Der Folk schießt ins Kraut - The Story of HOELDERLIN, Kapitel 2
Das selbst betitelte Album ist bei den meisten Bands das Debüt-Album - nicht so bei Hoelderlin. Als `Hoelderlin' 1975 erschien gab es bereits das recht folkige Debüt `Hoelderlins Traum' von 1972. Unsere Serie über Hoelderlin aber beginnt mit `Hoelderlin', dem 2. Kapitel. Grund dafür ist die Verteilung der Rechte. Unsere Serie erscheint aus Anlass des aktuellen Albums `8' und der damit verbundenen Veröffentlichung des remasterten Hoelderlin-Backkatlogs über die EMI, die die Rechte an den ursprünglich bei Spiegelei/ Intercord erschienen Alben hält. `Hoelderlins Traum' aber war 1972 noch bei Ohr Records erschienen. Daher konnte das Album nicht in die Remaster-Serie aufgenommen werden. Die Band rechnet aber damit, dass das in absehbarer Zeit nachträglich möglich sein wird. Dann werden auch wir das erste Kapitel nachreichen. Bis dahin müssen wir Euch vertrösten und auf die Review zu der derzeit noch erhältlichen alten Ausgabe von `Hoelderlins Traum' verweisen, die in der letzten MAS-Ausgabe erschienen und natürlich auch in unserem Archiv einsehbar ist. Jetzt aber springen wir ins Jahr 1975, als die nach ihrem Debüt deutlich veränderten Hoelderlin zum zweiten Mal in die Plattenläden strebten.
Der Labelwechsel war nicht die einzige äußerliche Veränderung, die stattgefunden hatte. Die Sängerin Nanny de Ruig hatte die Band verlassen. Die Texte waren mittlerweile englisch. Nur die Titel hatte man teilweise deutsch beibehalten. Und der Folk-Rock, der das Debüt noch maßgeblich geprägt hatte, war zur Randnotiz verkommen, die vor allem bei „I love my Dog“ zum Tragen kommt.
Gleich das eröffnende „Schwebebahn“ zeigt besonders deutlich, wo es hingehen soll. Ein hypnotischer Rhythmus fesselt den Hörer über die gesamte Länge des Stückes. Darüber schweben Violine und Synthesizer, die dem Stück trotz seiner Kraft eine verspielte Leichtigkeit geben. Eine grandiose Nummer! Vor allem aber erscheinen Hoelderlin hier als völlig eigenständige Größe im Rahmen des deutschen Krautrock, während andere Stücke des Albums überdeutlich machen, warum die Band häufig als die deutsche Antwort auf Genesis und King Crimson bezeichnet wurde. „I love my Dog” kommt folkig mit flottem Beat und Querflöte daher; erinnert zu Beginn an das „Requiem für einen Wicht“ vom Debüt, später eher an die Wings als an die Beatles. Akzente setzt das raue Saxophon, das Zeus B. Held von Birthcontrol beisteuert. „Honeypot“ knüpft vom Sound her durchaus an „Schwebebahn“ an, schafft es aber weder die Faszination noch die Leichtigkeit des Openers zu erreichen. Dazu dürfe das oft recht verwirrende solistische Agieren von akustischer Gitarre und Piano am Anfang, von wilder Klarinette und Violine im weiteren Verlauf seinen Teil beitragen. Die zweite Hälfte des ursprünglichen Albums, bestehend aus „Nürnberg“ und „Deathwatchbeetle“, erinnert dann wirklich sehr stark an frühe Genesis, bzw. im Fall von „Nürnberg“ auch an frühe Barclay James Harvest. Der Longtrack bietet mit weit über einer Viertelstunde aber auch noch reichlich Gelegenheit sich von den Vorbildern frei zu schwimmen. Dafür sorgen immer wieder instrumentale Alleingänge, die mal das Klavier, mal die Querflöte in den Vordergrund stellen. Das klingt zum Teil fast klassisch, oder schlägt mit dem von Synthesizer und Rhythmus-Fraktion (Dr, B) geprägten Mittelteil den Bogen zurück zur „Schwebebahn“. Der rote Faden bleibt dabei nicht immer sichtbar. Dafür aber entschädigt eine ganze Reihe von tollen Instrumentalparts.
Als Bonustrack enthält Hoelderlin eine Live-Version von „Deathwatchbeetle“, die bereits im Jahr vor der Veröffentlichung des Albums aufgenommen wurde. Im Vergleich zur späteren Studioversion lässt sich das wachsende Selbstbewusstsein der Band deutlich erkennen. Die massiven Genesis-Parallelen sind bei der früheren Version mit den Händen zu greifen. Man überlegt gelegentlich fast, ob man vielleicht das erste Live-Album der Briten auf dem Teller liegen hat Auf der anderen Seite ist „Deathwatchbeetle“ live mehr aus einem Guss, als in der Studio-Version. Die spätere Version überrascht mit ihren vielen neuen Einfällen zwar wesentlich mehr, dafür gelingt es der Live-Version besser, den Hörer in ihre Stimmung einzuwickeln. So ist der Bonus-Track eine deutliche Aufwertung der Remaster-Edition, die mit einem achtseitigen Booklet ausgestattet ist, in dem verschiedene historische Fotos, sowie Liner Notes von Matthias Mineur in Deutsch und englischer übersetzung enthalten sind.
Hoelderlin verkaufte sich im fünfstelligem Bereich, für deutsche Bands damals eine gehörige Leistung. Die Anerkennung spiegelte sich auch in gut 50.000 Besuchern, die die Band bei den 100 Konzerten, die sie zu dem Album gaben, sahen, sowie in Zuschauervoten, die die Band in der Sounds 1975 zur unterbewertetesten Gruppe des Jahres und den Geiger Christoph Noppeney in der Popfoto zum zweitbesten Instrumentalisten nach Klaus Doldinger kürten. Auch die Berichterstattung in etablierten Kultursendungen, wie Aspekte (ZDF), waren damals alles andere als eine Selbstverständlichkeit für eine - noch dazu deutsche - Rock-Pop-Gruppe.
Da sie bereits in dieser frühen Phase auf einem recht hohen Niveau agierte zahlte sich das für die Band finanziell nur bedingt aus. Auf Tourneen reiste sie mit eigener PA und eigenem Licht. Das machte sie flexibel aufzutreten, wo immer sie wollte. Hotelzimmer oder ähnlicher Luxus waren dabei aber nicht drin. Das Schlafen im Bus und das Leben von der Hand in den Mund waren erst einmal Alltag. Daneben schuf sich die Band Unabhängigkeit, indem sie die Aufnahmen zu Hoelderlin selbst finanzierte und erst das Ergebnis an ihre Plattenfirma verkaufte.
Der neue Stil von Holederlin schaffte auch eine neue Konzertatmosphäre. „Oft saßen die Leute im Schneidersitz auf dem Boden, rauchten und genossen in sich gekehrt die schwermütigen Songs.“ erinnert sich Hans Bäär an die Konzerte. Aber mit Bäär stoßen wir schon die Tür in die Zeit nach Hoelderlin auf, denn der neue Bassist war erst kurz nach den Aufnahmen für Peter Käseberg an Bord gekommen.
Michael Bruchmann (Dr, Perc) Christian Grumbkow (Git) Joachim Grumbkow (Keys, Voc <4,5>) Peter Käseberg (B) Joachim Käseberg (Git) Christoph Noppeney (Viola, Acc. Git, Voc <2,3,5>)