Artikel
Info
Zeit: 17.02.2008
Ort: Essener Philharmonie
Veranstalter: Philharmonie Essen
Fotograf: Malcolm Crowthers
„Ich verzichte auf nichts.“ Mit diesen Worten hat der französische Komponist Olivier Messiaen (1908-1992) seine im besten Sinne katholische - „umfassende“ - Ästhetik selbst ganz treffend umschrieben.
In dem 1969 uraufgeführten Oratorium La Transfiguration de Notre Seigneur Jésus-Christ zog der Komponist erstmals eine Summe aus seinen musikalischen Entdeckungen und Erfindungen: eine von der Gregorianik abgeleitete Melodik fusioniert mit einer exotisch anmutenden Harmonik (der allerdings auch brillante Dur-Apotheosen nicht fremd sind). In Instrumentalmusik übersetzte Vogelgesänge aus der ganzen Welt erklingen in einzelnen Instrumenten oder Ensembles und bilden blendende Kontrapunkte. Farbige Tonkomplexe materialisieren sich im Orchester. Komplizierte indische oder griechische Rhythmen strecken und dehnen die Zeit. Die dazu aufgebotene riesige Besetzung umfasst unter anderem einen hundertstimmigen Chor, sieben instrumentale Solisten und eine ganze Batterie exotischen Schlagzeugs.
Aber wo andere Komponisten daraus einen effektvollen Weltmusik-Cocktail gemixt oder sich in Materialschlachten erschöpft hätten, gelingt Messiaen durch den konzentrierten Einsatz seiner Mittel eine stilistische Synthese zu einer Art „theologischem Regenbogen“ in und aus Musik.
Herausforderung für Hörer wie Ausführende ist die zerklüftete Struktur des Werkes, in der zum Teil extrem gegensätzliche Elemente gegenübergestellt werden. Messiaen bevorzugt daher Refrain- und Strophenformen, wobei auf einen ekstatischen Tutti-Ausbruch eine verzückte Kantilene des Cellos folgen kann. Oder auf gleißende Protuberanzen von Schlagzeug und Blech ein Absturz in die Basstiefen von Chor und Streichern, der wiederum von einem Hosianna aus Vogelstimmen beantwortet wird. Oft scheiden große Generalpausen die einzelnen Phrasen voneinander, die Spannung darf aber nicht abreißen. Auch hochdissonante Tonballungen sollen bei Messiaen nicht einfach laut und grell, sondern farbig klingen. Eigentlich müssen die 215 Mitwirkenden wie ein großes Kammerensemble agieren, denn erst ein Gespür für die großen Bögen und ein präzises Timing verhindern, dass das Werk in seine Bestandteile zerfällt. Das Ganze ähnelt mehr einem Ritual und ist eine Art liturgische Installation für den Konzertsaal.
Angesichts dieser vielfältigen Herausforderungen muss man der Gesamtleistung des Landesjugendorchesters NRW (Einstudierung: Hubert Buchberger), des Oratorienchors der Robert-Schumann-Hochschule Düsseldorf zusammen mit dem Mädchenchor am Essener Dom sowie des Perkussionensembles „Splash“ und der sieben Solisten unter der Gesamtleitung von Raimund Wippermann Bewunderung zollen.
Die anspruchsvolle Partitur wurde von den zum Teil sehr jungen Musikerinnen und Musikern klangprächtig und überwiegend sehr präzise realisiert. Vor allem die virtuose, oft surreal anmutende Vogelmusik kam in der brillanten Ausführung den Timbres der gefiederten Originale verblüffend nahe. Wippermann ließ die zahlreichen intimen, sich in reiner Klangschönheit ergehenden Momente auskosten, ohne ins Gefühlige abzugleiten.
Beim Chor nahmen vor allem die strahlkräftigen Soprane für sich ein, während die oft exklusiv geforderten Männerstimmen zahlenmäßig leider etwas unterlegen waren. Unter den Solisten interpretierte Soomija Park am Klavier den eher perkussiven Satz Messiaens ausgesprochen nuancenreich. Brillant und geschmeidig auch die labyrinthischen Schlagzeugsoli von Achim Bill (Vibraphon), Johannes Wippermann (Xylorimba) und Martin Schommer (Grand Marimba). Virtuos klangen die verschlungenen Soli von Jana Cuske (Flöte) und Albert Galimazanov (Klarinette), die häufig im Duett diverse Vogelgesänge intonierten. Dagegen fiel Chi-ho Choi am Cello etwas ab. Er spielte die entrückten, kantablen Soli zunächst mit zu hohem Geräuschanteil und wenig delikat.
Bei Messiaen braucht es immer auch Mut zur Süße, Sinnlichkeit. Dass allerdings der immer wieder gegen seine Musik beschworene Kitsch-Verdacht bei dieser Aufführung überhaupt nicht traf, ist ein Verdienst der spannungsvollen, dabei selbst in den schwelgerischsten Momenten niemals sentimentalen Interpretation.
Georg Henkel
Zurück zur Artikelübersicht |