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Juchu, Talfahrt! Wer hat die Bremse?

Gelegentlich wirft die MAS auch einen Blick über die Grenzen zu unseren österreichischen Nachbarn, sei es mit einer Rezension zu Thomas Raab und den Strottern oder einer Nachricht vom Poollounge Festival. Und gelegentlich erreicht uns auch der einen oder andere recht bissige Kommentar zur gegenwärtigen Lage der (nicht nur aber auch) österreichischen Musikndustrie. Daher der Entschluß des hierfür verantwortlichen Redakteurs, einen solchen Kommentar von Günther Wildner unter dem Titel "Juchu, Talfahrt! Wer hat die Bremse?" einmal im Wortlaut abzudrucken: Es geht um den österreichischen Rundfunk, Sony, Plattenverkäufe und vieles mehr... Damit ist aber keineswegs gesagt, dass dieser Redakteur jene Meinung im Verhältnis 1:1 teilen würde, doch egal: Enjoy! (Andreas Matena)

"Über gebeutelte Musikmärkte, Medienwahnsinn, kulturpolitische Wünsche und zu verspeisenden Fensterkitt Bogdan Roscic, der Alpenrepublik legendärster Radioformatierer, der den einzigen österreichweiten Popsender Ö3 von (hörbar)
heimischem Inhalt säuberte, soll nun als weltweiter Klassikchef für Sony die Kastanien aus dem Rückzugsgefechtsfeuer holen. Selbst, wenn ihm das teilweise gelingen sollte, sind die vormals schmackhaften Baumfrüchte nach elendslanger
Musikindustriekrise durch und durch schwarz, nicht mehr genießbar, nicht mehr einer ebenfalls rabenschwarzen Konzernbilanz zwecks Auffrisierung beizufüttern. Mit dem Frühjahr 2009 und der Veröffentlichung der 2008er Bilanzen der International Federation of the Phonographic Industry (IFPI) und ihrer Mitgliedsfirmen steht klar fest: So sehr die Musikindustrie die Abwärtsschraube im Tonträgergeschäft auch stoppen will, sie wird beinhart weitergedreht von Millionen zahlungsunwilligen Musiknutzern, die eine Gesellschaft formen, der geistiges Eigentum nicht viel gilt - zum Allgemeingut wird es erklärt, entwertet, verschenkt. Dieses geistige Eigentum wird den vorgetäuschten Interessen des Konsumentenschutzes, der Hardwarehersteller, Telekommunikationsbetreiber und Internetdienstleister geopfert. "Geiz ist geil!" - vom Volke schnell erlernt, vom Souverän nicht mehr umzukehren. "Uns gehört die Welt!" (Klaus Werner-Lobo, Hanser Verlag, 2008), möchte man in Endlosschleife entgegenbrüllen.

Es ist nicht nur eine weidwunde Musikindustrie, die sich verzweifelt und auf der Suche nach Schuldigen für den Markteinbruch auf eine Kriminalisierung von Usern stürzt, sondern es ist eine breite Koalition von Kreativen und ihren Verwertern, die den Rohstoff des kreativen Schaffens nicht ausreichend geschätzt und abgegolten sieht - absurd in einer Informations- und Wissensgesellschaft, deren Grundlage das geistige Eigentum nun einmal ist. Schutz und Abgeltung desselben sollten nicht diskutiert werden müssen, wie Christopher von Deylen, alias Schiller, treffend propagiert: "Kreativwirtschaft heißt kreatives Wirtschaften. Es wäre schön, wenn man uns ließe. Natürlich ist illegales Filesharing zu verurteilen. Natürlich ist illegales Filesharing zu verbieten, natürlich ist dieses Verbot auch umzusetzen -
alles andere wäre unlogisch und unehrlich" (Musikwoche, 15. Mai 2009). Impressario Marek Lieberberg formuliert: "Wieso erlauben wir hier die flächendeckende Enteignung? Was für ein Gesicht machen wir, die wir mit Kreativen Geschäfte machen
und/oder die Schätze ihrer Arbeit lieben, wenn uns die Gratis-Fratze angrinst? Und auf welcher Seite steht die Politik?" (Süddeutsche Zeitung, 30. März 2009).

