicke der Firma in der Hand. Mit Uhle und Gerke sind das Mitarbeiter, die bereits seit 2005 bzw. 2002 beim SPV sind. Das gibt Hoffnung, dass die von Hahn beschworene Kontinuität tatsächlich eintritt.

So sollen wohl auch die hochwertigen Re-Release-Programme über die Sub-Labels Revisted, Yello und Blue fortgeführt werden. Aufgegeben wird der Vertrieb verschiedener Labels. „Da werden wohl so 10 bis 12 Firmen übrig bleiben,“ meint Hahn. Das Prog-Label InsideOut ist von Century Media übernommen worden und in Einzelfällen, z.B. bei Helloween, wird mit Sony kooperiert.

Die Zukunft scheint also gesichert. So können wir uns den 25 Jahre zurück liegenden Ursprüngen widmen. Olly Hahn ist zwar erst sei 2001 direkt beim SPV beschäftigt, hat aber zuvor als Mitarbeiter der Promo-Firma CMM viele SPV-Themen betreut und kannte den Laden als Hannoveraner auch in den Jahren davor schon ziemlich gut. „Ein paar Kumpels von mir, darunter auch der spätere SPV Mitarbeiter C.D. Hartdegen, haben denen Bier ran geschleppt und durften dann mal in die Plattenkisten greifen,“ blickt er in die Zeiten des Tauschhandels zurück.

So nah war ich dem Laden nie. Ich musste harte DM-Mark auf den Tisch des Boots Plattenladen legen - z.B. für meine ersten beiden Punk-Scheiben, die Debüts von den Sex Pistols und The Jam, oder meine erste Ska-Scheibe, die Specials-Live-EP „Too much too young“, Staus Quos Rockin’ all over the World und Mike Oldfields Exposed und und und. Denn Boots war neben Musicland, den beiden GOVI-Filialen, dem Pop-Center und dem kleinen „Can“, in unmittelbarer Nachbarschaft zu Boots, einer der wenigen Läden, wo man in Hannover „gute“ Musik in vernünftiger Auswahl bekam - und sie vor allem vorher auch hören konnte.
Meine Vermutung, dass mit Boots alles angefangen hat, muss Olly allerdings korrigieren. „Die Musicland Läden warn vorher da. Da gab es insgesamt wohl sieben Filialen, u.a. in Hameln und Göttingen und vor allem den Laden am Steintor. (in der Innenstadt von Hannover; NvF)“
Unter dem Namen Boots begann aber das, was dann am 1.1. 1984 der SPV werden sollte. Mindestens drei LPS in meiner Sammlung tragen auf der Rückseite den kleinen Aufkleber Im Vetrieb: Boots Plattenladen. Das war das Debüt der von Manfred Wieczorke (Ex-Eloy) produzierten christlichen Band Semaja, Odessa, die Band des späteren Nena-Masterminds Jörn-Uwe Fahrenkrog-Petersen und die solide, aber völlig unter gegangene Deutsch-Rock-Kapelle Zarah Zylinder. Olly Hahn ergänzt ein wesentlich legendäreres Album. Auch Metallicas Kill ’em all war Anfangs unter dem Boots-Etikett zu haben.

1984 wurde Boots durch zwei Namen abgelöst - dem Vertrieb SPV und dem Label Steamhammer, das noch einen kurzlebigen Vorläufer namens Devils Records hatte. „Dort ist aber nur die `In the Sign of Evil´ von Sodom erschienen,“ erinnert sich Hahn. Danach erschien die Speerspitze des deutschen Thrash bei Steamhammer / SPV: Sodom, Destruction, Assasin’. Noch wichtiger waren aber wohl die Vertriebsthemen. Mit den Labels Roadrunner, Music for Nations, Metal Blade und Noise war der SPV von Start weg DIE Adresse für den 80er Jahre Metal überhaupt.
„Diese erste Phase des Aufbruchs dauerte so bis 1987,“ teilt Hahn ein. 1988 gab es dann einen ersten, gescheiterten Versuch, ein Büro in den USA zu etablieren. Und dann bestimmen zwei nicht ganz so metallische Themen die Geschicke der Firma. „1989 bis 1993 ging die Sache durch die Decke.“ Die Schuld daran lag vor der Haustür. Die hannoversche Band Fury in the Slaughterhouse brachte den SPV in ganz neue Regionen. „Von Fury in the Slaughterhouse sind insgesamt fünf Millionen Einheiten über SPV gelaufen. In der gleichen Zeit haben wir auch den Vertrieb von `Hallo Deutschland´ gemacht, das waren diese Knautschpuppen, die deutsche Variante von `Spittin Image´ sozusagen. Da gab es sogar goldene Video-Cassetten und ähnliches.“

Trotz des Misserfolgs in den USA behielt man den internationalen Markt im Auge. 1996 brachte den Durchbruch durch eine Kooperation mit Rainer Hänsel und seiner Firma CBH. Plötzlich prangte das SPV-Logo auch auf Alben von Lynyrd Skynyrd, Dio, Molly Hatchet, Saxon und Motörhead. Der SPV hatte seinen Fuß in der internationalen Classic-, Hard-Rock und Metal Szene. Vier Jahre später wurde das Amerika-Thema betont. Durch eine Zusammenarbeit mit CMC kamen die Styx, Slaughter, Dokken und andere zur Familie.
In Deutschland gehörten mittlerweile Szenegrößen wie Century Media, Nuclear Blast und InsideOut zu den Vertriebsthemen.

2001 folgte die nächste Steigerung. Auf der einen Seite kamen mit den Top-Sellern Xavier Naidoo, den Böhsen Onkelz und Simply Red Bands von einer noch mal völlig neuen Dimension zur SPV; zum anderen spielte der SPV eine Vorreiterrolle bei der Platzierung von Hörbüchern im normalen Plattenladen. Ob Dan Brown, oder Ken Follett, die redenden Bücher trugen das Signum der Firma aus Hannover.
Die Addition von Whitesnake und Alice Cooper im Jahre 2007 klingt dann fast schon wie eine Fußnote.

Dass der Karren dann gegen die Wand rollte, ist letztlich hausgemacht. Vielleicht hatte man sich im Hause SPV so sehr an die eine Richtung „mehr, größer, besser“ gewöhnt, dass man nicht in der Lage war umzusteuern, als einer der beiden Köpfe, Kurt Erping, die SPV verlies, und unter anderem Acts wie Xavier Naidoo mitnahm.
Eine notwendige Verkleinerung der Firma unterblieb und das Unternehmen brach im Jubeljahr quasi unter dem eigenen Gewicht zusammen. „Das ist prima formuliert,“ kommentiert Olly.
Die Insolvenz war die fast schon zwangsläufige Konsequenz.
Aber aus der Stimme von Olly Hahn klingt Zuversicht, was die Zukunft anbelangt. Wahrscheinlich würde es anders klingen, wenn ich mit Elisabeth oder anderen ehemaligen Mitarbeitern reden würden, unter deren Telefonnummern sich nun niemand mehr meldet, oder die SPV-Zentrale.

Norbert von Fransecky


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