Wie geht es den Musikschaffenden zurzeit wirklich? Einem verschwindend geringen Prozentsatz geht es nach wie vor fürstlich, von diesen ist in den Medien zu lesen, zu hören und zu sehen, denn der Livemarkt funktioniert mit Einschränkungen: Top-Sängergagen in den subventionierten Opernhäusern und Netrebko-artige Showpferdkonzerte, siebenstellige Eurosummen von Rockgruppen (Headlinerauftritte) bei gar nicht so wenigen boomenden Festivals, und auch das Musical kann noch immer oftmals gewinnbringend veranstaltet werden. Ein künstlerisch und finanziell erfolgreiches Mittelfeld existiert kaum, weil systematisch abmontiert und verunmöglicht. Und dann der Rest, bei dem nichts beschönigt werden kann und soll: Hier wird der Fensterkitt gegessen, denn wer (relativ) unbekannt ist/bleibt, bekommt im Livebetrieb keine Chance. Auch der CD-Markt ist für die ganz große Mehrheit der Kreativschaffenden nur äußerst schwierig zu bearbeiten, Einnahmen sind oft nur marginal (Halbierung der Tonträgerbranche in den letzten Jahren), digitale Verkäufe
in der Regel dito.

Die Kunst- und Kulturschaffenden schlittern ins Prekariat. So sehr die Musikbranche durch die jahrelange Talfahrt vorbereitet schien, die aktuelle globale Krise zieht nochmals stärker die Daumenschrauben an. Eine kürzlich erhobene Studie des österreichischen Bundesministeriums für Unterricht, Kunst und Kultur brachte zum Vorschein, dass 37 Prozent der Kunst- und Kulturschaffenden im Land unter der Armutsgrenze leben. Der Zugang zum Publikum wird nicht nur durch den Gatekeeper Musikindustrie, sondern traditionellerweise auch durch die Medien erschwert. Der sich seit vielen Jahren unaufhaltsam steigernde Medienwahnsinn besteht im Kern darin, dass künstlerische Qualität völlig unwesentlich, die Eintrittskarte in die großen Massenmedien - und nur über diese lassen sich Bekanntheit und Umsatz generieren - der A-Promi-Status ist. Kennt dich keiner, heißt es sich hinten anstellen in der langen Reihe begabter Kreativproduzenten. Die mündigen und mit der Angebotsvielfalt überforderten Konsumenten greifen nach dem, was ihnen aktiv angeboten wird (Top 40 plus ein bisschen was dazu) - für Recherche nach dem Unbekannten fehlen Zeit und Spürsinn.

Während in Deutschland täglich eine Printpublikation mit Krisengeheul vom Markt genommen wird, rückt der ORF scheibchenweise mit seinen Verlustszenarien heraus. So schlimm wie bei Austrian Airlines wird es schon nicht werden, hofft man, die ARD wird den österreichischen öffentlich-rechtlichen Platzhirsch nicht schlucken, das wohl sicher nicht. Aber wie man Gebührengelder verjubelt mit amerikanischem Junkfood-Programm und dabei den heimischen Kreativen mit gestrecktem Mittelfinger entgegenlacht, das kennt man schon zu viele Jahre - ein Mehr vom Gleichen droht, behübscht mit eine paar Einsparungsstreitereien, Standortwechseln, Personalrochaden und einer Rundfunkgesetzesnovelle.

Das Radio wiederum als genuinstes Medium für den Aufbau von Musikerinnen und Musikern hat sich seit der rigiden Formatierung von privaten und öffentlich-rechtlichen Stationen in musikalischen Belangen beinahe komplett aus dem
Spiel genommen. Alle Sender spielen Hits, machen wollen sie jedoch keine. Das Programm wird schon lange nicht mehr für die Hörer gestaltet, sondern für die Werbewirtschaft, der ein über heftig zu kritisierende Telefonabfragen "geresearchtes" Klangtapetengedudel von teuren Beraterfirmen angedient wird, die (oftmals noch kompetenten) Musikredaktionen der Sender werden gleichzeitig zu Statisten degradiert.

In der Tonträgerbranche wird gesundgeschrumpft, weniger Risiko eingegangen und mehr gespart, Markenpartnerschaften werden gesucht, Musiklizenzierungen forciert, Produktdiversifizierung und Digitalmarkt ausgeweitet, längere Schutzfristzeiten für Recorded Music sowie eine schärfere und zeitgemäße Urheberrechtsgesetzgebung werden lobbyiert. Konkret wird im Mainstream nach wie vor auf das Nummer-sicher-Castingprodukt gesetzt, Künstler mit Qualität sowie Ecken und Kanten haben geringe Chancen auf Signings, mit Label-Joint-Ventures von Majors und TV-Anbietern werden neue Marketing- und Promotionwege geschaufelt, denn eine Weisheit ist bis dato nicht überholt: TV makes the Superstar. Im Alternative- oder Indie-Bereich ist eine Hinwendung zu Individualität und selbstbestimmter Qualität zu beobachten frei nach dem Motto: Wenn ich mit Musik schon nichts mehr verdienen kann, dann höre ich gar nicht mehr auf Markterfordernisse und -regeln, sondern folge ausschließlich dem eigenen Ausdrucksbedürfnis. Der Kritik gefällt's, dem Börserl der Kreativen nicht.

Dann wird unter dem Schlagwort des 360-Grad-Modells von Rechteverwertern versucht, die Beteiligungen an den Künstlereinkünften auf alle Tätigkeitsfelder von Musikerinnen und Musikern auszudehnen, das heißt Labels wollen an den Liveeinnahmen partizipieren, die Veranstalter wiederum Erlöse aus dem Tonträgerverkauf ziehen. Merchandising, Lizenzeinnahmen und vieles mehr wollen sich natürlich auch alle unter den Nagel reißen. Der Künstlermanager ver(sch)wendet somit heutzutage seine Zeit nicht mehr als Spielmacher, sondern als Verteidiger. Für den kleinen Labelentrepreneur heißt das vielfach, nurmehr digital zu veröffentlichen, um Kosten zu sparen. Der Wiener Walter Gröbchen, Verleger und Chef von Monkey Music, finanziert seinen Lebensunterhalt vermehrt als Krisenberichterstatter und
-moderator: Mit journalistischer Eloquenz und Genauigkeit die täglichen Operationen am Patienten "Musikbusiness" dem sensationsgeilen Volk zu interpretieren, scheint momentan lukrativer zu sein, als sich unter die verzweifelt ambitionierten
Marktteilnehmer zu mischen. Motto: Irgendwie im musikalischen Spiel bleiben und mit der Kollegenschaft auf ein Wunder hoffen oder zumindest auf die Erholung der Märkte, die jährlich nicht eintritt. Die Politik muss erkennen oder sich zumindest gut beraten lassen, was die zukunftsträchtigsten und gewinnbringendsten Rahmenbedingungen für musikalisches Kreativschaffen sind, die es herzustellen gilt. Dafür muss nicht einmal immer bares Geld in die Hand genommen werden: für die Steigerung lokalen Produktes in den elektronischen Medien sicher nicht. Hier wird es ohne Quote nicht gehen, wenn man wirklich etwas bewegen will und begreift, dass es tatsächlich eins vor zwölf ist.

In Österreich muss eine umfassende Künstlersozialversicherung her, durchaus nach deutschem Vorbild. Bei den Subventionen der öffentlichen Hand muss es eine deutliche Umschichtung von den Kulturtankern zur freien Szene geben. Erhöhte Flexibilität, Transparenz und Effizienz müssen schnellstens umgesetzt, gleichzeitig neue Formen von öffentlich-privater Partnerschaft für die Großen im Kulturgeschäft erarbeitet werden. Im Urheberrecht dürfen keine faulen Körbe mehr verteilt werden, sondern eine urheberfreundliche, das geistige Eigentum rigoros schützende Gesetzgebung (besonders
im Onlinebereich) muss den Kreativen zum erfolgreichen Wirtschaftstreibenden in Sachen eigener Karriere befähigen. Kulturelle Vielfalt muss die Maxime kulturpolitischen Handelns werden, die Umsetzung der einschlägigen UNESCO-Konvention das Amen im täglichen Gebet und Arbeiten für eine kultiviertere und "kunstigere" Welt. Also ins Politikerstammbuch notiert - Verzeihung, gebrüllt: Gerechtere Verteilung von Finanzen und Chancen in der Musikarbeit ist angesagt, Sinn stiften, Einkommen generieren - so kurz, so bündig, so nötig."

Andreas Matena


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